Die Gelbe Wadelbirne ist selten geworden
Die Frucht ist Streuobstsorte des Jahres 2020
(epd) - Im Museumsgarten des Netzwerks Streuobst Filderstadt ist sie der „Baum No. 1“, und der Landesverband für Obstbau, Garten und Landschaft Baden-Württemberg (LOGL) hat sie zur regionalen Streuobstsorte des Jahres 2020 gewählt: die Gelbe Wadelbirne. Diesen Namen trägt sie, weil ihre Form entfernt an dickliche Waden erinnert. Daneben ist sie im deutschsprachigen Raum unter zahlreichen anderen Namen bekannt, etwa Kannenbirne, Kantenbirne, Längler, Längsbirne, Mannabirne, Süßelbirne, Schluckerbirne, Strengling, Strangulierbirne, Würger oder Würgelbirne.
Die letzten vier Bezeichnungen greifen eine markante Eigenschaft dieser Birne auf. Sie schmeckt frisch nämlich zwar süßlich und ist saftig, hat aber auch einen deutlich herauszuschmeckenden Gerbstoffgehalt. Der wirkt adstringierend. Das bedeutet, dass Eiweiße auf der Hautoberfläche davon verändert werden und sich die oberste Schicht der Haut zusammenzieht. Im Rachen löst das Würgereiz aus.
Deshalb ist die Gelbe Wadelbirne nicht als Speise-, aber als Dörrbirne sehr gut geeignet, heißt es beim Landesverband. Der Pfarrer und Dichter Eduard Mörike hat ihr in seiner Erzählung „Das Stuttgarter Hutzelmännlein“sogar ein Denkmal gesetzt. Als Hutzeln werden im schwäbisch-alemannischen Raum gedörrte, runzelige Obststücke bezeichnet. Hutzeln können im Winter aufgekocht als Kompott, direkt genascht oder zusammen mit anderen Dörrfrüchten eingebacken in Hutzelbrot verwendet werden.
Die Wadelbirne wurde schon um 1390 in der Schweiz erwähnt und in Württemberg kommt sie in Schriften Ende des 15. Jahrhunderts vor. Wo sie herkommt, ist unklar, schreiben die Experten. Früher war die Dörrbirne, die auch zu Most verarbeitet wurde, in Süddeutschland weit verbreitet. Heute ist sie selten. Der Landesverband nennt gerade einmal zwei Baumschulen im Südwesten, bei denen die Gelbe Wadelbirne aktuell zu haben ist.
Der Wadelbirnbaum ist eine markante Erscheinung auf Streuobstwiesen.
Die großen Bäume mit ausladender Krone haben eine dicke Borke und können auf den ersten Blick einer Eiche ähneln. Die Birne blüht mittelfrüh und hat keine üppigen Erträge, wenn sie Ende August bis Anfang September reift. Die flaschenförmigen Früchte sind im vollreifen Zustand hellgelb mit einer rötlichen Backe auf der Sonnenseite. Das Fruchtfleisch zieht nicht nur den Gaumen zusammen, sondern wird auch rasch „teigig“.
Auch das spricht gegen eine Verwendung als Speisebirne. Als Mostbirne und zum Schnapsbrennen bringt die Birnensorte mit ihrem Zuckergehalt von je nach Erntejahr etwa 16 Prozent jedoch eine ganz gute Qualität, erläutert Rolf Heinzelmann für den Landesverband.
Die Experten vom Netzwerk Streuobst Filderstadt wissen, dass die Früchte ihres „Baum No. 1“vorzügliche Hutzeln geben. Laut dem Netzwerk stammt die erstmalige Sortenbeschreibung für den württembergischen Raum aus einer Landesbeschreibung 1598. Dort habe einer der beiden hugenottisch-schweizerischen Ärzte- und Botaniker-Brüder Bauhin – die beide gute persönliche Verbindungen an die Universität Tübingen und zum württembergischen Herrscherhaus hatten – die Birne in einer Zeichnung abgebildet und sie „Süßelbirne“genannt.