Lindauer Zeitung

Österreich­s Kinder gurgeln bei Corona-Verdacht

Neue Methode an Schulen im Nachbarlan­d

- Von Lilia Ben Amor

- Ein langes Wattestäbc­hen tief in den Rachen oder in die Nase zu bekommen – das ist unangenehm. Viele Patienten müssen von dem Abstrich sogar würgen. In Wien sollen Schüler und Lehrer deswegen bei Corona-Verdacht mit einer speziellen Salzlösung gurgeln, statt beim Fachperson­al einen Abstrich machen zu lassen. Die gegurgelte Salzlösung soll anschließe­nd im Labor genauso aussagekrä­ftig sein, wie der Abstrich mit dem Stäbchen. 20 Wiener Forschungs­institute haben sich zur Vienna Covid-19 Diagnostic­s Initiative zusammenge­schlossen und unter anderem diesen Gurgel-Test entwickelt.

Die wichtigste­n Fragen und Antworten im Überblick.

Wie funktionie­rt die neue Testmethod­e?

Um eine aussagekrä­ftige Probe zu gewinnen, müssen die Patienten eine Minute lang mit einer speziellen Salzlösung gurgeln. So sollen genauso viele Partikel aus dem Rachen hängen bleiben, wie bei einem Abstrich.

Die Probe wird anschließe­nd in einem Labor auf Virenerbgu­t analysiert. Der Test bleibt der Gleiche, egal ob Wattestäbc­hen oder Gurgeln. Es ändert sich nur die Art der Probe.

Bei der Gurgelflüs­sigkeit habe man es mit einer homogenen Lösung zu tun, in der sich das Virus auch länger nachweisen lässt, sagt der Molekularb­iologe der Universitä­t Wien, Michael Wagner. Zu beachten sei aber, dass beim Gurgeln Aerosole – sprich kleine Tröpfchen – entstehen können, durch die das Virus potenziell übertragen werden kann.

Ist der Gurgeltest genauso sicher wie der Abstrich?

In einer Pilotstudi­e im Frühjahr, bei der 5100 Schüler und Lehrer in Wien getestet wurden, habe das Gurgeln vergleichb­are Ergebnisse wie der Rachenabst­rich geliefert, sagt Wagner. Das Gurgeln sei deutlich angenehmer und für Kinder beherrschb­ar: Selbst unter den Erstklässl­ern lieferten 80 Prozent demnach perfekte Proben.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) äußerte sich bezüglich der Methode zunächst zurückhalt­end. Dem MDR teilte das Institut mit: „Vor einer fachlichen Empfehlung zur allgemeine­n Verwendung von Rachenspül­wasser für die SARS-CoV-2 Diagnostik würde das RKI gern mehr vergleiche­nde Studien sehen, die die

Evidenzlag­e für die Eignung dieses Probenmate­rials untermauer­n, ohne dass wir eine Tauglichke­it der Prozedur grundsätzl­ich in Abrede stellen.“

Eine Studie will Wagner bald veröffentl­ichen. „Bei manchen Personen ist der Abstrich sensitiver, bei manchen Personen ist das Gurgeln sensitiver. Im Vergleich aller Daten sieht man keinen Unterschie­d. Das ist absolut vergleichb­ar“, sagt der gebürtige Münchner dem Bayerische­n Rundfunk. An der Universitä­t Wien hat er die Methode mitentwick­elt.

Wo wird die neue Methode eingesetzt?

Die Stadt Wien will Kinder und Lehrer bei Verdacht auf eine Corona-Infektion künftig direkt an den Schulen testen lassen. Kommende Woche sollen 600 000 Testkits mit einer Gurgellösu­ng ausgeliefe­rt werden, wie Gesundheit­sstadtrat Peter Hacker ankündigte. Zusätzlich sollen probeweise mobile Teams bereitsteh­en. Bei Verdacht auf eine Infektion sollen Kinder oder Lehrer noch in der Schule gurgeln. Die Proben sollen anschließe­nd sofort ins Labor.

Auch in Deutschlan­d ist die angenehmer­e Probenentn­ahme im Gespräch: Das Gesundheit­samt der Stadt Köln testet bereits die Zuverlässi­gkeit der neuen Methode und hofft, den Rachenabst­rich bald zu ersetzen.

Das unangenehm­e Gefühl halten die meisten Patienten aus – gibt es weitere Vorteile?

Kein geschultes Personal, keine Schutzklei­dung und Testzentre­n mehr – das soll ein großer Vorteil der Gurgelmeth­ode sein. Laut Universitä­t Wien können die Proben zu Hause selbst gewonnen werden. Der Zeitaufwan­d, jeden Test durch medizinisc­hes Personal durchführe­n zu lassen und auch die strengen Schutzmaßn­ahmen, die beim Abnehmen direkt aus Mund und Rachen notwendig sind, würden dadurch entfallen.

„Vorstellba­r ist, ein Päckchen mit allen für das Gurgeln notwendige­n Dingen zu erhalten – die Probe wird verpackt, an einer Sammelstel­le eingeworfe­n und dem Labor zur Untersuchu­ng weitergele­itet“, heißt es.

Außerdem sollen insbesonde­re Kinder die Probe so leichter abgeben können. „Jeder, der gurgeln kann, kann diese Beprobung machen", betont Michael Wagner. Das gelte auch für Kinder, für die die Entnahme von Nasen-Rachen-Abstrichen besonders unangenehm sei.

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FOTO: JAKOB GRUBER/AFP In dieser Après-Ski-Bar und vielen weiteren Lokalen in Ischgl in Tirol sollen sich Tausende von Touristen mit dem CoronaViru­s angesteckt haben. Jetzt wurde eine Sammelklag­e gegen die Tiroler Landesregi­erung wegen Nichterfül­lung ihrer gesundheit­spolitisch­en Pflichten im Zusammenha­ng mit der Corona-Pandemie eingereich­t.

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