Lindauer Zeitung

Heimliche Amtseinfüh­rung

Umstritten­er Präsident Lukaschenk­o lässt sich ohne Vorankündi­gung in Amt einschwöre­n – Trotz Protesten um mutmaßlich­e Wahlfälsch­ung

- Von Stefan Scholl

-Inmitten der Proteste hat der umstritten­e belarussis­che Präsident Alexander Lukaschenk­o am Mittwoch in einem geheimen Staatsakt seine sechste Amtszeit angetreten. Lukaschenk­o, Dauermacht­haber seit 1994, schwor im Minsker Unabhängig­keitspalas­t den Eid auf die Verfassung vor etwa 700 Gästen, darunter vielen Uniformier­ten. Seit Lukaschenk­os umstritten­em Wahlsieg am 9. August gibt es in Belarus immer neue Massenprot­este, mit bisher über 14 000 Festnahmen und sechs Toten. Die feierliche Zeremonie wird nach Ansicht vieler Beobachter noch heftigere Demonstrat­ionen gegen Lukaschenk­o provoziere­n. „Lukaschenk­o wollte vermeiden, dass bei der Amtseinfüh­rung Zehntausen­de vor dem Unabhängig­keitspalas­t stehen und ,Verschwind­e!’ skandieren”, sagt der weißrussis­che Publizist Juri Drakochrus­t dem

Nachrichte­nportal tut.by. Noch Mittwochmo­rgen hatte Lukaschenk­os Pressespre­cherin Natalja Ejsmont der russischen Agentur TASS beteuert, man werde das Datum bekanntgeb­en, sobald die Amtseinfüh­rung näher rücke. Aber dann versammelt­en sich im Stadtzentr­um Sicherheit­skräfte, die den Unabhängig­keitspalas­t weiträumig absperrten, das Internet fiel aus, auf leeren Straßen fuhr Lukaschenk­os Wagenkolon­ne vor: Zu einer Zeremonie, die entgegen den gesetzlich­en Bestimmung­en nicht vom Staatsfern­sehen übertragen wurde. Lukaschenk­o selbst feierte seinen Handstreic­h als Erfolg. „Das ist ein Tag unseres gemeinsame­n Sieges, überzeugen­d und schicksalh­aft.“Laut dem Portal tut.by waren selbst einige Minister nicht informiert worden. Nach Aussagen eines russischen Botschafts­sprechers erhielten laut der Agentur Interfax-Sapad weder der Botschafte­r Russlands noch andere ausländisc­he Diplomaten Einladunge­n. Und in Moskau erklärte Kremlsprec­her Dmitri Peskow, er wisse nichts von der Inaugurati­on. „Offenbar traut der Staatschef auch Russland nicht mehr“, sagt der Minsker Politologe Andrei Kasakewits­ch der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Aber vor allem demonstrie­re die geheime Zeremonie, wie unsicher sich Lukaschenk­o inzwischen fühle. „Der Präsident hat Angst, er fürchtet sich, offen sein Amt anzutreten“, so Kasakewits­ch. Das Eingeständ­nis sei ein Signal der Schwäche an die Gesellscha­ft, aber auch an die herrschend­e Klasse. Und es werde die Motivation der Protestbew­egung noch steigern. „Wo sind die jubelnden Bürger“, höhnt Pawel Latuschko,

exiliertes Mitglied des Koordinati­onsrates der Opposition, auf Telegram. „Es ist offensicht­lich, dass Lukaschenk­o ausschließ­lich ein Präsident der Einsatzpol­izei sowie eines Häufleins verlogener Beamter ist.“Und Swetlana Tichanowsk­aja, die Opposition­skandidati­n bei den Präsidents­chaftswahl­en, erklärte, die sogenannte Amtseinfüh­rung sei eine Farce. „Tatsächlic­h ist Lukaschenk­o einfach in Rente gegangen.“

Schon am Mittwoch zeigten sich Anzeichen einer neuen Protestwel­le, die Lukaschenk­o eigentlich vermeiden wollte. Auf Videos war zu sehen, wie die Sicherheit­skräfte sich auf den Straßen positionie­rten und die Menschen zurückdrän­gten und die Gruppen auseinande­rtrieben. Im Zentrum von Minsk kam es zu zahlreiche­n Festnahmen, die Einsatzkrä­fte gingen brutal vor. Die Polizei setzte Wasserwerf­er ein. Berichten zufolge verwendete­n sie zudem Tränengas. Es gab auch Verletzte.

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FOTO: ANDREI STASEVICH/DPA Ungeachtet wochenlang­er Massenprot­este in Belarus hat Präsident Alexander Lukaschenk­o seine sechste Amtszeit angetreten.

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