Liebesgrüße aus Moskau
Kremlnahe Medien verdächtigen angebliche Geliebte, Nawalny vergiftet zu haben
Offiziell streitet der Kreml ab, dass Alexei Nawalny vergiftet wurde. Aber kremlnahe Medien arbeiten eifrig an einer weiblich-dämonischen Parallelversion. Sie ist brünett, lockig, hat ein hübsches Gesicht. Aber vor allem ist sie rätselhaft. Seit Wochen fahndet Moskaus Boulevardpresse nach ihr. Nach der „geheimnisvollen schönen jungen Frau“, so das kremlnahe Klatschportal life.ru, die Nawalny „diskret auf seiner Reise begleitete“. Schon einen Tag nach Alexei Nawalnys Vergiftung im sibirischen Tomsk bezeichnete life.ru diese Frau als „pikante Einzelheit aus seinem Privatleben". Eine 33-jährige Russin namens
wohnhaft in London, seit 2009 für Nawalnys Antikorruptionsstiftung FBK aktiv. Sie verkehre nur mit Nawalny persönlich, seine engsten Mitstreiter wüssten nicht von ihr.
Das offizielle Russland hat sich im Fall Nawalny längst festgelegt: Bei zahlreichen Analysen vaterländischer Mediziner seien in Nawalnys Körper keinerlei Giftstoffe gefunden worden, erklärte Kremlsprecher Peskow schon vor Wochen. Aber offiziöse Medien wie life.ru, die staatliche Massenzeitung „Komsomolskaja Prawda“oder die Agentur riafan.ru
Maria Pewtschich,
des kremlnahen Unternehmers Jewgeni Prigoschin arbeiten eifrig an einer Parallelversion: Maria Pewtschich, so unbekannt wie dämonisch, sei Nawalnys Geliebte gewesen und womöglich auch seine Giftmörderin.
Angeblich besitze Pewtschich in Großbritannien ein Luxusappartement und eine Kette von Buchläden, schreibt die „Komsomolskaja Prawda“. „Gewöhnlich dienen solche Läden als Unterschlupf für westliche Spione“. Und die gelernte Soziologin betreibe Wettkampfsport nach einem Programm der US-Marineinfanterie. Außerdem besitze ihr Vater ein biochemisches Labor.
Das Portal pravda.ru schreibt über Streit zwischen Nawalny und einem seiner Geldgeber, dem nach London exilierten Geschäftsmann Wladimir Aschurkow. Nawalny wolle seine Stiftung FBK dicht machen, Aschurkow sei dagegen. Schließlich habe Aschurkow Pewtschich geschickt. Und die sei Nawalny auf seiner Sibirienreise keinen Schritt von der Seite gewichen. „Sie hat buchstäblich die Nächte in seinem Hotelzimmer verbracht“, versichert eine anonyme Quelle. Gemeinsame Nächte in einem Doppelbett beschwören auch riafan.ru und die „Komsomolskaja
Prawda“. Mit fast letalem Ausgang für Nawalny. „Sie konnte ihm alles Mögliche anbieten, oder einfach die Wasserflasche austauschen.“Nawalnys Umgebung reagiert mit Gelächter auf die Anschuldigungen. Der Antikorruptionsermittler Georgi Alburow gehörte wie Pewtschich zu dem sechsköpfigen Rechercheteam, das Nawalny nach Sibirien begleitete. Er schrieb auf Instagram, er arbeite seit acht Jahren mit ihr zusammen, es sei widerlich, dass die Medien jetzt Jagd auf sie und ihre Verwandten statt auf Nawalnys Giftattentäter machten. Die FBK-Juristin Ljubow Sobol, die als Vertraute Nawalnys gilt, bezeichnet Pewtschich als gute Freundin und hochanständigen Mensch. „Dieser Schwachsinn über sie dient dazu, die allgemeine Aufmerksamkeit davon abzulenken, dass in unserem Land Oppositionelle mit chemischen Kampfstoffen vergiftet werden.“Nun spekulieren die kremlnahen Medien, ob Maria Pewtschich eine Wasserflasche mit Gift nach Russland hereinund dann wieder hinausgeschmuggelt habe, und fordern von der EU Auskunft über ihren Aufenthaltsort. Laut der Agentur RBK sucht die russische Polizei inzwischen nach ihr.
Stefan Scholl, Moskau