Die Bauernorchidee breitet sich aus
Fahrradfahrern und Wanderern wird es vermutlich schon aufgefallen sein: an vielen Wegrändern und Böschungen von Wasserläufen wachsen häufig zwei Meter hohe langstielige Grünpflanzen, die von Juni bis zum ersten Frost auffällig pinkfarben blühen.
Diese Pflanze nennt sich Drüsiges Springkraut und ist im Volksmund auch als Himalaya-Balsamine oder Bauernorchidee bekannt. Warum tritt diese Art seit einiger Zeit so oft in unserer Natur auf? Hat das womöglich etwas mit uns Hobbygärtnern zu tun?
Ursprünglich stammt dieses Kraut vom indischen Subkontinent und sollte vor rund 50 Jahren zunächst unsere Blumenbeete verschönern und Honigbienen als neuartige Futterpflanze dienen. Der Sprung über unsere Gartenzäune fiel dieser Art recht leicht, denn, wie der Name schon sagt, werden die Samen bei der geringsten Erschütterung meterweit geschleudert. Von dort gibt es kein Halten mehr. Samen kleben an Autoreifen oder werden durch Flüsse und Bäche über weite Strecken transportiert. Fasst das Springkraut an neuen Stellen einmal Fuß, so überwächst es aufgrund seiner enorm schnellen Wuchskraft die heimische Vegetation. Brennnessel und Co. haben kaum eine Chance sich dagegen zu behaupten und werden verdrängt. Somit entstehen neue Landschaftsbilder.
Das Springkraut ist nur ein Beispiel für viele weitere Arten, von denen manche sogar aufgrund ihrer Inhaltsstoffe starke allergische Reaktionen bei uns Menschen hervorrufen können.
Das alles ist nicht schön, aber: was passiert ist, ist passiert. Trotzdem können auch wir in unserem täglichen Tun einen präventiven Beitrag leisten, um eine weitere Vermehrung gebietsfremder Arten zu unterbinden. Am besten gelingt dies dadurch, dass wir die kostenlose Abgabe von Grünmüll beim örtlichen Wertstoffhof nutzen und nicht in der freien Natur entsorgen.
Tina Balke ist Pflanzenärztin. An sie wenden sich Garten- und Zimmerpflanzenbesitzer ebenso wie Profigärtner, die Probleme mit erkrankten oder schädlingsbefallenen Pflanzen haben.
Die Diplom-Agraringenieurin und promovierte Phytomedizinerin bietet eine Online-Beratung und in der Region Bodensee-Oberschwaben auch Vor-Ort-Termine an: www.die-pflanzenaerztin.de
Jochen Paleit macht sich auf den Weg durch das Naturschutzgebiet Taubergießen am Oberrhein. Schon nach wenigen Metern begegnet er tierischen Landschaftspflegern. 40 Rinder und Wildpferde grasen in Wäldern und auf Wiesen. Sie helfen vom Aussterben bedrohte Tier- und Pflanzenarten zu retten. Hierfür leben sie frei und eigenständig auf 100 Hektar Fläche. Fünf Jahre nach dem Start des Projektes ziehen die Verantwortlichen eine positive Bilanz. Und finden Nachahmer in anderen Orten und Regionen im Südwesten.
„Es ist gelungen, äußerst selten gewordene Tier- und Pflanzenarten durch den Einsatz von Rindern und Pferden wieder zum Leben und Blühen zu bringen“, sagt Paleit, Bürgermeister von Kappel-Grafenhausen im Ortenaukreis. Das Projekt „Wilde Wald-Weiden Taubergießen“ist seinen Angaben zufolge einmalig in Deutschland. Es greift auf eine jahrhundertealte Form der Tierhaltung zurück: das freie Leben der Tiere im Wald. „Dies war früher die typische Nutzungsform, doch seit 1830 ist das Weiden von Tieren im Wald verboten.“Kappel-Grafenhausen schaffte es, für das Projekt von diesem Verbot ausgenommen zu werden. Die 5000Einwohner-Gemeinde grenzt an den durch den Europapark bekannten Ort Rust.
Die Rinder und Pferde leben und weiden das ganze Jahr über im Freien in dem Naturschutzgebiet und halten es so ökologisch am Leben. Ähnliche Formen der Beweidung, in kleineren Dimensionen und unter anderem mit Büffeln, gibt es auch in anderen Orten im Südwesten, sagt eine Sprecherin der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg in Freiburg. Doch während andernorts die Tiere auf Weiden stehen, ist nur im Taubergießen auch der Wald ihr Revier. 70 Hektar Wald stehen zur Verfügung. Hinzu kommen 30 Hektar Wiesen.
„Die Wildtiere sind im Wald und auf Weiden aktiv unterwegs und helfen Artenvielfalt herzustellen und weiterzuentwickeln“, sagt Bettina Saier, Leiterin der ökologischen Station im Taubergießen: Der Dung der Tiere ziehe Insekten und Kleinstlebewesen und somit auch Vögel an. Er sorge dafür, dass bedrohte Wildpflanzen sowie Kräuter wachsen und gedeihen. Das Grasen der Tiere halte Wiesen am Leben, das Unterholz in dem ökologisch bedeutsamen Rheinauenwald werde gelichtet. Unter anderem Feldhasen und Eidechsen profitieren davon.
Mit ihren Hufspuren lockern Rinder und Pferde Wege und Schlamm. Sie machen den Boden attraktiv für Kleintiere und sorgen dafür, dass Samen in den Boden kommen, keimen können und so Pflanzen wachsen. Und wenn sich die Vierbeiner an einem Baum kratzen, finden Vögel und Insekten in den Kratzspuren am Baum Nahrung und eine neue Heimat. „Es ist ein ökologischer Kreislauf, der verloren gegangen war“, sagt Paleit. Intensive Landwirtschaft, Eingriffe des Menschen und das Ende der freien Tierhaltung in der Natur schadeten der Landschaft und der Tierwelt. Um gegenzusteuern, holte Kappel-Grafenhausen die Tiere aus dem Stall und schickte sie in einem der größten Naturschutzgebiete Baden-Württembergs in die freie Wildbahn. „Wir machen einen Salto rückwärts in die Zukunft“, sagt der Bürgermeister.
Eingesetzt werden halbwilde Salers-Rinder, eine alte französische Rinderrasse aus dem Zentralmassiv, sowie Konik-Pferde. „Den Tieren geht es gut“, sagt Landwirt Tilman Windecker, der Halter der Tiere. „In dem Gebiet finden sie genügend Nahrung.“Lediglich im Winter lege er für sie gelegentlich einen Ballen Heu ab. Mehr brauche es nicht. Einmal im Jahr müssten sie zur Blutuntersuchung. Medikamente, wie in der konventionellen Tierhaltung, seien nicht notwendig. Das mache den Dung natürlich und gut für Insekten
und Kleinstlebewesen. Mit den Jahren ist die Herde gewachsen, einige Jungtiere kamen zur Welt – ohne dass Menschen helfen mussten. Komplett abgeschirmt sind die Tiere nicht. Mehrere Wanderwege durchziehen das Gebiet. Das Miteinander von Mensch und Tier funktioniere, sagt der Landwirt, solange Menschen auf den ausgeschilderten Wegen bleiben.
Der Erfolg des Projektes wird von Behörden und Naturschützern dokumentiert. Selten gewordene Vögel wie Wendehals, Goldammer, Kehlchen und Wiedehopf, Insekten, Schmetterlinge und Störche sind zurück in dem Gebiet. Der Bestand des Vogels Neuntöter hat sich den Angaben zufolge nahezu verdreifacht. Wildpflanzen, die es lange nicht mehr gab, wachsen. Das Bild der Natur verändere sich so, sagt Paleit. Der Wald sei lichter, die Landschaft vielfältiger. Taubergießen werde so ein Ort mit hohem Erholungswert. Davon profitierten alle.
Mit dem Projekt betrat die Gemeinde am Oberrhein Neuland, sagt Regina Ostermann vom Landschaftserhaltungsverband (LEV). Es strahlt inzwischen überregional aus. In Bahlingen am Kaiserstuhl (Kreis Emmendingen) werde ein ähnliches Projekt realisiert. Und einige der Pferde aus dem Taubergießen leben mittlerweile auf den Grinden im Nationalpark im Nordschwarzwald und gestalten dort die Landschaft.