Die Landflucht der Amateure
Die erste Pokalrunde ist oft der Saisonhöhepunkt der kleinen Clubs – nun fällt er vielfach aus
(SID/dpa) - Die neuen Tore stehen, die kleinen Tribünen wurden erweitert, die Bagger und ehrenamtlichen Helfer sind abgezogen. Was sonst zu den üblichen Vorbereitungen eines Amateurclubs auf den Fußballfesttag in der ersten Hauptrunde des DFB-Pokals gehört, hat diesmal nur der SV Todesfelde geschafft. Der Fünftligist aus dem 1000-Seelen-Dorf bei Bad Segeberg in Schleswig-Holstein macht trotz der Corona-Pandemie von seinem Heimrecht im Joda-Sportpark Gebrauch – als einziger Club unterhalb der Regionalliga.
„So einen Tag kannst Du für Geld nicht kaufen. Das ist Herzblut, das ist Erinnerung und Identifikation mit der Region. Das, was bleibt, ist ja viel mehr als Geld“, sagte Clubchef Holger Böhm vor der Partie am Samstag (15.30 Uhr/Sky) gegen den VfL Osnabrück: „Wir kommen sportlich von ganz unten. Unsere Fans, Förderer und Ehrenamtlichen haben sich den Arsch dafür aufgerissen, dass so ein Spiel irgendwann einmal stattfinden kann. Wir wären doch mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn wir das nur aus wirtschaftlichen Gründen nicht machen würden.“
Mit dieser Einstellung stehen die Todesfelder, deren Corona-Konzept 500 Zuschauer vorsieht, allerdings ziemlich alleine da. Elf Clubs verzichten am Wochenende freiwillig darauf, in ihren kleinen Arenen um die Sensation zu kämpfen. Der Hintergrund ist klar: Den Vereinen fehlen meist die nötige Logistik und das nötige Geld, um die Hygiene-Auflagen erfüllen zu können. Da auf der anderen Seite zumindest ein Großteil der Zuschauereinnahmen wegfällt, würde die Austragung für die Clubs zum Verlustgeschäft.
Und so spielt der TSV Havelse in Mainz, der FC Oberneuland in Mönchengladbach, der FV Engers in Bochum, Eintracht Celle in Augsburg, der 1. FC Schweinfurt auf Schalke, die VSG Altglienicke in Köln, und so weiter. Auch Fünftligist 1. FC Düren wird den größten Tag seiner Geschichte auswärts erleben. Mitte Oktober
geht es in München gegen Triple-Gewinner FC Bayern – anstatt in der Westkampfbahn. „Es ist nicht gerade die ideale Zeit für ein Traumlos“, sagte Dürens Präsident Wolfgang Spelthahn: „Aber die Sicherheit der Menschen muss Vorrang haben.“
Auch die Todesfelder hätten in München gespielt. Allerdings wäre das Bayern-Los laut Clubchef Böhm das einzige gewesen, das zu einer „Landflucht“geführt hätte. „Ich finde es schade für die anderen Vereine“, äußerte Böhm: „Aber die machen das ja nicht nur aus finanzieller Sicht, sondern weil sie es einfach nicht geschafft haben.“
Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) bedauert auf der einen Seite den weitgehend verlorengegangenen Reiz der ersten Pokalrunde. So sagte DFB-Vizepräsident Peter Frymuth: „Der DFB-Pokal lebt von den Geschichten und Emotionen, die gerade bei den Begegnungen in der ersten Runde zwischen Amateuren und Profis seit vielen Jahrzehnten die Fans in ganz Deutschland begeistern.“Nun fehlte ein Teil dieses Reizes.
Auf der anderen Seite ist der DFB aber froh, dass der Wettbewerb überhaupt starten kann. Dazu mussten erst einmal die Regeln kurzfristig geändert werden, da der Tausch des Heimrechts eigentlich gar nicht erlaubt ist. Mit der Neuerung, die einen Tausch möglich macht, „sofern das Hygienekonzept
Holger Böhm
in der Heimspielstätte nicht umgesetzt werden kann oder durch den Heimrechttausch eine Kostenersparnis für den Amateurverein entsteht“, kam der Verband den Amateuren entgegen. Das gilt auch bei den Kosten. So erhalten alle Clubs ab der 3. Liga abwärts 30 000 Euro für die Umsetzung des Hygienekonzeptes. Den Zuschuss erhalten auch die Vereine, die das Heimrecht getauscht haben. Was die Clubs an Prämien erhalten, steht noch nicht fest. Erst bei der Sitzung des DFB-Präsidiums am Freitag soll die Verteilung der Medien- und Marketinggelder beschlossen werden.
Doch wie viel Geld auch als Zuschuss übrig bleibt, aufwiegen lassen sich die verpassten Gelegenheiten damit nicht. Erst recht nicht, wenn dadurch so manche Sensation ausbleibt. Denn es gibt dieses Jahr eben nur einen kleinen Amateurverein, der das große Spiel im eigenen Wohnzimmer bestreiten kann.
Wir wären doch mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn wir das nur aus wirtschaftlichen Gründen nicht machen würden.“