Der Bundestag und die Brandstifter
Die deutsche Politik streitet heftig um die Aufnahme von Geflüchteten aus Moria
- „Die Brandstifter sitzen nicht auf Lesbos, sondern hier“, sagt der SPD-Abgeordnete Frank Schwabe und meint damit die AfD auf der rechten Seite des Parlaments. Die hatte in der Debatte um das abgebrannte Flüchtlingslager Moria auf Lesbos mit Gottfried Curio einen ihrer berüchtigsten Redner in den Ring geschickt. Und der machte seinem Ruf alle Ehre und warnte die „Umsiedlungsfanatiker“davor, die „Feuerteufel“aus Moria in „unsere Nachbarschaft“zu holen. Deutschland sei keine weltweite Hilfsorganisation „mit angehängter Steuersklavenbevölkerung“.
Nicht nur Schwabes Parteifreundin Ute Vogt zeigte sich persönlich angewidert von Curios Kaltherzigkeit. Und dessen Ausfälle hätte es auch gar nicht bedurft, um die Emotionen im Hohen Haus hochzuschaukeln. Die Bilder des zerstörten Lagers und der auf nacktem Boden schlafenden Menschen rühren viele Politiker tief an.
Und sie sorgen dafür, dass die Politik von Innenminister Horst Seehofer auch im Regierungslager immer mehr unter Druck gerät. Der CSUMinister hatte am Freitagvormittag angekündigt, dass Deutschland, Frankreich, sechs weitere EU-Staaten
und die Schweiz 400 unbegleitete Minderjährige aus Lesbos aufnehmen. Für Deutschland seien dies zwischen 100 und 150 Flüchtlinge, sagte Seehofer und stellte eine weitere Hilfe in Aussicht. Man wolle „rasch“eine europäische Lösung für Familien mit Kindern finden. Für Seehofer ist das viel. Er verweist darauf, dass Deutschland bereits zuvor die Aufnahme von knapp 1000 Minderjährigen zugesagt hat, und dass derzeit werktäglich bis zu 400 Migranten ins Land kämen. Weitere Lockerungen könnten wie vor fünf Jahren zum „Pull-Effekt“führen und weitere Migranten anlocken, warnt er. „Ich nehme den Satz ,2015 darf sich nicht wiederholen’ sehr, sehr ernst“, sagt der CSU-Politiker.
Doch die Bilder aus Moria sorgen nicht nur bei Grünen und Linken, sondern auch in den Reihen der Koalition für Widerspruch: Die SPDFrau Ute Vogt lobt die erste Seehofer-Zusage kurz als „wichtigen Schritt“, um vorzurechnen, dass 14 Bundesländer und viele Städte anbieten, Moria-Geflüchtete aufzunehmen. Auch Baden-Württemberg kann sich 50 Aufnahmen vorstellen. „Werfen Sie Ihr Herz über die Hürde“, ruft Vogt Seehofer auf. Es müssten ja nicht gleich alle 13 000 Menschen aus dem verkohlten Lager nach Deutschland kommen.
Das genau fordert die Linkspartei. Und anders als Vogt sieht dessen Fraktionschef Dietmar Bartsch gar nichts Gutes im Handeln Seehofers. „Ihr Agieren ist nicht christlich“, wirft der Linkspolitiker dem Christsozialen nach ausgiebiger Zitierung aus der Bibel vor. Und die EU habe bisher kläglich versagt. „In Moria sind die Werte der Europäischen Union in Flammen aufgegangen“, sagt Bartsch. Seine Tübinger Fraktionskollegin Heike Hänsel warnt, die Menschen schliefen auf der „nackten Straße und brauchen jetzt Hilfe“. Wer Moria wieder aufbaue, riskiere bürgerkriegsartige Zustände.
Auch die CDU-Politikerin Elisabeth Motschmann spricht davon, dass man aus „christlicher Verantwortung jetzt handeln“müsse. Zusammen mit 15 anderen Unionsabgeordneten hat sie die Aufnahme von 5000 Geflüchteten gefordert. Zuvor hatte CSU-Entwicklungsminister Gerd Müller die Zahl 2000 in den Raum gestellt.
Es gehe um nackte Not, und die „müssen wir lindern“, sagt Motschmann. Abwarten könne man nicht, denn „emotionslose Politik ist nie gute Politik“. Es ist Motschmanns Parteifreund Thorsten Frei, der solche Forderungen einsammelt. Der Linkenantrag zur Aufnahme aller Moria-Bewohner sei eine „Einladung
an alle, die auf gepackten Koffern sitzen“, warnt Frei. Es müsse klar sein, „dass wir es mit einem europäischen Problem zu tun haben und nicht mit einem deutschen“.
Europa will nun auch handeln: Am Freitagmorgen kündigt EUKommissionsvize Margaritis Schinas für den 30. September einen „EUPakt“zur Migrationspolitik an. Der soll drei Teile haben: Erstens Abkommen mit Transitländern, damit sich weniger Menschen auf den Weg machen. Zweitens den Ausbau des Grenzschutzes, damit weniger über die Grenze kommen. Und drittens ein „System dauerhafter Solidarität“bei Asylverfahren, bei dem nicht nur die Grenzstaaten und Deutschland belastet würden. „Moria ist eine Mahnung an uns alle, etwas in Europa zu ändern“, sagt Schinas.
Unterdessen erneuern zehn deutsche Großstädte mit oft grünen Oberbürgermeistern ihr Angebot, Geflüchtete aus Moria aufzunehmen. Seehofer ärgert sich über diese kommunalen Angebote, die sein Ministerium bisher zurückweist. Er verweist auf Österreich, das sich bisher der Aufnahme verweigert. Statt Stadträte zu „Sichere Häfen“-Petitionen anzuregen, sollten die deutschen Grünen besser auf ihre in Österreich mitregierenden Parteifreunde einwirken, ätzt er.