Mit dem elektrischen ID4 will VW weltweit punkten
Nach dem ID3 im Golf-Format reichen die Wolfsburger nun einen kleinen Geländewagen nach
Der ID3 war nur das Vorspiel. Denn so wichtig er als Leuchtturm der elektrischen Absichten in Wolfsburg auch sein mag, so ist er doch ein rein europäisches Phänomen und in großen Ganzen deshalb nur eine kleine Nummer. Mit dem ID 4 macht VW jetzt richtig ernst mit der Mobilisierung der Massen. Denn als halbwegs kompaktes SUV aus den Modularen Elektrifizierungsbaukasten MEB bedient der lange Fünfsitzer nicht nur das wachstumsstärkste Segment im globalen Geschäft. Sondern mit der Stammproduktion in Zwickau, zwei Werken in China und einem in den USA wird er zudem zum ersten MEB-Auto für die ganze Welt. Wenn man bedenkt, wie deutlich der Tiguan beim Absatz mittlerweile den Golf überholt hat, dann bestehen an der Führungsrolle des ID4 kaum Zweifel – selbst wenn er rund 7000 Euro teurer ist als ein ID3 und deshalb bei rund 37 000 Euro starten wird.
Dafür gibt es einen knapp 4,60 Meter langen Fünfsitzer, der bei identischem Radstand von 2,77 Metern deutlich mehr Platz bietet als der ohnehin schon geräumige ID3. Nicht nur der deutlich längere Tiguan Allspace kann sich vor allem von der Beinfreiheit im Fond etwas abschneiden und bei knapp 600 Litern Kofferraum nur mühsam ein paar Punkte machen, sondern auch das Tesla Model Y, das ja nur ein paar hundert Kilometer nördlich des ID4 in Grünheide vom Band laufen soll, sieht plötzlich nicht mehr ganz so gut aus: Es mag neben dem organisch, fast schwülstig gezeichneten ID4 zwar lean und clean wirken, und die Coolness im radikal reduzierten Cockpit ist unerreicht. Doch obwohl noch eine Handbreit länger als der ID4 und sogar als Siebensitzer angekündigt, fehlen den Amerikanern zum VW innen sechs Zentimeter, sagen die Entwickler stolz. Auch bei der Materialauswahl hat VW kräftig nachgelegt, mehr Softtouch-Lacke verstrichen und reichlich Zierrat installiert.
Dafür muss sich der ID4 in den eigenen Reihen an Platz zwei einsortieren. Denn wie immer stiehlt die Tochter Skoda der Mutter VW die Schau. Die durften ihren Enyaq nicht nur bereits enthüllen, während VW das Tuch erst Ende September lüftet, sondern sie haben auf der gleichen Plattform auch mal wieder das größere Auto gebaut, für das sie auch noch weniger Geld verlangen. Und zumindest in den Augen vieler Betrachter sieht der Enyaq obendrein noch frischer und andersartiger aus als der ID4.
Doch mit dem Anderssein war VW bewusst sehr vorsichtig. Denn die Niedersachsen müssen Masse machen und deshalb viele Kunden aus der alten Welt in die neue Zeit holen. Und die sind bei VW etwas konservativer als anderswo.
Weil schon das digitalisierte Interieur mit dem winzigen Bildschirm hinter dem Lenkrad, dem großen
Touchscreen daneben und dem Gangknubbel dazwischen eine arge Transferleistung erfordert, ist weder das Design besonders avantgardistisch, noch unterscheidet sich das Fahrverhalten groß von einem konventionellen SUV.
Klar ist der ID4 ein bisschen schwerer als Tiguan & Co, weil die Akkus im Wagenboden kräftig aufs Gewicht drücken. Doch dafür hat er auch den spontanen Antrieb des EMotors. Und was ihm in Kurven an Elan fehlen mag, machen die Progessivlenkung und das adaptive Fahrwerk locker wett. Ganz entspannt durch die Stadt oder über die Bundesstraße und ein bisschen engagierter auf einer Landpartie – der ID4 kann beides. Die Feldwege und Schotterpisten auf dem VW-Testgelände jedenfalls sind für die Prototypen kein Hindernis.
Umstellen müssen sich dagegen versierte E-Fahrer. Denn aus Respekt vor den alten Gewohnheiten der Verbrennerfahrer hält sich der ID4 beim Rekuperieren deutlich zurück. Selbst wer den Wählhebel auf B stellt, braucht deshalb sehr sehr viel Weitblick für das bei Stromern ach so populäre One-Pedal-Fahren. Aber so richtig wichtig ist die Energierückgewinnung auch nicht. Schließlich stecken im Bauch vergleichsweise große Batterien. Schon das Einstiegsmodell fährt mit netto 52 kWh und kommt so auf eine WLPT-Reichweite von 350 Kilometern. Wer weiter oben zuschlägt in der Modellhierarchie, der bekommt 77 kWh und kann mit knapp 520 Kilometern kalkulieren. Geladen wird dabei je nach Batterie mit bis zu 100 oder 125 kW, sodass die ersten 80 Prozent des Akkus im besten Fall in weniger als 45 Minuten wieder befüllt sind.
Auch beim Antrieb bietet VW überraschend viel Auswahl: Zum Start gibt’s den ID4 mit nur einem Motor im Heck, der per Software in vier Stufen zwischen 109 und 150 kW kalibriert wird. Das reicht für einen Sprint von 0 auf 100 in 8,5 Sekunden und für ein Spitzentempo von 160 km/h. Nächstes Jahr bringt VW dann noch ein Top-Modell und spendiert ihm eine zweite Maschine mit 75 kW im Bug. Dann klettert die Systemleistung nach alter Währung auf mehr als 300 PS, es gibt standesgemäßen Allradantrieb und das Spitzentempo wird auf etwa 180 km/h angehoben.
Ein Problem hat VW aber noch nicht gelöst: Genau wie beim ID3 ist die Software zur Markteinführung nicht vollständig und ein paar Funktionen wie die Augmented Reality fürs Head-Up-Display gibt es erst später als kostenloses Update.