Mutter Courage gegen junge Rassismus-Bekämpferin
Im Finale der US Open kommt es zum Duell zwischen Viktoria Asarenka und Naomi Osaka – Verliererin Williams will auch in Paris spielen
(SID/dpa) - Serena Williams wusste, dass es vorbei war, dennoch versuchte sie verzweifelt, dem Schicksal noch eine Wende zu geben. Viktoria Asarenka hatte bei ihrem ersten Matchball einen Aufschlag unerreichbar übers Netz gejagt, die Amerikanerin forderte eine Überprüfung, um das Unvermeidliche abzuwenden. Vergeblich. Als Williams auf der Videotafel sah, dass der Ball die Linie noch gekratzt hatte, neigte sie nur den Kopf zur Seite. Ihr Blick war leer.
6:1, 3:6, 3:6. Es war eine Niederlage, die nach dem ersten Satz kaum möglich schien, so gut spielte Williams, so schlecht Asarenka. Aber dann. „Vielleicht habe ich den Fuß zu sehr vom Gas genommen“, sagte Williams (38), betonte aber auch: „Ich habe getan, was ich konnte.“Doch was sie auch tat, es war zu wenig. Asarenka (31) riss das Match an sich, sie spielte mutig und dennoch nahezu fehlerfrei und hetzte ihre Gegnerin beim erst fünften Sieg im 23. Duell schließlich vom Platz.
„Enttäuschend“, sagte Williams wenig überraschend, sei diese Niederlage. Doch sie ist wohl mehr als das. Bei den Australian Open 2017 hatte Williams zum 23. Mal den Titel bei einem der vier Grand Slams gewonnen. Nun ist ihr neunter Versuch gescheitert, Titel Nummer 24 zu holen und damit den Rekord der Australierin Margaret Court einzustellen. Will sie tatsächlich weiterspielen, bis sie die Bestmarke einstellt? „Ich ... ich weiß es nicht“, sagte Williams, „ich habe darüber noch nicht nachgedacht.“
Für Asarenka und ihre Finalgegnerin Naomi Osaka stellen sich derlei Fragen nicht. Die beiden früheren Weltranglistenersten kämpfen am Samstag (22 Uhr MESZ/Eurosport) um ihren jeweils erst dritten Titel bei einem Grand Slam. Osaka gewann 2018 in New York und 2019 bei den Australian Open und fühlt sich nach einem Durchhänger gerüstet für den nächsten großen Wurf. „Ich würde sagen, dass ich mental stärker bin. Ich habe viel aus meinem Auf und Ab gelernt“, sagte die 22-jährige Japanerin. Und: „Das Finale bedeutet mir sehr viel. New York ist meine zweite Heimat.“
Osaka wird nun also ihre siebte Maske präsentieren und auch am Finaltag gegen Rassismus und Polizeigewalt in den USA protestieren. Vor dem Turnier hatte sie gesagt, sie habe sieben Mundschutz-Masken mit unterschiedlichen Namen von Afroamerikanern dabei, die getötet worden sind. Das Finale hatte sie also schon einkalkuliert.
Weit mehr hat freilich Asarenka durchgemacht. Die Nummer eins war sie erstmals schon vor acht Jahren, 2012 und 2013 gewann sie die Australian Open und stand außerdem im Endspiel der US Open. Dann folgten Verletzungen und Formkrisen, darüber hinaus geriet sie nach der Geburt ihres Sohnes Leo 2016 in einen Sorgerechtsstreit mit dem Vater. Kalifornien, wo sie wohnte, konnte die Mixed-Olympiasiegerin von 2012 daher erst wieder ab Mitte 2018 verlassen. „Wenn dir Scheiße widerfährt, denkt man ja oft: Bleib positiv, bleib positiv, aber manchmal ist es unmöglich, positiv zu bleiben“, philosophierte Asarenka.
„Dann hilft es, sich eine neutrale Einstellung zuzulegen oder zumindest nicht ins Negative zu rutschen. Es ist ganz einfach“, sagte sie am Freitag.
Sieben Jahre dauerte es, ehe Asarenka, die Mutter Courage, wieder das Finale eines Grand Slams erreichte, und „es fühlt sich erfüllender an als damals“, sagte sie. Damals, auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, sei das von ihr ja mehr oder weniger erwartet worden, „das war in diesem Jahr sicher nicht so“. Allerdings hatte sie in New York die Generalprobe für die US Open gewonnen, nachdem ihre Finalgegnerin, Osaka nämlich, verletzt abgesagt hatte.
Williams kündigte unterdessen an, bei den French Open (ab 27. September) „definitiv“mitmachen zu wollen – sofern die linke Achillessehne, die zu Beginn des dritten Satzes versorgt werden musste, nicht schlimmer lädiert ist. Ob sie ausgerechnet auf der roten Asche von Roland Garros Titel Nummer 24 näher kommt, darf allerdings bezweifelt werden.