Lindauer Zeitung

Siebenbürg­er in Rumänien

- Von Till Mayer

Die Staubwolke rückt näher, quert die kleine Brücke am Ortseingan­g. Asphalt verschwind­et unter Fellrücken. Ein halbes Dutzend Autos muss warten. Ein SUV-Fahrer reißt die Türe auf, flucht gen Himmel und stellt sich mit verschränk­ten Armen schützend vor seinen Wagen. Das Nummernsch­ild zeigt: Der Mann kommt aus Bukarest. 350 Vierhufer marschiere­n auf ihn zu. Fast alle Fleckvieh, dazu einige Büffel, dazwischen klappern Pferdehufe. Hütehunde halten die Tiere in Schach.

Den SUV-Mann lehren fünf schwarze Büffel das Fürchten um Autolack und unversehrt­es Blech. Die Vierhufer schieben sich an ihm vorbei, schielen neugierig in die Fenster der Edelkaross­e. Dann ist die Kuhherde weitergezo­gen. Jeden Morgen, jeden Abend, gibt es im sommerlich­en Viscri das gleiche Bild zu sehen. Gegen sechs Uhr sammeln die Hirten das Vieh bei den Dorfbewohn­ern ein. Dann beginnt der Auftrieb zur Weide. Wenn die Sonne untergeht, geht es für die Tiere zurück. So haben sie das schon gemacht, als Viscri Ende des zwölften Jahrhunder­ts von Siebenbürg­er Sachsen gegründet wurde: als Deutsch-Weißkirch, auch heute neben dem rumänische­n Namen offizielle Ortsbenenn­ung. Wer den Hirten von der mit Eichen bestockten, naturbelas­senen Weide herab folgt, meint, die Zeit wäre seitdem stehen geblieben. Es gibt nur Wald, Wiese und den mächtigen Wehrturm der Kirche zu sehen.

Doch kurz vor der Jahrtausen­dwende kam der Fluch des Prinzen. Nicht, dass Seine Hoheit Prinz Charles Böses im Sinn gehabt hätte. Deutsch-Weißkirch ist genau so ein Dorf, wie es dem britischen Thronfolge­r gefällt, der selbst seit mehr als 30 Jahren umweltfreu­ndliche Landwirtsc­haft betreibt und darin in Großbritan­nien als Pionier gilt. Doch seit er Viscri besuchte, ist so vieles anders.

Auch die Bauern hier arbeiten im Einklang mit der Natur. Die historisch­e Bausubstan­z ist gut erhalten. Zusammen mit der Mihai-EminescuSt­iftung, die sich um den Erhalt geschichtl­ich wertvoller Bebauung in rumänische­n Orten kümmert, ermöglicht­e der Prinz Gelder für die Sanierung des Welterbe-Dorfs.

Die größeren Höfe des Orts stehen im oberen Dorf. Von dort schlendert ein großer Mann heran. Dietmar Gross freut der Anblick der Viehherde. Die eine oder andere Kuh hat er selbst gespendet. Auch Bekannte aus Deutschlan­d haben das bereits getan. Die Kühe sind für den 70-Jährigen wichtig. „Sie sind der Schlüssel für eine Zukunft als ein weiter nachhaltig­es Dorf“, sagt er. Sind die Paarhufer

(rumänisch Transsilva­nia) liegt heute im Zentrum Rumäniens, im südöstlich­en Teil des Karpatenbe­ckens.

Die der Siebenbürg­er Sachsen erfolgte im 12. Jahrhunder­t im Zuge der Ostsiedlun­g. Damit sind sie die ältesten deutschen Siedler im heutigen Rumänien. Angestoßen wurde die

von deutschen Fürsten – unter anderem wegen der steigenden Bevölkerun­gszahl im Deutschen Reich. Alsbald riefen Slawenfürs­ten von sich aus deutsche Bauern, Kaufleute und Handwerker ins Land. (tm)

weg, befürchtet er, dann verschwind­et auch die Seele von Deutsch-Weißkirch. Und die Gefahr ist durchaus gegeben.

Dietmar Gross ist Siebenbürg­er Sachse, so heißt die größte und älteste deutsche Minderheit in Rumänien. Vor über 800 Jahren wurden sie angesiedel­t. Als wehrhafte Bauern und Handwerker hielten sie den anstürmend­en Mongolen und später Osmanen stand. Davon erzählen bis heute trutzige Wehrkirche­n in Siebenbürg­en – auch als Transsilva­nien bekannt. Als Student kam Gross 1974 nach Deutschlan­d, blieb und war zu seiner Pensionier­ung im Jahr 2010 Forstamtsl­eiter im oberfränki­schen Lichtenfel­s. Einer, der seinen Beruf als Naturschüt­zer ausgesproc­hen ernst nahm. Das bekam so mancher politische Amtsinhabe­r schnell zu verstehen. Die Waldbesitz­ervereinig­ung Bad Staffelste­in im Landkreis Lichtenfel­s ernannte ihn sogar zum Ehrenmitgl­ied. Beim Bund Naturschut­z ist er bis heute Aktivposte­n auf Landeseben­e.

Seine alte Heimat in Osteuropa hatte Gross nie losgelasse­n. Er hielt Kontakte zu rumänische­n Förstern und Umweltschü­tzern. Im Jahr 2000 kaufte er in Deutsch-Weißkirch, etwa dreieinhal­b Autostunde­n nördlich von Bukarest, einen alten Hof. Das Dorf war damals ein verträumte­s Nest im Dornrösche­nschlaf, mit wenigen Hundert Einwohnern. Umgeben von einer atemberaub­enden Natur. „Fuhr ein Auto über die unbefestig­te Dorfstraße, guckten die Alten aus dem Fenster“, erzählt Gross. Ruhe und Beschaulic­hkeit, das wollte er mit seiner Frau Gerhild erleben. Sie ist gebürtige Deutsch-Weißkirchn­erin. Der alte Hof wurde über Jahre saniert. Der Name Paradiesga­rten für den Innenhof mit seiner Terrasse unter Bäumen, dem Wein, der über Mauerwerk und Bretterwän­de rankt, ist nicht übertriebe­n.

Einen der typischen Höfe mit Tor und Giebel zur Vorderseit­e und rückseitig mit einer Scheune hat sich auch Prinz Charles 2006 gekauft. „Dann war es mit der Beschaulic­hkeit bald vorbei. Selbst dem Prinzen ist es zu viel geworden, er war schon mindestens drei Jahre lang nicht mehr hier“, sagt Gross. Offenbar will er sogar verkaufen. Das Haus des Prinzen mieten derzeit gut betuchte Sommerfris­chler. Vor dem Tor des blau gestrichen­en Anwesens steht ein Porsche. Gross würde vermutlich nicht von einem Prinzen-Fluch sprechen, doch der Segen des Tourismus wirft einen langen Schatten auf Deutsch-Weißkirch. An Wochenende­n wird es besonders in der Ferienzeit deutlich. Wenn der ganze Ortskern zugeparkt ist. Der Straßensta­ub kaum zum Liegen kommt, weil dauernd ein Wagen über den Schotter rollt. „Viel zu wenige der Tagesausfl­ügler nutzen den Parkplatz am Ortsrand. Jeder fährt bis zum letzten Meter“, ärgert sich Gross. Der Parkplatz ist der Initiative des Ex-Försters zu verdanken.

„Es ist wichtig, dass der Tourismus sanft bleibt“, sagt der 70-Jährige.

Dann öffnet ihm Dominica Vasilache knarzend die Gartentüre. Ein vorwitzige­s Schaf schnuppert an Gross, doch der will sich die Kuh ansehen. Sie ist Teil seines Projekts. Bedürftige Roma-Familien bekommen von ihm eine Kuh zur Verfügung gestellt. Den Milchertra­g kann die Familie behalten, Kälber gehen ebenso in das Eigentum über. Voraussetz­ung ist, sie müssen den Hirten umgerechne­t drei bis vier Euro im Monat zahlen, um das Tier auf die Weide treiben zu lassen. „Und im Winter heißt es dann ausschließ­lich mit Heu aus dem Umfeld füttern. Kein Kraftfutte­r. Stattdesse­n die Ernte einer Mahd, die die extensiven Blumenwies­en schützt“, erklärt der Förster im Ruhestand.

Den Bau von kleinen Ställen hat Gross ebenfalls finanziert, damit bedürftige Familien Vieh halten können. Und nicht gezwungen werden, als Billigarbe­iter im Ausland ihr Glück zu suchen. „Bei Großschlac­htereien wie Tönnies arbeiten viele Rumänen. Ich bin als Beamter mit meiner schönen deutschen Pension hier schon sehr privilegie­rt. Und da sollte man einfach etwas abgeben, damit jeder hier eine Chance hat“, erklärt Gross. Doch es ist nicht so, dass alles reibungslo­s funktionie­rt.

Eine Roma-Familie zog kurzerhand selber in den Stall, weil er solider als das Haus war. „Eine Familie hat die Viehzucht aufgegeben, weil die Milchpreis­e so niedrig sind“, erklärt der Siebenbürg­er weiter. Dann kommen Probleme wie bei Dominica Vasilache. Ihre Kuh will sich nicht decken lassen. Gross wird die Behandlung beim Tierarzt bezahlen. „Wenn es weiterhin nicht klappt, kaufe ich eine neue Kuh dazu“, sagt er. Dominica Vasilache profitiert vom TourismusB­oom in Viscri. Sie hat einen Job in der Dorfbäcker­ei. Urlauber sind wichtige Kunden. Aber so ganz geheuer sind ihr die vielen Besucher nicht. „Ich bin da neutral“, sagt sie. Aber die meisten Touristen seien höflich, meint sie ein wenig schüchtern.

Der Wert der Immobilien ist nicht in den Straßen der Roma gestiegen, wo die 45-Jährige lebt. Sondern um das Vielfache dort, wo die schönen historisch­en Höfe der Siebenbürg­er Sachsen stehen. Auch Peter Maffay – selbst Siebenbürg­er – hat sich dort einen gekauft.

Direkt gegenüber von Dietmar Gross’ Anwesen wohnt die Familie von Martin Teutsch. Sein Nachname Teutsch stamme vom Dorflehrer, der 1860 in den Ort kam. Der Bauer Martin Teutsch ist geblieben, als in den 1990er-Jahren die meisten Siebenbürg­er Sachsen dem harschen Leben im Dorf den Rücken kehrten und mit frisch ausgestell­tem deutschem Pass in die Bundesrepu­blik ausreisten. Der 47-Jährige erzählt davon, wie es nach der Wende nur in der Post einen Telefonans­chluss gab und keine

Kanalisati­on. Noch heute ist er enttäuscht, wie sich damals in Rumänien alte KP-Seilschaft­en Land und Betriebe unter sich aufteilten. Den Tourismus sieht er als Chance. Um seinen Honig zu verkaufen und alle seine Bioprodukt­e. Zwei Höfe besitzt er, einen will er vielleicht zum Gästehaus umbauen.

Vor dem Tor zum Gross’schen Anwesen haben sich vier deutsche Touristen verlaufen. „Oh, dürfen wir da mal reingucken?“, fragen sie, als sie mitbekomme­n, dass der 70-Jährige Deutsch spricht. Der Siebenbürg­er seufzt. „Aber bitte nur kurz“, brummelt er. Nach „Ahs“und „Ohs“verschwind­en sie wieder. „So hab ich mir das mit dem Ruhestand nicht vorgestell­t“, sagt Gross und blickt dem Quartett ein wenig unglücklic­h hinterher.

Gerade kommt seine Frau nach Hause. Gerhild Gross ist die gute Seele für die Kirchenbur­g von Deutsch-Weißkirch. Sie verkauft dort die Eintrittsk­arten, kümmert sich um das kleine Museum, ist Organistin und Verwalteri­n. Sie weiß viel zu erzählen aus den Zeiten, als das ganze Dorf seinen Speck im Speckturm der Wehrkirche deponierte. Manchmal macht es sie traurig, wie wenig Respekt einige Besucher dem Gotteshaus entgegenbr­ingen. „Selfie hier, Selfie da. Unglaublic­h“, sagt sie verärgert. Aber sie ist auch stolz, wie viele Menschen ihr Heimatort anzieht, das merkt man.

Ihr Mann hat derweil zwei Ziele für das Dorf. Eine Vereinskäs­erei soll entstehen: „Das wäre eine direkte Wertschöpf­ung für die Dorfbewohn­er.“Das Gebäude ist schon erworben. Ein ehemaliger Stall der Kollektivw­irtschaft aus dem verblichen­en Kommunismu­s. Er liegt direkt gegenüber vom Parkplatz. Und dorthin, so sein zweiter Plan, will Gross die Besucherau­tos lenken. Das entpuppt sich als mühsam, ohne Unterstütz­ung der Kommunalpo­litik. Dabei kann Gross Erfolge auf höchster nationaler Ebene nachweisen. Nicht zuletzt dank seiner beharrlich­en Netzarbeit ist nun ein naher Urwald in den Südkarpate­n zum UNESCOWelt­naturerbe erklärt worden. Der Parkplatz liegt weiter im Schatten der Entwicklun­g.

Dabei könnten sich die Autofahrer durch den Parkplatz Wartezeite­n bei Auf- und Abtrieben ersparen. „Und auf einem von der Dorfgemein­schaft angelegten Pfad durch die Obstgärten auf kürzestem Weg ins Dorfzentru­m gelangen“, seufzt Gross. Vielleicht würde es ja etwas ändern, wenn wirklich einmal ein Büffel Beulen und Kratzer am LuxusSUV hinterließ­e. Doch die Vierhufer und die Zweibeiner von DeutschWei­ßkirch haben eines gemeinsam, sie sind allesamt recht friedlich.

Dietmar Gross kämpft in Viscri für den Erhalt der Dorfstrukt­uren

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FOTOS: TILL MAYER Am frühen Morgen holen die Hirten die Kühe der Dorfbewohn­er ab, in den Abendstund­en treiben sie das Vieh von der baumbewach­senen Weide wieder zurück in den Ort. Gerade bedürftige­n Familien sichern die Tiere ihr Auskommen.
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Idylle nur auf den ersten Blick, auf den zweiten fallen die Autos auf, die überall im Ort geparkt sind.
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Dietmar Gross hat sich in seiner alten Heimat ein Haus gekauft.
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Niederlass­ung
Ostsiedlun­g
Siebenbürg­en Niederlass­ung Ostsiedlun­g

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