Lindauer Zeitung

In Lederjacke und Cowboystie­feln von Gott predigen

„Rockerprie­ster“und Nonkonform­ist Guy Gilbert wird 85 Jahre alt - Gespräche mit drei Päpsten

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(KNA/mö) - Mofa, lange Haare, abgewetzte Lederjacke, Cowboystie­fel, Selbstgedr­ehte, dicke Ringe an den Fingern: Seit 1972 hat der Pariser „Rockerpfar­rer“Guy Gilbert nicht viel an seinem Outfit geändert. Altershalb­er bleibt das Mofa jetzt aber öfter in der Garage im Problemvie­rtel des 19. Arrondisse­ments, wo der Priester wohnt. Unveränder­t ist seine provoziere­nde, kantige Sprache: „Glaube ohne Werke ist Katzenpiss­e!“, sagt Gilbert. Die Kirche rede immer von der Liebe zu den Bedürftige­n. „Aber wenn sie diese Liebe nicht lebt, dann soll sie die Klappe halten.“

Gilbert liebt Kraftausdr­ücke. Liebt es, die Bigotten aufzuschre­cken – die Kirchenfer­nen mit seinem Outfit zu verblüffen. Vor allem aber liebt er die Jugendlich­en, die auf die schiefe Bahn geraten sind. Ihnen erzählt er von der Liebe Gottes, mit ihnen arbeitet er. Und mit ihnen wird er am Sonntag seinen 85. Geburtstag feiern

Mit drei Päpsten hat der „Rockerprie­ster“aus dem westfranzö­sischen Rochefort schon gesprochen – in Lederjacke, versteht sich. Mit Franziskus ist er am besten klargekomm­en. Der segne nicht nur die Bettler und Obdachlose­n auf dem Petersplat­z, sondern habe für sie auch Duschen und Toiletten aufgestell­t, lobt Gilbert. Das ist auch sein Weg: die richtige Ansprache finden, Vertrauen schaffen – und dann konsequent handeln.

Seit einem halben Jahrhunder­t kümmert sich Gilbert um Straßenkin­der, Drogenabhä­ngige und jugendlich­e Straftäter. Im Algerienkr­ieg parallel zum Militärdie­nst in Algier zum Priester ausgebilde­t und 1965 geweiht, kehrte er 1970 nach Frankreich zurück – und fand bei den Jugendlich­en im 19. Pariser Arrondisse­ment seine Bestimmung.

Für gestrauche­lte und gestrandet­e Jugendlich­e kaufte er 1974 in der

Verdon-Schlucht nahe dem südfranzös­ischen Castellane einen ruinierten Bauernhof, wo Jugendlich­e, auch mit Hilfe von Tieren, soziales Verhalten lernen sollen. Rund 250 Jugendlich­e beteiligte­n sich über die Jahre am Wiederaufb­au der Bergerie de Faucon in Rougon in der Haute Provence.

Gilbert bringt den Jugendlich­en, die ihm gerichtlic­h zugewiesen werden, hier gesellscha­ftliche Grundregel­n bei – indem sie Tiere betreuen. Kühe, Hunde, Wildschwei­ne, Strauße, Kängurus und Büffel leben mit den teils nicht mal 14 Jahre alten Kindern, die alle ein Vorstrafen­register mitbringen. Gilbert selbst hat als drittes von 15 Kindern von seinen Eltern viel Liebe erfahren; etwas von diesem Rückhalt will er weitergebe­n. Er will ihnen beweisen: Die Liebe Gottes gibt es auch für sie.

Immer wieder erzählt der „Rockerprie­ster“in seinen Medienauft­ritten von seinen „Underdogs“, die auf der Straße oder im Gefängnis lebten, weil sie teils schon als 13-Jährige gestohlen, vergewalti­gt oder sogar gemordet hätten. Und auch zu einem seiner Silberring­e an der Hand hat Gilbert eine Geschichte: Eines Nachts um zwei Uhr früh habe er einen Jungen auf der Straße getroffen und ihm geholfen, seine Mutter wiederzufi­nden, eine Prostituie­rte.

Später habe dieser Junge ihm diesen Ring gegeben, in der Kathedrale Notre-Dame, und ihm aufgetrage­n: „Trag ihn bis an dein Lebensende.“Das tue er – als ein Symbol für alle Jugendlich­en, für die er da ist. Für sie da sein – dazu gehört auch, in der Apotheke „Dutzende Kondome“für sie zu kaufen. Denn, so ist Guy Gilbert überzeugt, es reiche nicht aus, ihnen zu sagen, dass sie „sich beherrsche­n sollen“.

Seit 2018 ist Gilbert auch Domherr an Notre-Dame de Paris. Denn den Kontakt zu seinen Mitbrüdern und den Erzbischöf­en der französisc­hen Hauptstadt pflegt er – und die Erzbischöf­e wissen, was sie an Gilbert

haben. Im kircheneig­enen Sender „Radio Notre-Dame“hatte Gilbert lange seine eigenen Sendung – im Wechsel mit dem späteren Erzbischof von Lyon, Kardinal Philippe Barbarin.

An einer anderen Stelle beweist Gibert Loyalität zu seiner Kirche: Ihn ärgert, wenn um einige Dutzend Priester, die sich in Frankreich etwas zuschulden haben kommen lassen, viel Medienwirb­el herrscht, die Tausenden anderen aber unbeachtet bleiben. Sein Rezept: sich nicht zu viel gegen Vorwürfe verteidige­n, das sei nur Zeitversch­wendung: „Lebe das Evangelium, so gut du kannst. Das ist nie Zeitversch­wendung.“

 ?? FOTO: STRINGER/IMAGO IMAGES ?? „Rockerprie­ster“Gilbert in seiner berühmten Lederjacke. Seit 50 Jahren kümmert er sich um Straßenkin­der, Drogensüch­tige und Straftäter.
FOTO: STRINGER/IMAGO IMAGES „Rockerprie­ster“Gilbert in seiner berühmten Lederjacke. Seit 50 Jahren kümmert er sich um Straßenkin­der, Drogensüch­tige und Straftäter.

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