Mehr Fahrrad-Touristen beunruhigen Anwohner
Trend zum Fahrradurlaub zeigt sich am See – Beschwerden werden lauter, Polizei legt überraschende Zahlen vor
- Der Fahrrad-Verkehr schien diesen Sommer am See außer Kontrolle. Die Beschwerden in Lindau werden lauter, es gibt Berichte von Unfällen. Die Stadt plant schon Gegenmaßnahmen während die Polizei eine überraschende Statistik vorlegt.
Es ist Mitte August, Josefa Baranyai fährt auf der Höhenstraße nach Bad Schachen ein. Sie hat Vorfahrt, doch die Radfahrer auf der Schachener Straße nehmen darauf keine Rücksicht. „Ich musste scharf abbremsen, dabei bin ich vom Fahrrad gestürzt“, erzählt die Schachenerin. Sie schürft sich den Arm auf und prellt sich den Rücken. „Durch den Schock hat es am Anfang gar nicht so wehgetan, das kam einen Tag später.“Josefa Baranyai muss in der Notaufnahme der Asklepios Klinik behandelt werden und hat mehrere Wochen Schmerzen. Baranyai ist 85 Jahre alt, stellt aber klar: „Ich bin noch fit, ich fahre Fahrrad und gehe noch im See schwimmen.“
In diesem Jahr gebe es in Lindau einen unglaublichen Radverkehr, findet Baranyai und signalisiert, dass sie nicht die Einzige ist, die so denkt. Die ganze Nachbarschaft ärgere sich über die vielen Fahrrad-Touristen, die immer schneller über die Schachener Straße brettern. Der Kurort ist aber nicht der einzige Brennpunkt: Schon im August klagten die
Anwohner der Eichwaldstraße, der Verkehr mit Autos und vor allem Fahrradfahrern werde immer gefährlicher. „Ganz abgesehen von meinem Unfall, ich habe diesen Sommer schon viele gefährliche Situationen mit Fahrrädern beobachtet“, ergänzt Baranyai. Fahrradfahren sei eben noch mehr Mode geworden, sagt sie, das sei an sich nicht schlimm. Baranyi findet jedoch, dass viele Radfahrer rücksichtsloser werden. „Das gilt nicht nur für die Jungen, auch die ältere Generation, zu der ich gehöre.“
Christian Wild, stellvertretender Leiter der Polizei Lindau, stellt fest: „Wenn man sich den Europaplatz im Sommer angeschaut hat, ist es schon augenfällig, dass es mehr geworden ist.“Dass es auf den Straßen aggressiver zugeht, geben die Zahlen aber nicht her. Im Juli und August gab es im Stadtgebiet 33 Unfälle mit Fahrrädern. Im gleichen Zeitraum 2019 waren es 41. Christian Wild erklärt außerdem, dass es nicht mehr PolizeiEinsätze
rund ums Fahrrad gegeben habe als in den vergangenen Jahren. Es habe auch nicht auffällig viele Beschwerden der Einheimischen gegeben. „Einmal sind wir einer Beschwerde aus dem Lindenhofpark nachgegangen, konnten aber vor Ort nichts feststellen.“
Gezählt habe man zwar nicht, aber auch die Stadtverwaltung hat die große Anzahl an Fahrrad-Touristen in dieser Sommer-Saison wahrgenommen. „Wenn man versucht derzeit ein Fahrrad zu kaufen, sind die überall ausverkauft. Es ist ein starker Trend zum E-Bike“, sagt Jürgen Widmer, Sprecher der Stadt Lindau. Das spüre man eben in Regionen wie hier, sagt Widmer, gerade auf Hauptstrecken wie der Schachener Straße.
Die Stadtverwaltung hat bereits versucht, die Schachener Straße zu einer Fahrradstraße auszubauen. Der Freistaat wollte damals das Projekt jedoch nicht fördern, die Begründung: Eine Einzelmaßnahme wird nicht unterstützt. Ende Oktober wird die Stadt unter Führung von Mobilitätsplaner Jaime Valdes dem Freistaat nun ein ganzes Maßnahmenbündel vorlegen. Die Schachener-, Bregenzer- und Eichwaldstraße sollen zu Fahrradstraßen ausgebaut werden. „Das heißt nicht, dass dort keine Autos mehr fahren, aber die Fahrradfahrer bekommen Vorrang“, sagt Widmer. Außerdem soll in der Felix-Wankel- und der Fraunhoferstraße
neue Wege entstehen, um Fahrradfahrer und Fußgänger zu trennen. Zudem will die Stadt mehr mobile Fahrradständer – vor allem für die Gartenschau. Einige Abstellanlagen wurden diesen Sommer bereits erfolgreich eingesetzt, berichtet Widmer.
Mehr Bürger-Beschwerden habe es dieses Jahr auch bei der Stadt nicht gegeben, erklärt Jürgen Widmer, das seien immer ähnlich viele. „Wenn man einen zentralen Ort hat, zu dem es die Leute hinzieht, ergeben sich im Straßenraum immer Konflikte.“Die Stadt begrüße grundsätzlich den Trend zum Fahrrad, wird sich aber mit den Strömen auseinandersetzen und diese versuchen zu lenken, sagt Widmer. „Unser Mobilitätsplaner wird die Erkenntnisse dieses Sommers auswerten und in die Planungen einbeziehen.“
Josefa Baranyai konnte wegen ihrer Verletzungen einige Wochen nicht mehr auf ihr Fahrrad steigen. Die Blessuren sind mittlerweile verschwunden, wie auch der Groll auf die rasenden Radler. „Ich befürchte, dass an dieser Kreuzung noch mehr Unfälle passieren werden.“Sie hofft, dass die Stadt diese und andere Stellen besser beschildert und Radwege ausbaut. Baranyai will jetzt auf das Problem aufmerksam machen, dass es bis nächsten Sommer Veränderungen gibt. Denn sie mag Fahrräder eigentlich, „doch diesen Sommer war es des Guten zu viel“.