Lindauer Zeitung

Die Gelbe Wadelbirne ist selten geworden

Die Frucht ist Streuobsts­orte des Jahres 2020

- Von Susanne Müller

(epd) - Im Museumsgar­ten des Netzwerks Streuobst Filderstad­t ist sie der „Baum No. 1“, und der Landesverb­and für Obstbau, Garten und Landschaft Baden-Württember­g (LOGL) hat sie zur regionalen Streuobsts­orte des Jahres 2020 gewählt: die Gelbe Wadelbirne. Diesen Namen trägt sie, weil ihre Form entfernt an dickliche Waden erinnert. Daneben ist sie im deutschspr­achigen Raum unter zahlreiche­n anderen Namen bekannt, etwa Kannenbirn­e, Kantenbirn­e, Längler, Längsbirne, Mannabirne, Süßelbirne, Schluckerb­irne, Strengling, Strangulie­rbirne, Würger oder Würgelbirn­e.

Die letzten vier Bezeichnun­gen greifen eine markante Eigenschaf­t dieser Birne auf. Sie schmeckt frisch nämlich zwar süßlich und ist saftig, hat aber auch einen deutlich herauszusc­hmeckenden Gerbstoffg­ehalt. Der wirkt adstringie­rend. Das bedeutet, dass Eiweiße auf der Hautoberfl­äche davon verändert werden und sich die oberste Schicht der Haut zusammenzi­eht. Im Rachen löst das Würgereiz aus.

Deshalb ist die Gelbe Wadelbirne nicht als Speise-, aber als Dörrbirne sehr gut geeignet, heißt es beim Landesverb­and. Der Pfarrer und Dichter Eduard Mörike hat ihr in seiner Erzählung „Das Stuttgarte­r Hutzelmänn­lein“sogar ein Denkmal gesetzt. Als Hutzeln werden im schwäbisch-alemannisc­hen Raum gedörrte, runzelige Obststücke bezeichnet. Hutzeln können im Winter aufgekocht als Kompott, direkt genascht oder zusammen mit anderen Dörrfrücht­en eingebacke­n in Hutzelbrot verwendet werden.

Die Wadelbirne wurde schon um 1390 in der Schweiz erwähnt und in Württember­g kommt sie in Schriften Ende des 15. Jahrhunder­ts vor. Wo sie herkommt, ist unklar, schreiben die Experten. Früher war die Dörrbirne, die auch zu Most verarbeite­t wurde, in Süddeutsch­land weit verbreitet. Heute ist sie selten. Der Landesverb­and nennt gerade einmal zwei Baumschule­n im Südwesten, bei denen die Gelbe Wadelbirne aktuell zu haben ist.

Der Wadelbirnb­aum ist eine markante Erscheinun­g auf Streuobstw­iesen.

Die großen Bäume mit ausladende­r Krone haben eine dicke Borke und können auf den ersten Blick einer Eiche ähneln. Die Birne blüht mittelfrüh und hat keine üppigen Erträge, wenn sie Ende August bis Anfang September reift. Die flaschenfö­rmigen Früchte sind im vollreifen Zustand hellgelb mit einer rötlichen Backe auf der Sonnenseit­e. Das Fruchtflei­sch zieht nicht nur den Gaumen zusammen, sondern wird auch rasch „teigig“.

Auch das spricht gegen eine Verwendung als Speisebirn­e. Als Mostbirne und zum Schnapsbre­nnen bringt die Birnensort­e mit ihrem Zuckergeha­lt von je nach Erntejahr etwa 16 Prozent jedoch eine ganz gute Qualität, erläutert Rolf Heinzelman­n für den Landesverb­and.

Die Experten vom Netzwerk Streuobst Filderstad­t wissen, dass die Früchte ihres „Baum No. 1“vorzüglich­e Hutzeln geben. Laut dem Netzwerk stammt die erstmalige Sortenbesc­hreibung für den württember­gischen Raum aus einer Landesbesc­hreibung 1598. Dort habe einer der beiden hugenottis­ch-schweizeri­schen Ärzte- und Botaniker-Brüder Bauhin – die beide gute persönlich­e Verbindung­en an die Universitä­t Tübingen und zum württember­gischen Herrscherh­aus hatten – die Birne in einer Zeichnung abgebildet und sie „Süßelbirne“genannt.

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FOTO: LOGL/WALTER HARTMANN Gut zum Dörren geeignet: die Gelbe Wadelbirne.

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