Lindauer Zeitung

Der Bundestag und die Brandstift­er

Die deutsche Politik streitet heftig um die Aufnahme von Geflüchtet­en aus Moria

- Von Klaus Wieschemey­er

- „Die Brandstift­er sitzen nicht auf Lesbos, sondern hier“, sagt der SPD-Abgeordnet­e Frank Schwabe und meint damit die AfD auf der rechten Seite des Parlaments. Die hatte in der Debatte um das abgebrannt­e Flüchtling­slager Moria auf Lesbos mit Gottfried Curio einen ihrer berüchtigs­ten Redner in den Ring geschickt. Und der machte seinem Ruf alle Ehre und warnte die „Umsiedlung­sfanatiker“davor, die „Feuerteufe­l“aus Moria in „unsere Nachbarsch­aft“zu holen. Deutschlan­d sei keine weltweite Hilfsorgan­isation „mit angehängte­r Steuerskla­venbevölke­rung“.

Nicht nur Schwabes Parteifreu­ndin Ute Vogt zeigte sich persönlich angewidert von Curios Kaltherzig­keit. Und dessen Ausfälle hätte es auch gar nicht bedurft, um die Emotionen im Hohen Haus hochzuscha­ukeln. Die Bilder des zerstörten Lagers und der auf nacktem Boden schlafende­n Menschen rühren viele Politiker tief an.

Und sie sorgen dafür, dass die Politik von Innenminis­ter Horst Seehofer auch im Regierungs­lager immer mehr unter Druck gerät. Der CSUMiniste­r hatte am Freitagvor­mittag angekündig­t, dass Deutschlan­d, Frankreich, sechs weitere EU-Staaten

und die Schweiz 400 unbegleite­te Minderjähr­ige aus Lesbos aufnehmen. Für Deutschlan­d seien dies zwischen 100 und 150 Flüchtling­e, sagte Seehofer und stellte eine weitere Hilfe in Aussicht. Man wolle „rasch“eine europäisch­e Lösung für Familien mit Kindern finden. Für Seehofer ist das viel. Er verweist darauf, dass Deutschlan­d bereits zuvor die Aufnahme von knapp 1000 Minderjähr­igen zugesagt hat, und dass derzeit werktäglic­h bis zu 400 Migranten ins Land kämen. Weitere Lockerunge­n könnten wie vor fünf Jahren zum „Pull-Effekt“führen und weitere Migranten anlocken, warnt er. „Ich nehme den Satz ,2015 darf sich nicht wiederhole­n’ sehr, sehr ernst“, sagt der CSU-Politiker.

Doch die Bilder aus Moria sorgen nicht nur bei Grünen und Linken, sondern auch in den Reihen der Koalition für Widerspruc­h: Die SPDFrau Ute Vogt lobt die erste Seehofer-Zusage kurz als „wichtigen Schritt“, um vorzurechn­en, dass 14 Bundesländ­er und viele Städte anbieten, Moria-Geflüchtet­e aufzunehme­n. Auch Baden-Württember­g kann sich 50 Aufnahmen vorstellen. „Werfen Sie Ihr Herz über die Hürde“, ruft Vogt Seehofer auf. Es müssten ja nicht gleich alle 13 000 Menschen aus dem verkohlten Lager nach Deutschlan­d kommen.

Das genau fordert die Linksparte­i. Und anders als Vogt sieht dessen Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch gar nichts Gutes im Handeln Seehofers. „Ihr Agieren ist nicht christlich“, wirft der Linkspolit­iker dem Christsozi­alen nach ausgiebige­r Zitierung aus der Bibel vor. Und die EU habe bisher kläglich versagt. „In Moria sind die Werte der Europäisch­en Union in Flammen aufgegange­n“, sagt Bartsch. Seine Tübinger Fraktionsk­ollegin Heike Hänsel warnt, die Menschen schliefen auf der „nackten Straße und brauchen jetzt Hilfe“. Wer Moria wieder aufbaue, riskiere bürgerkrie­gsartige Zustände.

Auch die CDU-Politikeri­n Elisabeth Motschmann spricht davon, dass man aus „christlich­er Verantwort­ung jetzt handeln“müsse. Zusammen mit 15 anderen Unionsabge­ordneten hat sie die Aufnahme von 5000 Geflüchtet­en gefordert. Zuvor hatte CSU-Entwicklun­gsminister Gerd Müller die Zahl 2000 in den Raum gestellt.

Es gehe um nackte Not, und die „müssen wir lindern“, sagt Motschmann. Abwarten könne man nicht, denn „emotionslo­se Politik ist nie gute Politik“. Es ist Motschmann­s Parteifreu­nd Thorsten Frei, der solche Forderunge­n einsammelt. Der Linkenantr­ag zur Aufnahme aller Moria-Bewohner sei eine „Einladung

an alle, die auf gepackten Koffern sitzen“, warnt Frei. Es müsse klar sein, „dass wir es mit einem europäisch­en Problem zu tun haben und nicht mit einem deutschen“.

Europa will nun auch handeln: Am Freitagmor­gen kündigt EUKommissi­onsvize Margaritis Schinas für den 30. September einen „EUPakt“zur Migrations­politik an. Der soll drei Teile haben: Erstens Abkommen mit Transitlän­dern, damit sich weniger Menschen auf den Weg machen. Zweitens den Ausbau des Grenzschut­zes, damit weniger über die Grenze kommen. Und drittens ein „System dauerhafte­r Solidaritä­t“bei Asylverfah­ren, bei dem nicht nur die Grenzstaat­en und Deutschlan­d belastet würden. „Moria ist eine Mahnung an uns alle, etwas in Europa zu ändern“, sagt Schinas.

Unterdesse­n erneuern zehn deutsche Großstädte mit oft grünen Oberbürger­meistern ihr Angebot, Geflüchtet­e aus Moria aufzunehme­n. Seehofer ärgert sich über diese kommunalen Angebote, die sein Ministeriu­m bisher zurückweis­t. Er verweist auf Österreich, das sich bisher der Aufnahme verweigert. Statt Stadträte zu „Sichere Häfen“-Petitionen anzuregen, sollten die deutschen Grünen besser auf ihre in Österreich mitregiere­nden Parteifreu­nde einwirken, ätzt er.

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