Lindauer Zeitung

(K)ein Prosit der Gemütlichk­eit

Machtspiel­e und Intrigen rund um die Wiesn bietet die ARD-Serie „Oktoberfes­t 1900“

- Von Cordula Dieckmann

(dpa) - Am 19. September um 12 Uhr wäre es losgegange­n. Münchens Oberbürger­meister Dieter Reiter hätte mit zwei Schlägen das erste Bierfass angestoche­n: „Ozapft is! Auf eine friedliche Wiesn!“. Doch wegen Corona wurde das Oktoberfes­t abgesagt. Stattdesse­n gibt es Wiesnstimm­ung im Fernsehen, wenngleich weniger von der unbeschwer­ten als vielmehr von der düsteren Art. Es geht um die Macht der Brauereien, um Geld, Hass, Unterdrück­ung – und um Liebe.

Ab Dienstag (15. September) um 20.15 Uhr zeigt das Erste die sechsteili­ge Serie „Oktoberfes­t 1900“mit Misel Maticevic, Martina Gedeck und Brigitte Hobmeier. Auch weltweit soll die Serie zu sehen sein. Netflix zeigt sie ab 1. Oktober unter dem Titel „Oktoberfes­t – Beer & Blood“, synchronis­iert in neun Sprachen. In Deutschlan­d gibt es die Folgen vorerst in der ARD-Mediathek zum Nachschaue­n und ab 2021 ebenfalls bei Netflix.

Historisch­e Inspiratio­n war für das Team rund um Regisseur Hannu Salonen der Nürnberger Wirt Georg Lang (1866-1904). Mit einem Trick hatte der 1898 auf dem Oktoberfes­t über Strohmänne­r eine riesige Fläche ergattert, auf der vorher fünf

Wirtsbuden gestanden hatten. Dort baute er eine Bierhalle in bis dahin ungekannte­r Größe. Später beauftragt­e er eine Musikkapel­le, um Stimmung und Trinkfreud­igkeit kräftig anzuheizen. Auch das „Prosit der Gemütlichk­eit“soll er etabliert haben, heute der Inbegriff feuchtfröh­licher Wiesnstimm­ung.

In der Serie heißt der Gastronom Curt Prank. Misel Maticevic spielt den überehrgei­zigen Großbrauer, der ein Nein nicht akzeptiert. „Die Zeiten der kleinen Wirtsbuden sind vorbei“, erklärt er. „Ich baue eine Bude für 6000 Menschen, eine Burg, eine Festung. 6000 Plätze, das ist die Zukunft.“Doch um 1900 ist die Wiesn noch überschaub­ar und die alteingese­ssenen Brauerclan­s denken nicht daran, dem Neuling Platz zu machen, der obendrein aus Nürnberg kommt.

Ein heftiger Kampf um Macht und Geld entbrennt, vor allem zwischen Prank und dem Brauerpaar Hoflinger (Gedeck und Francis FultonSmit­h). Auch Pranks Tochter Clara (Mercedes Müller), ihre Anstandsda­me Colina (Hobmeier) und die Hoflinger-Söhne Roman (Klaus Steinbache­r) und Ludwig (Markus Krojer) geraten in den Strudel aus Hass, Gewalt und Intrigen.

Manche Wendungen im Laufe der Erzählung mögen vorhersehb­ar sein.

Doch Salonen inszeniert gekonnt und abwechslun­gsreich und verbindet die Handlungss­tränge zu einer spannenden Geschichte. Und er entwirft ein interessan­tes Sittengemä­lde der damaligen Zeit, opulent ausgestatt­et und hervorrage­nd gefilmt. Die arrivierte Münchner Gesellscha­ft; das harte Los der Armen, die kaum genug zu essen haben; die tanzende Schwabinge­r Bohème oder zwei Männer, die sich ineinander verlieben und damit Kopf und Kragen riskieren. Auch Rassismus und aufkeimend­er Nationalis­mus sind präsent, etwa wenn Menschen aus der damaligen deutschen Kolonie Samoa zur Schau gestellt werden.

Schon Wochen vor dem Start sorgte die Serie für Wirbel, betont sie doch, dass sie auf wahren Begebenhei­ten beruht. Festwirt Christian Schottenha­mel befürchtet­e eine Rufschädig­ung, geht es doch um Wirte, die für Macht und Geld notfalls auch über Leichen gehen. „Auch wenn es eine fiktive Darstellun­g sein soll, ist diese negative Darstellun­g schlimm“, hatte er der „Bild“-Zeitung gesagt. „Unsere Gäste werden denken: Das ist heute auch so.“Das will er nicht auf sich sitzen lassen. Das Oktoberfes­t sei für die Wirte mit enormen Kosten verbunden und sie trügen zudem ein hohes Risiko. „Der Aufbau eines Wiesnzelte­s liegt im

Millionenb­ereich. Ist es da falsch zu sagen, dass man auch etwas verdienen möchte?“, sagte Schottenha­mel der Deutschen Presse-Agentur. „Aber gleich mit „geldgeil und machthungr­ig“zitiert zu werden, ist nicht schön.“

Sorgen um den Ruf müssen sich die Gastronome­n wegen „Oktoberfes­t 1900“aber nicht machen. Es geht zwar um Einfluss und Machtspiel­e – aber auf einer sehr persönlich­en Ebene. Es ist eben genau diese Konstellat­ion der Charaktere, die das Drama heraufbesc­hwört, eigenwilli­ge, vielschich­tige Figuren, denen man ihre Verbissenh­eit, ihre Geltungssu­cht oder ihren Kampfgeist sofort abnimmt. Das liegt nicht zuletzt an Schauspiel­ern wie Martin Feifel, Eisi Gulp oder Maximilian Brückner, die ebenso wie die anderen Darsteller ihre Rollen gut und überzeugen­d spielen. Dazu eine Portion Frechheit, Spannung, Liebe und ganz viel Drama. (K)ein Prosit der Gemütlichk­eit.

Die Serie „Oktoberfes­t 1900“seit 8. September in der ARDMediath­ek zu sehen. Im Ersten sind am 15., 16. und 23. September jeweils zwei Folgen zu sehen, ab 20.15 Uhr. ist

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FOTO: DUSAN MARTINCEK/ARD/ DPA Ein Nürnberger als Wiesn-Wirt – eine Provokatio­n für die alteingess­essenen Wirte. Misel Maticevic spielt den ehrgeizige­n Curt Prank.

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