Regierung oder Rücktritt
FDP-Vorsitzender Lindner will Regierunsgverantwortung und knüpft seinen Parteivorsitz an den Wahlerfolg
(dpa/AFP) - Der neue JuliVorsitzende Jens Teutrine bringt das Problem der FDP ein Jahr vor der Bundestagswahl auf den Punkt. „Eine Partei, die das Land erneuern will, die muss auch stetig sich selbst erneuern und den Mut zu Erneuerung haben. (…) In den letzten drei Jahren haben wir die Erneuerung der FDP nicht so vorangetrieben, wie in der APO-Zeit.“Lindner hatte zu Beginn der Legislaturperiode, gleich nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen, drei zentrale Punkte für eine Erneuerung genannt: in Ostdeutschland besser werden, attraktiver für Frauen werden, digitale Parteiarbeit ausbauen.
Es sind zwar inzwischen mehr Frauen in der Parteispitze, aber an der Basis hat sich nicht viel getan. Nicht mal ein Viertel. Ein verunglückter Witz des FDP-Chefs auf dem Parteitag illustriert das Problem: Lindner wendet sich dort an Linda Teuteberg, die er ruppig als Generalsekretärin abgesetzt hatte. „Ich denke daran, Linda, dass wir in den vergangenen 15 Monaten etwa 300 Mal den Tag zusammen begonnen haben“- höhnisches Gelächter im Publikum. Grinsend schiebt Lindner nach: „Ich spreche über unser tägliches morgendliches Telefonat zur politischen Lage - nicht was Ihr jetzt denkt.“In den sozialen Medien erntet Lindner für diesen Herrenwitz erboste Kritik.
Bis zur Corona-Krise ist auch bei der Digitalisierung der Parteiarbeit nicht viel passiert. Dabei hatte sich die FDP in Zeiten ihrer außerparlamentarischen Opposition (APO), als sie vier Jahre lang nicht im Bundestag war, durchaus verstanden zu modernisieren. Zurück im Bundestag trat aber, so sehen es Beobachter, eine gewisse Sattheit ein. Von den Schwächen der Großen Koalition profitierten nur die Grünen, nicht die Liberalen.
In den fünf neuen Bundesländern hat die FDP nach wie vor große Probleme, sich zu etablieren. Und im kommenden Jahr stehen neben der
Bundestagswahl sechs Landtagswahlen an, davon drei im Osten: im April in Thüringen, im Juni in Sachsen-Anhalt und im Herbst, wohl zeitgleich mit der Wahl im Bund, Mecklenburg-Vorpommern. Im Osten hat sich Lindner wohl von der aus Brandenburg stammenden bisherigen Generalsekretärin Linda Teuteberg mehr versprochen. Aber auch Lindner
hat Fehler gemacht. Mit Bangen schauen Parteizentrale und 15 FDPLandesverbände darauf, ob der Thüringer Landeschef Thomas Kemmerich als Spitzenkandidat in seinem Land antritt. Kemmerich hatte im Februar auch parteiintern für großen Ärger gesorgt, weil er sich mit den Stimmen der AfD zum Thüringer Ministerpräsidenten hatte wählen lassen. Seine Kandidatur wäre eine erhebliche Belastung für die Wahlen in den anderen Ländern und im Bund. Doch entscheiden wird das einzig der Landesverband, und der zeigt sich stur.
Doch eins macht Lindner beim Parteitag klar: Er will die Partei wieder in Regierungsverantwortung im Bund führen. Davon macht er auch seine politische Karriere abhängig. „Mein Parteivorsitz, um den ich mich im Mai nächsten Jahres wieder bewerben werde, der ist ganz eng geknüpft an das Ziel, die FDP in die Regierung zu führen“, sagte Lindner dem TV-Sender Phoenix am Samstagabend. Im Falle eines Scheiterns werde er aber der Politik treu bleiben, zumindest in der FDP-Fraktion.
Mit dieser Entscheidung wolle er die Ernsthaftigkeit seines Vorhabens unterstreichen. Auf dem Parteitag ein Jahr vor der Bundestagswahl stellte er angesichts schwacher Umfragewerte die Partei personell und inhaltlich neu auf und bekräftigte den Anspruch, dass die Liberalen wieder zu einer Regierungsbildung im Bund benötigt werden. „Wir spielen, wenn es nach mir geht, auf Sieg.“Eine mutige Aussage vor einem Superwahljahr vom Willen zur Regierungsbeteiligung im Bund zu reden, wenn die Partei bei fünf Prozent steht. Die wichtigste Personalentscheidung auf dem Parteitag unter dem Motto „Mission Aufbruch“war die Wahl des rheinland-pfälzischen Wirtschaftsministers Volker Wissing zum Generalsekretär. Die Zustimmung für Wissing von knapp 83 Prozent ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die bisherige Amtsinhaberin Teuteberg, die in der politischen Auseinandersetzung als zu zurückhaltend gilt, nur auf Druck Lindners vorzeitig den Posten räumte.
Mit Blick auf die Große Koalition sagte Lindner: „Wir wollen im nächsten Jahr dafür sorgen, dass eine andere Wirtschafts- und Finanzpolitik gemacht wird.“Er kritisierte dabei insbesondere Finanzminister Scholz (SPD). Die Bundestagswahl werde eine Richtungswahl: Schulden oder Solidität, Freiheit oder Fesselung des Landes, soziale Marktwirtschaft oder Planwirtschaft. In Sachen eigener Regierungsbeteiligung gebe es die größten Überschneidungen nach wie vor mit einer CDU, die von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet geführt werde. Eine Ampel im Bund sei aus heutiger Sicht wenig attraktiv.