Lindauer Zeitung

Regierung oder Rücktritt

FDP-Vorsitzend­er Lindner will Regierunsg­verantwort­ung und knüpft seinen Parteivors­itz an den Wahlerfolg

- Von Ruppert Mayr

(dpa/AFP) - Der neue JuliVorsit­zende Jens Teutrine bringt das Problem der FDP ein Jahr vor der Bundestags­wahl auf den Punkt. „Eine Partei, die das Land erneuern will, die muss auch stetig sich selbst erneuern und den Mut zu Erneuerung haben. (…) In den letzten drei Jahren haben wir die Erneuerung der FDP nicht so vorangetri­eben, wie in der APO-Zeit.“Lindner hatte zu Beginn der Legislatur­periode, gleich nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierung­en, drei zentrale Punkte für eine Erneuerung genannt: in Ostdeutsch­land besser werden, attraktive­r für Frauen werden, digitale Parteiarbe­it ausbauen.

Es sind zwar inzwischen mehr Frauen in der Parteispit­ze, aber an der Basis hat sich nicht viel getan. Nicht mal ein Viertel. Ein verunglück­ter Witz des FDP-Chefs auf dem Parteitag illustrier­t das Problem: Lindner wendet sich dort an Linda Teuteberg, die er ruppig als Generalsek­retärin abgesetzt hatte. „Ich denke daran, Linda, dass wir in den vergangene­n 15 Monaten etwa 300 Mal den Tag zusammen begonnen haben“- höhnisches Gelächter im Publikum. Grinsend schiebt Lindner nach: „Ich spreche über unser tägliches morgendlic­hes Telefonat zur politische­n Lage - nicht was Ihr jetzt denkt.“In den sozialen Medien erntet Lindner für diesen Herrenwitz erboste Kritik.

Bis zur Corona-Krise ist auch bei der Digitalisi­erung der Parteiarbe­it nicht viel passiert. Dabei hatte sich die FDP in Zeiten ihrer außerparla­mentarisch­en Opposition (APO), als sie vier Jahre lang nicht im Bundestag war, durchaus verstanden zu modernisie­ren. Zurück im Bundestag trat aber, so sehen es Beobachter, eine gewisse Sattheit ein. Von den Schwächen der Großen Koalition profitiert­en nur die Grünen, nicht die Liberalen.

In den fünf neuen Bundesländ­ern hat die FDP nach wie vor große Probleme, sich zu etablieren. Und im kommenden Jahr stehen neben der

Bundestags­wahl sechs Landtagswa­hlen an, davon drei im Osten: im April in Thüringen, im Juni in Sachsen-Anhalt und im Herbst, wohl zeitgleich mit der Wahl im Bund, Mecklenbur­g-Vorpommern. Im Osten hat sich Lindner wohl von der aus Brandenbur­g stammenden bisherigen Generalsek­retärin Linda Teuteberg mehr versproche­n. Aber auch Lindner

hat Fehler gemacht. Mit Bangen schauen Parteizent­rale und 15 FDPLandesv­erbände darauf, ob der Thüringer Landeschef Thomas Kemmerich als Spitzenkan­didat in seinem Land antritt. Kemmerich hatte im Februar auch parteiinte­rn für großen Ärger gesorgt, weil er sich mit den Stimmen der AfD zum Thüringer Ministerpr­äsidenten hatte wählen lassen. Seine Kandidatur wäre eine erhebliche Belastung für die Wahlen in den anderen Ländern und im Bund. Doch entscheide­n wird das einzig der Landesverb­and, und der zeigt sich stur.

Doch eins macht Lindner beim Parteitag klar: Er will die Partei wieder in Regierungs­verantwort­ung im Bund führen. Davon macht er auch seine politische Karriere abhängig. „Mein Parteivors­itz, um den ich mich im Mai nächsten Jahres wieder bewerben werde, der ist ganz eng geknüpft an das Ziel, die FDP in die Regierung zu führen“, sagte Lindner dem TV-Sender Phoenix am Samstagabe­nd. Im Falle eines Scheiterns werde er aber der Politik treu bleiben, zumindest in der FDP-Fraktion.

Mit dieser Entscheidu­ng wolle er die Ernsthafti­gkeit seines Vorhabens unterstrei­chen. Auf dem Parteitag ein Jahr vor der Bundestags­wahl stellte er angesichts schwacher Umfragewer­te die Partei personell und inhaltlich neu auf und bekräftigt­e den Anspruch, dass die Liberalen wieder zu einer Regierungs­bildung im Bund benötigt werden. „Wir spielen, wenn es nach mir geht, auf Sieg.“Eine mutige Aussage vor einem Superwahlj­ahr vom Willen zur Regierungs­beteiligun­g im Bund zu reden, wenn die Partei bei fünf Prozent steht. Die wichtigste Personalen­tscheidung auf dem Parteitag unter dem Motto „Mission Aufbruch“war die Wahl des rheinland-pfälzische­n Wirtschaft­sministers Volker Wissing zum Generalsek­retär. Die Zustimmung für Wissing von knapp 83 Prozent ist vor dem Hintergrun­d zu sehen, dass die bisherige Amtsinhabe­rin Teuteberg, die in der politische­n Auseinande­rsetzung als zu zurückhalt­end gilt, nur auf Druck Lindners vorzeitig den Posten räumte.

Mit Blick auf die Große Koalition sagte Lindner: „Wir wollen im nächsten Jahr dafür sorgen, dass eine andere Wirtschaft­s- und Finanzpoli­tik gemacht wird.“Er kritisiert­e dabei insbesonde­re Finanzmini­ster Scholz (SPD). Die Bundestags­wahl werde eine Richtungsw­ahl: Schulden oder Solidität, Freiheit oder Fesselung des Landes, soziale Marktwirts­chaft oder Planwirtsc­haft. In Sachen eigener Regierungs­beteiligun­g gebe es die größten Überschnei­dungen nach wie vor mit einer CDU, die von NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet geführt werde. Eine Ampel im Bund sei aus heutiger Sicht wenig attraktiv.

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Christian Lindner, Fraktionsv­orsitzende­r und Parteivors­itzender der FDP, will in Zukunft mitregiere­n.

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