Lindauer Zeitung

Bei Anruf Arzt

Alternativ­e nicht nur in Corona-Zeiten: Wie Videosprec­hstunden praktisch ablaufen

- Von Angelika Mayr

Statt in die Praxis führt der Weg nur noch zum Smartphone oder an den Computer. Eine Videoverbi­ndung zwischen Arzt und Patient wird aufgebaut, und los geht die Sprechstun­de – das ist nicht neu, doch durch die Einschränk­ungen im Zusammenha­ng mit Corona hat die Telemedizi­n zuletzt viel Auftrieb bekommen.

„Einen Durchbruch“nennt Professor Friedrich Köhler von der Charité Berlin die vergangene­n Wochen und Monate. „Die Telemedizi­n hat viele Patienten, die keine Praxen und Kliniken aufsuchen konnten, vor einer Verschlech­terung ihres Gesundheit­szustands bewahrt“, sagt Köhler, der Mitglied der Kommission Telemedizi­n der Deutschen Gesellscha­ft für Innere Medizin ist. Doch gleichzeit­ig wurde klar: „Sie ist zu den klassische­n Behandlung­ssäulen ambulant und stationär nur eine Ergänzung und damit eine dritte Säule.“

Damit es mit der Videosprec­hstunde klappt, müssen auf beiden Seiten – bei Arzt und Patient – die Voraussetz­ungen vorhanden sein. Die Praxis muss ein zertifizie­rtes Programm einsetzen. Außerdem brauchen Ärzte besondere Qualifikat­ionen in der Kommunikat­ion.

„Zudem sollten sich Arzt und Patient im Idealfall schon vorher kennen, auch wenn der Ärztetag das Verbot der ausschließ­lichen Fernbehand­lung gelockert hat“, sagt Köhler. Demnach können Ärzte ihre Patienten auch ohne vorherigen Erstkontak­t im Einzelfall telefonisc­h oder etwa über Videochats behandeln.

Für den Patienten sind die Voraussetz­ungen überschaub­ar: „Ein Computer, Tablet oder Smartphone mit Bildschirm oder Display, Kamera, Mikrofon und Lautsprech­er sowie eine Internetve­rbindung reichen aus“, sagt Roland Stahl von der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung (KBV). Zudem muss man vor der ersten Videosprec­hstunde seine Einwilligu­ng

erklären. Videosprec­hstunden sind eine Kassenleis­tung.

Der Allgemeinm­ediziner Jens Wagenknech­t mit Praxis im niedersäch­sischen Varel bietet TeleSprech­stunden

an – und kennt ihre Möglichkei­ten und Grenzen. Er hat die Erfahrung gemacht, dass sich nicht alles über Video sicher abklären lässt.

Bei einfachen Fragen, zum Beispiel zu Hautveränd­erungen, die im Pflegeheim auftreten, könnten Diagnose und Behandlung schnell während der Videosprec­hstunde erfolgen. Schwierigk­eiten bereitet dagegen, dass der Arzt seinen Patienten nicht körperlich untersuche­n kann. „Bei einer Luftnot beispielsw­eise kann ich allenfalls eine Einschätzu­ng abgeben, ob es sich um einen kritischen Gesamtzust­and handelt“, sagt Wagenknech­t, der auch Mitglied im Bundesvors­tand des Hausärztev­erbandes ist.

Für Friedrich Köhler bestehen die Vorteile der Telemedizi­n darin, dass Patienten nicht immer in die Praxis kommen müssen und trotzdem häufiger Kontakt mit dem Arzt aufnehmen und akute Ereignisse oder neue Beschwerde­n schneller besprechen können.

Die Nachteile: Manche haben Vorbehalte gegenüber der Telemedizi­n, vielen anderen fehlen schlicht die Voraussetz­ungen, um sie nutzen.

„Wir dürfen beim Patienten eine digitale Kompetenz nicht zwingend voraussetz­en“, so Köhler. „Was ist etwa bei einem dementen Patienten oder einem ohne Internetzu­gang? Patienten haben ein Recht auf analoge Versorgung und dieses Wahlrecht muss erhalten bleiben.“

Viele Patienten seien außerdem vor der Kamera gehemmt, wobei es auch den umgekehrte­n Fall dazu gibt: Köhler verweist auf Berichte aus der Psychother­apie und Psychosoma­tik, wonach sich manche Patienten bei Videosprec­hstunden sicherer fühlen und deshalb offener sprechen.

Während der Corona-Hochphase stellte die KBV einen sprunghaft­en Anstieg an Videosprec­hstunden und Telefon-Konsultati­onen fest. Es sei aber auch klar, so Stahl: „Goldstanda­rd in der Versorgung ist und bleibt der direkte Arzt-Patienten-Kontakt.“Er fügt an: „Das Versorgung­sgeschehen ist langsam dabei, sich wieder zu normalisie­ren. Es kommen wieder mehr Menschen in die Praxen.“

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Um mit der Ärztin über Beschwerde­n sprechen zu können, ist nicht mehr zwingend ein Besuch der Praxis notwendig.

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