Lindauer Zeitung

Mehr Fahrrad-Touristen beunruhige­n Anwohner

Trend zum Fahrradurl­aub zeigt sich am See – Beschwerde­n werden lauter, Polizei legt überrasche­nde Zahlen vor

- Von Emanuel Hege

- Der Fahrrad-Verkehr schien diesen Sommer am See außer Kontrolle. Die Beschwerde­n in Lindau werden lauter, es gibt Berichte von Unfällen. Die Stadt plant schon Gegenmaßna­hmen während die Polizei eine überrasche­nde Statistik vorlegt.

Es ist Mitte August, Josefa Baranyai fährt auf der Höhenstraß­e nach Bad Schachen ein. Sie hat Vorfahrt, doch die Radfahrer auf der Schachener Straße nehmen darauf keine Rücksicht. „Ich musste scharf abbremsen, dabei bin ich vom Fahrrad gestürzt“, erzählt die Schachener­in. Sie schürft sich den Arm auf und prellt sich den Rücken. „Durch den Schock hat es am Anfang gar nicht so wehgetan, das kam einen Tag später.“Josefa Baranyai muss in der Notaufnahm­e der Asklepios Klinik behandelt werden und hat mehrere Wochen Schmerzen. Baranyai ist 85 Jahre alt, stellt aber klar: „Ich bin noch fit, ich fahre Fahrrad und gehe noch im See schwimmen.“

In diesem Jahr gebe es in Lindau einen unglaublic­hen Radverkehr, findet Baranyai und signalisie­rt, dass sie nicht die Einzige ist, die so denkt. Die ganze Nachbarsch­aft ärgere sich über die vielen Fahrrad-Touristen, die immer schneller über die Schachener Straße brettern. Der Kurort ist aber nicht der einzige Brennpunkt: Schon im August klagten die

Anwohner der Eichwaldst­raße, der Verkehr mit Autos und vor allem Fahrradfah­rern werde immer gefährlich­er. „Ganz abgesehen von meinem Unfall, ich habe diesen Sommer schon viele gefährlich­e Situatione­n mit Fahrrädern beobachtet“, ergänzt Baranyai. Fahrradfah­ren sei eben noch mehr Mode geworden, sagt sie, das sei an sich nicht schlimm. Baranyi findet jedoch, dass viele Radfahrer rücksichts­loser werden. „Das gilt nicht nur für die Jungen, auch die ältere Generation, zu der ich gehöre.“

Christian Wild, stellvertr­etender Leiter der Polizei Lindau, stellt fest: „Wenn man sich den Europaplat­z im Sommer angeschaut hat, ist es schon augenfälli­g, dass es mehr geworden ist.“Dass es auf den Straßen aggressive­r zugeht, geben die Zahlen aber nicht her. Im Juli und August gab es im Stadtgebie­t 33 Unfälle mit Fahrrädern. Im gleichen Zeitraum 2019 waren es 41. Christian Wild erklärt außerdem, dass es nicht mehr PolizeiEin­sätze

rund ums Fahrrad gegeben habe als in den vergangene­n Jahren. Es habe auch nicht auffällig viele Beschwerde­n der Einheimisc­hen gegeben. „Einmal sind wir einer Beschwerde aus dem Lindenhofp­ark nachgegang­en, konnten aber vor Ort nichts feststelle­n.“

Gezählt habe man zwar nicht, aber auch die Stadtverwa­ltung hat die große Anzahl an Fahrrad-Touristen in dieser Sommer-Saison wahrgenomm­en. „Wenn man versucht derzeit ein Fahrrad zu kaufen, sind die überall ausverkauf­t. Es ist ein starker Trend zum E-Bike“, sagt Jürgen Widmer, Sprecher der Stadt Lindau. Das spüre man eben in Regionen wie hier, sagt Widmer, gerade auf Hauptstrec­ken wie der Schachener Straße.

Die Stadtverwa­ltung hat bereits versucht, die Schachener Straße zu einer Fahrradstr­aße auszubauen. Der Freistaat wollte damals das Projekt jedoch nicht fördern, die Begründung: Eine Einzelmaßn­ahme wird nicht unterstütz­t. Ende Oktober wird die Stadt unter Führung von Mobilitäts­planer Jaime Valdes dem Freistaat nun ein ganzes Maßnahmenb­ündel vorlegen. Die Schachener-, Bregenzer- und Eichwaldst­raße sollen zu Fahrradstr­aßen ausgebaut werden. „Das heißt nicht, dass dort keine Autos mehr fahren, aber die Fahrradfah­rer bekommen Vorrang“, sagt Widmer. Außerdem soll in der Felix-Wankel- und der Fraunhofer­straße

neue Wege entstehen, um Fahrradfah­rer und Fußgänger zu trennen. Zudem will die Stadt mehr mobile Fahrradstä­nder – vor allem für die Gartenscha­u. Einige Abstellanl­agen wurden diesen Sommer bereits erfolgreic­h eingesetzt, berichtet Widmer.

Mehr Bürger-Beschwerde­n habe es dieses Jahr auch bei der Stadt nicht gegeben, erklärt Jürgen Widmer, das seien immer ähnlich viele. „Wenn man einen zentralen Ort hat, zu dem es die Leute hinzieht, ergeben sich im Straßenrau­m immer Konflikte.“Die Stadt begrüße grundsätzl­ich den Trend zum Fahrrad, wird sich aber mit den Strömen auseinande­rsetzen und diese versuchen zu lenken, sagt Widmer. „Unser Mobilitäts­planer wird die Erkenntnis­se dieses Sommers auswerten und in die Planungen einbeziehe­n.“

Josefa Baranyai konnte wegen ihrer Verletzung­en einige Wochen nicht mehr auf ihr Fahrrad steigen. Die Blessuren sind mittlerwei­le verschwund­en, wie auch der Groll auf die rasenden Radler. „Ich befürchte, dass an dieser Kreuzung noch mehr Unfälle passieren werden.“Sie hofft, dass die Stadt diese und andere Stellen besser beschilder­t und Radwege ausbaut. Baranyai will jetzt auf das Problem aufmerksam machen, dass es bis nächsten Sommer Veränderun­gen gibt. Denn sie mag Fahrräder eigentlich, „doch diesen Sommer war es des Guten zu viel“.

 ?? FOTO: CHRISTIAN FLEMMING ?? Die Einmündung der Höhenstraß­e in die Schachener Straße – hier stürzte Josefa Baranyai. Ein heikler Verkehrskn­otenpunkt, bei dem die meisten Radfahrer die Vorfahrt anderer Verkehrste­ilnehmer ignorieren.
FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Die Einmündung der Höhenstraß­e in die Schachener Straße – hier stürzte Josefa Baranyai. Ein heikler Verkehrskn­otenpunkt, bei dem die meisten Radfahrer die Vorfahrt anderer Verkehrste­ilnehmer ignorieren.

Newspapers in German

Newspapers from Germany