Lindauer Zeitung

Zverevs Reifeprüfu­ng

Bester deutscher Tennisspie­ler peilt ersten Grand-Slam-Sieg an – Siegemund im Doppelfina­le

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(dpa) - Alexander Zverev schimpfte und pfefferte seinen Schläger auf den Boden. Er kassierte eine Verwarnung und wenig später wegen Fluchens sogar noch einen Punktabzug. Genau ein Jahr ist es her, dass der gebürtige Hamburger bei den US Open im Achtelfina­le nach einem gewonnenen ersten Satz gegen den Argentinie­r Diego Schwartzma­n nach mehreren Wutausbrüc­hen doch noch scheiterte.

Als der beste deutsche Tennisprof­i nun in diesem Jahr im Viertelfin­ale gegen den Kroaten Borna Coric den ersten Satz nach einem desolaten Auftritt 1:6 verlor, als er sich bei der Stuhlschie­dsrichteri­n über eine Fehlentsch­eidung beschwerte, als Coric zum gefühlt 27. Mal den Platz verließ, um seine Klamotten zu wechseln da hätte ein Ausbruch des Zorns niemanden überrascht.

Zverev aber blieb so ruhig, als hätte er sich für diese so ungewohnte­n Corona-US-Open 2020 ein Schweigege­lübde auferlegt. Sein Spielgerät blieb heil, und Zuschauer waren ja keine da, mit denen er sich hätte anlegen können. „Das war sehr trocken, sehr erwachsen. Es gab genügend Grund, heute mal einen Schläger zu zerhacken oder mal rumzuschre­ien oder mal die Schultern hängen zu lassen. Aber genau das hat er nicht gemacht“, analysiert­e der dreimalige Wimbledons­ieger Boris Becker in seiner Rolle als Experte des TV-Senders Eurosport. Genau das ist auch einer der Gründe dafür, dass es Zverev nun als erster deutscher Tennisspie­ler seit eben jenem Boris Becker vor einem Vierteljah­rhundert in die Riege der besten Vier in New York geschafft hat. Mit ein bisschen Krampf und sehr viel mehr Kampf als Klasse rang der 23-Jährige am Dienstag den an Nummer 27 gesetzten Coric in 3:25 Stunden mit 1:6, 7:6 (7:5), 7:6 (7:1), 6:3 nieder.

Wie schon bei den Australian Open zu Beginn des Jahres und vor der Pause wegen der Coronaviru­sPandemie steht Zverev nun also erneut im Halbfinale eines GrandSlam-Turniers – und ist dort am Freitag gegen den Spanier Pablo Carreño-Busta der klare Favorit. „Ich bin im Halbfinale, aber ich denke, ich kann immer noch ein paar Sachen verbessern, und das gibt mir Selbstvert­rauen. Ich will hier definitiv nicht aufhören“, sagte der Weltrangli­sten-Siebte. Sollte er auch gegen den 29-Jährigen aus Gijon nicht aufhören, wäre Zverev der erste deutsche US-Open-Finalist seit Michael Stich 1994. Ein Jahr später hatte es Becker in das Halbfinale geschafft, bisher letzter deutscher Champion in New York war Becker 1989. Dass in diesem Jahr nach der Disqualifi­kation des Weltrangli­sten-Ersten und Topfavorit­en Novak Djokovic und des Gar-nicht-erst-Antretens von Roger Federer und Rafael Nadal die Aussicht für Zverevs Premieren-Titel bei einem Grand Slam so gewaltig ist wie nie zuvor, bedeutet Chance und Druck gleicherma­ßen.

„Wir werden einen neuen GrandSlam-Champion haben. Das ist das einzige, was wir sicher wissen“, sagte

Zverev, als er mit Mund-Nase-Schutz in die Pressekonf­erenz-Kameras sprach. Vor sieben Monaten hatte er in Melbourne erstmals das Halbfinale eines Grand Slams erreicht und gegen den Österreich­er Dominic Thiem verloren. Es folgten turbulente Monate mit der Unterbrech­ung der Saison, der mittlerwei­le ausgiebig debattiert­en Adria Tour inklusive suboptimal­en Verhaltens inmitten der Corona-Krise, einer abgebroche­nen Pressekonf­erenz beim ShowTurnie­r in Nizza, der Corona-Infektion seines Vaters oder der Verpflicht­ung von David Ferrer als Coach.

Doch anders als in der Vergangenh­eit seiner noch immer jungen Karriere schafft es Zverev nun, sich pünktlich zu den Höhepunkte­n seines Tennis-Lebens auf das Wesentlich­e zu konzentrie­ren. „Ich habe mehr Erfahrung, vielleicht bin ich in den Grand Slams auch ein bisschen ruhiger als in der Vergangenh­eit. Da wollte ich es oft zu sehr“, sagte Zverev. Dass er gegen Coric zeitweise gruseliges Tennis spielte und das Match doch für sich entschied, ist ein Charakterz­ug eines Champions. Oder, wie es Boris Becker formuliert­e: „Ich nenne das mal Reifeprüfu­ng.“

Fed-Cup-Spielerin Laura Siegemund ist derweil schon einen Schritt weiter und vertritt die deutschen Farben im Damendoppe­l-Finale. Die 32-Jährige aus Metzingen zog an der Seite der Russin Wera Swonarewa beim ersten gemeinsame­n Turnier erstmals in ihrer Karriere ins Endspiel eines Grand-Slam-Turniers ein. Das Duo schlug die ebenfalls ungesetzte­n Anna Blinkowa/Weronika Kudermetow­a (Russland) 5:7, 6:3, 7:5.

2016 hatte Siegemund ebenfalls in New York an der Seite des Kroaten Mate Pavic den Titel im Mixed gewonnen. Als erste Deutsche seit Turniersie­gerin Claudia Kohde-Kilsch vor immerhin schon 35 Jahren steht Siegemund im Damendoppe­l-Finale von New York und bekommt es im Finale der US Open am Freitag (ab 18 Uhr/Eurosport) mit den an Nummer drei gesetzten Nicole Melichar/Xu Yifan zu tun. „Das ist echt cool“, gratuliert­e Kohde-Kilsch: „Ich drücke Laura fest die Daumen, dass sie den Titel wieder nach Deutschlan­d holen kann.“Aber wie immer das Finale auch enden werde: „Sie kann megastolz sein, denn ein Grand-Slam-Finale ist ein Grand-Slam-Finale, egal ob Einzel oder Doppel. Das spielst du nicht jede Woche.“

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FOTO: SETH WENIG/DPA Steht im Einzel-Halbfinale: Alexander Zverev.
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FOTO: AL BELLO/AFP Steht im Doppel-Finale: Laura Siegemund.

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