„Der Umgang ist etwas rauer geworden“
Bundesliga-Schiedsrichter und Teilzeitpolizist Patrick Ittrich über seine Leidenschaft, soziale Medien und Profischiedsrichter
- Schiedsrichter freuen sich normalerweise, wenn sie nicht im Mittelpunkt stehen. Dann haben sie eine gute Leistung abgeliefert und keiner spricht über sie. Patrick Ittrich aus Hamburg ist einen anderen Weg gegangen. Der Bundesligaschiedsrichter aus Hamburg hat ein Buch („Die richtige Entscheidung – Warum ich es liebe, Schiedsrichter zu sein“) über seine Arbeit auf und neben dem Platz geschrieben. Mit Thorsten Kern hat Ittrich über Schiedsrichter gesprochen – Kritik an ihnen, gestiegenen Druck und einen schlimmen Moment in Köln.
Herr Ittrich, ein schönes Thema für Fans sind immer die „Kicker“-Noten, die es für Spieler, aber auch für Schiedsrichter gibt. Wie gehen Sie damit um?
Ich habe sie mir früher öfter angeschaut. Sie sind mir nicht wichtig, aber ich schaue sie mir ab und zu an.
Noten sind aber in Ihrem Job auch wichtig. Sie sprechen im Buch Enttäuschungen wie den Abstieg aus der Regionalliga an oder das aus Ihrer Sicht schlechte Spiel zwischen Wolfsburg und Schalke in der Saison 2018/19. Wie gehen Sie mit solchen Rückschlägen um?
Da kann ich jetzt natürlich anders drüber sprechen als damals, als die Fälle akut waren. Da wollte ich erst mal nichts hören. Man muss professionell damit umgehen. Für mich heißt es, dass ich einen Tag habe, bis zu diesem ich ein Spiel abgehakt haben muss. Denn es beginnt ja auch immer wieder die Vorbereitung auf ein neues Spiel. Natürlich muss man Enttäuschungen verarbeiten, ich bin imkeit mer mein größter Kritiker. Schließlich haben auch Schiedsrichter Emotionen, auch wenn sie die auf dem Platz nicht rauslassen können wie Spieler. Wenn ich glaube, ich brauche Unterstützung, dann hole ich sie mir, sei es bei Freunden, Schiedsrichterkollegen oder bei einem Sportpsychologen, den ich auch habe.
Stichwort Druck: Babak Rafati haben Sie nach seinem Selbstmordversuch damals im Kölner Hotel gefunden. Kamen Sie in den Tagen und Wochen danach an einen Punkt, an dem Sie sagten: „Mir reicht es?“Wird der Druck größer?
Ich habe anderthalb Wochen nach dem Vorfall ein Freundschaftsspiel beim Hamburger SV gepfiffen, weil ich das selber so wollte. Ich habe gemerkt, dass das meine Leidenschaft ist und dass ich weitermachen möchte. Aufhören war bei mir nie ein Thema. Aber der Druck ist natürlich da. Wir erlernen den Druck und den Umgang damit. Ich pfeife in der höchsten Klasse, das ist für mich positiver Druck. Die Erwartungshaltung ist eine fehlerfreie Leistung. Mir wird es aber nicht gelingen, immer fehlerfrei zu pfeifen, das ist nicht möglich. Und oft entsteht der Druck erst nachher, etwa nach Fehlern. Damit muss man umgehen können, sonst kannst du diesen Job nicht machen.
Sie erzählen, dass Sie nicht vor 40 000 Zuschauern im Stadion jubelnd über den Rasen rennen können. Muss man als Schiedsrichter lernen, dass man es nie allen recht machen kann? Und dass selten über gute Leistungen gesprochen wird?
Ja. Umso mehr man in der Öffentlichsteht, desto bewusster wird es einem. Das muss man verinnerlichen, dass man es eben nie allen recht machen kann. Ich hatte zum Beispiel immer Probleme damit, es in meinem persönlichen Umfeld allen recht zu machen – in meinem Beruf als Polizist und in der Schiedsrichterei. Auf dem Platz hatte ich dagegen nie ein Problem damit.
Gerade im Amateurbereich haben es Schiedsrichter oft nicht leicht. Selbst im Jugendbereich werden sie oft beschimpft. Erleben Sie einen Wandel? Wird mit Schiedsrichtern härter umgegangen als früher?
Das glaube ich nicht. Es wird nur anders. Der Umgang ist vielleicht etwas rauer geworden. Aber speziell in der Bundesliga ist der Umgang grundsätzlich gut. Natürlich kommt es mal zu emotionalen Ausbrüchen oder härteren Aussprüchen, aber es ist auch nicht die Regel, sondern eher Ausnahmen.
Gefühlt sind Profis aber schneller dabei, den Schiedsrichter bei jedem Pfiff zu kritisieren ...
Bei jedem nun auch nicht, aber es stimmt schon ein wenig. Nicht nur der Kapitän, sondern mehrere Spieler stürmen inzwischen nach Pfiffen auf den Schiedsrichter zu. Das finde ich nicht gut. Das hat in der Tat zugenommen. Auch, weil wir es als Schiedsrichter versäumt haben, dem Einhalt zu gebieten. Da sind wir jetzt aber auf einem guten Weg.
Wie kann das geschehen?
Man muss auf Sanktionen hinweisen. Und die muss man dann auch durchziehen. Nach einigen Vorfällen im Amateurfußball wollen wir wieder mehr Respekt schaffen. Da sind alle mit im Boot!
Helfen soll dabei auch Ihr Buch. Dass Sie dieses Buch geschrieben haben, hat auch den Hintergrund, den Schiedsrichterberuf etwas transparenter zu machen, oder?
Genau. Wenn der Schiedsrichter nicht wahrgenommen wird, ist das ja erst einmal ein Lob. Aber es ist inzwischen ein Berufsstand, und der wird mir immer noch nicht gut genug erklärt. Diesen Berufsstand ins gute Licht zu rücken, war eine Idee hinter dem Buch. Vor allem um zu erklären, warum dieser Beruf so schön ist.
Sie sind der erste aktive Schiedsrichter mit einem Buch. Gab es Kritik von Kollegen?
Ganz selten gab es welche, die gesagt haben, es wäre besser, noch zwei, drei Jahre zu warten. Ich weiß, dass man als aktiver Schiedsrichter an seinen Entscheidungen gemessen wird. Da kann es sein, wenn ich künftig eine falsche Entscheidung treffe, dass es dann heißt: „Der konzentriert sich nicht mehr auf die richtigen Sachen.“Ich mache es aber gerne, meinen Job nach außen zu erklären.
Als Schiedsrichter steht man immer mehr im Mittelpunkt, auch durch die immer größer werdende Zahl von Kameras. Merken Sie das auch im Privaten, dass Sie häufiger erkannt werden?
Ja, das merke ich in der Tat. Es ist immer interessant, wenn man ab und zu mal U-Bahn fährt und die Leute über einen sprechen. Aber mir schmeichelt das. Aber klar, man steht mehr im Fokus.
Stichwort Handspiel und Videoassistent: Können Sie die Diskussionen darüber überhaupt noch hören?
Ich muss sie ja hören können, weil sie akut sind. Ich kann sie ja nicht wegwischen, auch wenn es anstrengend ist, immer und immer wieder zu erklären, warum etwas gepfiffen wird oder nicht. Das ist halt eine Diskussion, bei der es nicht einfach Schwarz und Weiß gibt, sondern viele Spezialfälle.
Es wird alles professioneller. Wenn man sich anschaut, wie teilweise Ihr Wochenplan aussieht – das ähnelt doch stark dem Alltag eines Fußballprofis mit Krafttraining, Stretching ... Im Grunde haben Sie doch einen Profiberuf neben Ihrem Beruf als Polizisten, oder? Wäre es nicht Zeit für Profischiedsrichter?
Das ist genau der Punkt. Darüber wird auch nachgedacht beim DFB. Das ist ein Prozess, bei dem man aber alles bedenken muss. Ich finde das Modell, semiprofessionell zu arbeiten, auch nicht schlecht. Allerdings nur, wenn der Arbeitgeber mitspielt und es gewährleisten kann, dass man sich auf den Job als Schiedsrichter konzentrieren kann. Es kann schnell gehen, wie man bei mir sehen kann (Ittrich hatte mehrere Kreuzbandrisse und andere Verletzungen, Anm. der Red.). Dazu kann man auch als Schiedsrichter absteigen. Und plötzlich stehst du mit leeren Händen da. Schiedsrichter pfeifen schließlich nicht schon mit 18 Jahren in der Bundesliga wie manche Spieler.