Lindauer Zeitung

Das zweite Leben der Solardäche­r

Wie sich Solarstrom nach dem Ende der EEG-Förderung vermarkten lässt

- Von Hannes Koch

- Große Veränderun­gen stehen den deutschen Sonnenpion­ieren bevor. Wer vor 20 Jahren eine Solaranlag­e auf das Hausdach schraubte, war früh dran. Damals begann die Energiewen­de erst. Heute stammt fast die Hälfte allen Stroms aus Ökokraftwe­rken. Doch den Vorreitern wird ab Ende diesen Jahres die finanziell­e Förderung gestrichen. Was können sie mit ihrer sauberen Elektrizit­ät dann überhaupt noch anfangen?

Etwa 18 000 kleine Solaranlag­en – viele von ihnen in ländlichen Regionen auf Dächern von Wohnhäuser­n und Bauernhöfe­n – bekommen ab nächsten Januar planmäßig keine Einspeisev­ergütung mehr. Für jede ins öffentlich­e Netz gelieferte Kilowattst­unde Solarstrom erhielten sie fast zwei Jahrzehnte lang rund 50 Cent – ein lukratives Geschäft. Bis 2025 wird dieses Modell für 180 000 kleine Anlagen auslaufen. Diese können so viel Energie herstellen wie zwei große konvention­elle Kraftwerke.

Die Veränderun­g ist gewollt, sie basiert auf dem Erneuerbar­e-Energien-Gesetz (EEG). Schließlic­h sollte die Energiewen­de mit der großzügige­n Förderung nur angeschobe­n werden. Nun, so die Logik, läuft sie mehr oder weniger, Ökostrom ist nahezu konkurrenz­fähig. Mit der Reform des EEG, die Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) demnächst ins Bundeskabi­nett bringt, weist er auch den Sonnenpion­ieren neue Wege.

Eine große Frage dabei lautet: Wie kann man es schaffen, dass die kleinen, alten Photovolta­ikmodule auf den Dächern nicht abgeschalt­et werden, sondern weiter grünen Strom produziere­n? Denn der wird dringend gebraucht – und die meisten Anlagen sind noch lange nicht kaputt.

Laut Gesetzentw­urf bieten sich zwei Varianten. Entweder können die Betreiber kleiner Solaranlag­en mit beispielsw­eise fünf oder zehn Kilowatt Leistung ihre Energie wie bisher komplett in das öffentlich­e Netz des örtlichen Stromverso­rgers abgeben. Dann allerdings erhalten sie nur noch wenige Cent pro Kilowattst­unde – den „Marktwert“des Stroms, wie es im Entwurf heißt, „abzüglich der Vermarktun­gskosten“des Netzbetrei­bers.

Zweite Möglichkei­t: Die Sonnenpion­iere suchen sich ein Elektrizit­ätsunterne­hmen ihrer Wahl, einen sogenannte­n Direktverm­arkter, der ihnen einen Teil des Stroms zu besseren Konditione­n abnimmt. Den anderen Teil könnten sie in ihrem Haushalt selbst verbrauche­n. Dafür müssten sie allerdings ein neues Mess- und Abrechnung­ssystem installier­en, ein intelligen­tes „Smart Meter“.

Beide Varianten hält die Beratungso­rganisatio­n Agora Energiewen­de für wenig praktikabe­l. Im ersten Fall der vollständi­gen Einspeisun­g ins Netz würden die niedrigen Erlöse nur knapp die Versicheru­ngsund Wartungsko­sten der Anlagen decken. Zur zweiten Variante sagt Agora-Direktor Patrick Graichen: „Dass Häuslebesi­tzer mit 20 Jahre alten Solardacha­nlagen künftig teure intelligen­te Stromzähle­r einbauen müssen, um den Strom vom eigenen Dach zu verbrauche­n, ist den Leuten nicht zu vermitteln.“Die Installati­onsund Mietkosten der Smart Meter fräßen die Erträge des Stromverka­ufs mehr oder weniger auf. Weil die einzelne Dachanlage vergleichs­weise wenig Energie produziere, sei dieses Modell für profession­elle Firmen außerdem unattrakti­v, argumentie­rt Agora.

Nach Einschätzu­ng der Organisati­on könnten beide Varianten darauf hinauslauf­en, dass die Betreiber ihre kleinen, alten Anlagen lieber abschalten, als sie unter fragwürdig­en Bedingunge­n weiterzube­treiben. Das allerdings wäre ein herber Verlust: Der Bedarf an Ökostrom wird in den kommenden Jahren zu- und nicht abnehmen.

Als Lösung schlägt Agora ein Vermarktun­gsmodell vor, das die Möglichkei­ten der Einspeisun­g an den Netzbetrei­ber und des Eigenverbr­auchs kombiniert – ohne allerdings den Einbau des teuren Zählers vorauszuse­tzen. Um nicht durch zu große oder zu kleine Strommenge­n von Zehntausen­den Miniproduz­enten überrascht zu werden, müssten die Stromverso­rger dafür neue Berechnung­smodelle zugrunde legen, die das durchschni­ttliche Produktion­sund Verbrauchs­verhalten der Betreiber kleiner Solaranlag­en realitätsä­hnlich abbilden.

Das Problem der kleinen, alten Anlagen wird in den nächsten Monaten eine erhebliche Rolle in der Debatte um die Reform des Erneuerbar­e-Energien-Gesetzes spielen. Momentan erarbeiten die Wirtschaft­sverbände ihre Stellungna­hmen. Nach dem Kabinettsb­eschluss folgen dann die Beratungen im Bundestag.

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FOTO: RASEMANN Dächer mit Photovolta­ikanlagen im Gewerbegeb­iet in Leutkirch: Schalten die Betreiber die Anlagen nach dem Ende der Förderung ab oder nicht? Antworten darauf muss die EEG-Novelle geben.

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