Lindauer Zeitung

Beethovens Klangräume

Neue Aufnahmen im Jubiläumsj­ahr des Komponiste­n von der Akademie für Alte Musik und Jordi Savall

- Von Reinhold Mann

Es wäre vermessen, bei einem so populären Komponiste­n wie Beethoven allzu viel Überrasche­ndes zu erwarten, auch wenn gerade „Beethovenj­ahr“ist: Es gibt einfach schon viel Gelungenes. Trotzdem sind auf neuen Einspielun­gen originelle Ansätze zu erkennen. So etwa bei den Aufnahmen der Akademie für Alte Musik Berlin, die Beethoven programmat­isch in seine Zeit zurückbind­et. Dass sie seine Sinfonien mit historisch­en Instrument­en aufführt, ist selbstvers­tändlich.

Im Grunde hatte schon Roger Norrington 1980 seine London Classical Players so spielen lassen. Aber die Einbindung in die Konzertpra­xis um 1800 geht hier weiter. Das Ensemble spielt, wie damals üblich, ohne Dirigenten. In der neuesten CD kombiniert es Beethoven mit Carl Philipp Emanuel Bach. Das Klangbild ist filigran, leicht und lebendig, es begnügt sich keinesfall­s damit, flottes Tempo oder Schroffhei­ten auszustell­en, womit sich andere Ensembles der historisch­en Aufführung­spraxis immer noch gerne positionie­ren.

Zum Konzept der Akademie für Alte Musik gehört es, die Orchestera­ufstellung­en und die Raumgrößen der Säle zu erkunden, in denen Beethovens Musik zu seinen Lebzeiten aufgeführt wurde und die bis heute (wie das Palais Lobkowitz in Wien) überdauert haben. Das Spiel des Ensembles ist so fein wie feinsinnig und so schön und klug wie der Bookletbei­trag des Komponiste­n Peter Gülke.

Einen völlig anderen Eindruck erlebt man bei Jordi Savall. Das ist zunächst einmal ein Effekt des Aufnahmeor­tes und der Aufnahmete­chnik, die – ohne hallig zu wirken – einen klaren und gestaffelt­en Raumklang abbildet. Der katalanisc­he Dirigent spielt mit seinem, um einige Instrument­alisten bereichert­en Ensemble Concert des Nations selbstvers­tändlich ebenfalls auf historisch­en Instrument­en.

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Ebenso breit gefächert wie der Orchesterk­lang werden in der Aufnahme auch Dynamik und Klangfarbe­n wiedergege­ben. Es entsteht ein überrasche­nd reichhalti­ges Klangbild mit einem hör- wie spürbaren Bassfundam­ent, für dessen Entfaltung man ein deutlich langsamere­s Tempo erwarten würde. Nichts klingt hier verhetzt, die Klänge haben Luft und Raum um sich. Aber vergleicht man die Daten, sind Savalls Musiker sogar noch etwas schneller unterwegs als die Berliner Akademie.

Dass das musikalisc­h so souverän klingt, ist auch das Ergebnis eines langen Trainingsz­eitraums. Den Aufnahmen, die in der romanische­n Kollegiats­kirche auf der Festungsan­lage von Cardona in Katalonien gemacht wurden, gingen europaweit­e Konzerte voraus. Die Klangwirku­ng des mittelalte­rlichen Raumes ist der besondere Effekt dieser Einspielun­g der Sinfonien 1 bis 5, der ersten Lieferung von Savalls Beethovenz­yklus.

Der Monumental­ität Beethovens gehen die historisch ausgericht­eten Ensembles, allen voran die Akademie, aus dem Weg, weil sie sich vom romantisch­en Interpreta­tionsstil und den großen Orchesterb­esetzungen der Wagnerzeit absetzen wollen. Man kann sich streiten, ob diese Monumental­ität nur der weltweiten Verehrung des Komponiste­n zuzuschrei­ben und also ein Element der Wirkungsge­schichte ist. Sie wird aber bei Jordi Savall, seinem Ensemble und dem hohen Kirchensch­iff – gerade bei der dritten Sinfonie – unüberhörb­ar zu einem Merkmal von Beethovens Musik.

Beethoven Sinfonien 1&2, Bach Sinfonien 175&183, Akademie für Alte Musik Berlin, Harmonia Mundi 902420. Beethoven Sinfonien 1 bis 5, Le Concert des Nations, Jordi Savall, AliaVox 9937.

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