„Kunst ist kein Acht-Stunden-Job“
Die Bildhauerin Agnes Keil spricht über die spezielle Dynamik ihrer Skulpturen
- Die Bildhauerin Agnes Keil lebt und arbeitet zusammen mit ihrem Partner Peter Heel in einer ehemaligen Grundschule in einem Dorf im Allgäu. Dort findet sie den Platz, den sie braucht, um ihre teils monumentalen Skulpturen aus Stahl, Holz oder Bronze zu schaffen. Mit Katja Waizenegger hat sie sich über die Arbeit als Künstlerpaar und ihre Leidenschaft für den Tanz unterhalten – und darüber, dass sie sich ihren Platz in der von Männern dominierten Bildhauerei erst erarbeiten musste.
Wie hat es Sie nach Engerazhofen bei Leutkirch verschlagen, eine absolut idyllische, aber eben auch abgelegene Gegend im Allgäu?
Wir hatten in der Altstadt von Memmingen ein Atelier, das aber aus allen Nähten geplatzt ist. Deshalb haben wir lange gesucht und hatten auch schon länger Kontakt zur Stadt Leutkirch. Dass es 2011 dann aber die Schule in Engerazhofen wurde, die man kurz zuvor geschlossen hatte, war doch ein Zufall: Wir haben das Gebäude, das uns die Stadt angeboten hatte, nicht gefunden – dafür aber die Schule. Die Alleinlage außerhalb der Ortschaft ist für uns ideal, ebenso wie die hohen Räume und das große Grundstück für die Arbeit und Ausstellungen.
Sie scheuen sich nicht vor Größe. Ihre Skulpturen sind bis zu acht Meter hoch.
Nein, ich scheue mich nicht vor Größe. Es gibt auch noch größere Arbeiten. Wobei ich auch die Kleinplastik liebe. Was mich in meiner künstlerischen Arbeit reizt, ist die räumliche Skulptur – egal wie groß.
Für die Firma Baufritz realisieren Sie seit vielen Jahren Projekte unter dem Titel „Kunst und Bau“. Das große Samenkorn und die acht Meter hohe Skulptur „Miteinander“auf dem Gelände der Firma in Erkheim ist auf dem Weg nach München von der Autobahn aus weithin sichtbar. Wie kam diese Zusammenarbeit zustande?
Eigentlich auf eine traumhafte Art und Weise, denn der damalige Geschäftsführer der Firma kam in unser
Atelier in Memmingen und fragte einfach, ob ich mir vorstellen könnte, etwas für die Firma zu machen.
Wie wichtig sind solche Aufträge finanziell gesehen?
Sie sind schon ein wichtiges Standbein. Aber es ist auch so, dass solche Großprojekte viel Kraft kosten. Damit ist nicht leichter Geld verdient. Im Gegensatz zu kleineren Werken spielen hier zum Beispiel Statik und technische Realisierbarkeit eine viel größere Rolle und erfordern Koordination mit anderen Gewerken.
Sie arbeiten auf Auftrag und frei?
Ja, und das finde ich auch wichtig. Bei Aufträgen ist es spannend auf eine bestimmte Situation oder Person einzugehen. Jedoch muss ich garantieren können, was am Ende herauskommt. Die freie Arbeit wiederum ist die Quelle der Kunst. Hier wird geforscht, experimentiert, Neues und Essenzielles geschaffen.
Das muss man sich leisten können.
Ich würde sagen, man muss es sich leisten, will man sich Künstler nennen. Egal was es bedeutet. Ich lebe immer schon von der und für die Kunst, habe mich sehr früh entschieden, dass ich keine Nebenjobs annehme. Das brachte mit sich, dass ich am Anfang sehr ärmlich gelebt habe. Doch ich bin drangeblieben, und es wurde immer besser. Kunst ist kein Acht-Stunden-Job oder ein schickes Livestyle-Kleidchen. Sie will mehr von einem.
Sie arbeiten nicht fest mit einer Galerie zusammen, sondern organisieren ihre Ausstellungen selbst.
Ja, und ich bin glücklich, dass ich mich nicht abhängig machen muss vom Kunstmarkt. Beim direkten Kontakt mit den Menschen, die meine Kunst kaufen, geht es nicht nur ums Geschäftemachen. Es ist immer eine Bereicherung wenn ich erlebe, was meine Kunst für einen anderen Menschen bedeutet.
Sie und Ihr Partner Peter Heel arbeiten seit 25 Jahren zusammen. Wer entwirft, wer setzt den Entwurf um?
Grundsätzlich sind wir zwei einzelne Künstler und machen unsere eigenen Arbeiten. Und dann gibt es Projekte, bei denen wir zusammenarbeiten. Das ist oft bei Großprojekten der Fall oder zum Beispiel bei meiner aktuelle Werkreihe „Das Körperalphabet“, bei der alles Gestalterische in meiner Hand liegt, wir sie aber aus technischen Gründen gemeinsam realisieren. Mir begegnet oft das Vorurteil, große Skulpturen müssten vom Mann sein. Für mich ist das absurd, wenn ich doch mit der Kettensäge einen tonnenschweren Stamm bearbeite.
Ist es ein Vorteil, zu zweit künstlerisch zu arbeiten?
Die Zusammenarbeit wird zum Vorteil, wenn beide bereit sind, sich darauf einzustellen. Das geschieht nicht automatisch. Man könnte sich ja auch komplett aneinander aufreiben. Wir sind beide bereit, uns für eine Sache hinzugeben und stellen dann das Projekt über das Persönliche.
Gab es für Sie als Künstlerin diese Momente, in denen Sie gedacht haben: „Das wäre mir als Mann nicht passiert“?
Ja natürlich, wie schon erwähnt. Und in meinen Anfangsjahren war zum Beispiel eine ganz typische Situation, dass, wenn ein Mann in der Nähe war, automatisch er angesprochen wurde in der Überzeugung, er sei der Meister. Das kann entnervend sein und zeigt deutlich, wem Kompetenz zugeschrieben wird. Ähnliche Mechanismen zeigen sich auch in manchen Jurys, in denen nur Männer sitzen. Aber so langsam ändert sich auch hier etwas. Klischees sind allerdings zäh. Auch im eigenen Kopf. Da ist es gut, dass es die Kunst gibt, zur Horizonterweiterung.
Ihre Figuren strahlen eine ungewöhnliche Dynamik aus. Hat das mit ihrer Leidenschaft für das Tanzen zu tun?
Als erstes hat es etwas damit zu tun, dass ich erforsche, mit welchen Mitteln auch im Statischen Bewegung und Dynamik erzeugt werden kann. Die Basis dafür ist allerdings, dass ich die Welt schon immer sehr räumlich und rhythmisch wahrgenommen habe und mich der Tanz zutiefst geprägt hat. So schöpfe ich bei der Arbeit auch sehr von innen, was den Skulpturen Tiefe und Kraft gibt. Als Siebenjährige habe ich mit Ausdruckstanz begonnen. Später war ich auf einer bewegungsorientierten Schauspielschule, der Theaterakademie Spielstatt Ulm und bin einige Jahre mit einem eigenen Theater durch die Welt getourt. Doch es war auf die Dauer nicht meine Welt. Die Themenüberschneidungen innerhalb der verschiedenen Künste sind faszinierend: Der Rhythmus, das Timing, die Komposition, der Umgang mit dem Raum – das alles spielt im Tanz eine Rolle und eben auch in der Bildhauerei.
Unter dem Titel „Privataudienz im Paradies“öffnen Agnes Keil und Peter Heel vom 17. bis 27. September ihr Atelier in Engerazhofen für angemeldete Besuche. Terminvereinbarung per Mail unter info@agneskeil.de