Farce in Farsi
„Persischstunden“– KZ-Drama über einen Häftling, der Sprachunterricht erteilt
bereiltes Arbeiten kann man dem Regisseur Vadim Perelman nicht gerade vorwerfen: Seit seinem Leinwand-Debüt „Haus aus Sand und Nebel“mit Ben Kingsley und Jennifer Connelly 2003 hat er gerade einmal zwei weitere Kinofilme gedreht. Nach „Das Leben vor meinen Augen“mit Uma Thurman (2007) hat der gebürtige Ukrainer auf der Berlinale dieses Jahr „Persischstunden“vorgestellt – und sich in eines der schwierigsten und problematischsten Genres gewagt, die das Filmbusiness kennt: den KZ-Film.
Perelman erzählt eine Geschichte mit Geschichte. 1952 veröffentlicht der Drehbuchautor und Schriftsteller Wolfgang Kohlhaase („Sommer vorm Balkon“, zuletzt „In Zeiten des abnehmenden Lichts“, 2017) eine Erzählung „Erfindung einer Sprache“. Sie erzählt eine absurd klingende Episode eines jüdischen KZ-Häftlings, der als Lehrer einem SS-Offizier Persisch beibringt. Denn dieser will nach dem – für ihn bereits gewonnenen – Krieg in Teheran ein Restaurant eröffnen.
Allerdings kann der Gefangene kein einziges Wort des in Persien, heute: Iran, gesprochenen Farsi und erfindet daher täglich Fantasiewörter.
Sein Schüler merkt den Betrug nicht, der Lehrer gewinnt mit jeder Lektion einen weiteren Tag des Überlebens. Ob Kohlhaases Erzählung erfunden ist oder auf einer wahren überlieferten Geschichte beruht, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen – Kohlhaase selber, Jahrgang 1931, kann sich heute nicht mehr daran erinnern, ob die Geschichte auf Fakten basiert oder nicht. Er hat den Film in Berlin gesehen und ihm zumindest seinen Segen gegeben.
Mit der Kamera also hinter die Stacheldrahtzäune eines Lagers gehen, in die Baracken, in die Folterkammern der SS-Schergen – Vadim Perelman geht wie andere Regisseure ein hohes Risiko ein, das zu drehen, was Filmleute „Naziporn“nennen: sich an der Gewalt zu delektieren und sie gleichzeitig zu verharmlosen, weil natürlich kein (Spiel-)Film dieser Welt auch nur annähernd das Grauen eines Konzentrationslagers zu schildern vermag. Autor Ilja Tsofin, der auf Kohlhaases Erzählung gestoßen war, hat sich übrigens das elsässische Lager Natzweiler-Struthof zum Vorbild seines
Drehbuchs genommen – eine Hölle, in der die Nazis mehr als 50 000 Menschen ermordeten.
Ist „Persischstunden“also ein Naziporn? Ganz entkommt er nicht den möglichen Fallen, den Stereotypen, der Verharmlosung, weil sich das tatsächliche Elend der Kameras stets entzieht, entziehen muss. Und die Geschichte hat eine dramaturgische Lücke, wenn „Persischlehrer“Gilles (beeindruckend: der argentinische Schauspieler Nahuel Pérez Biscayart) dem SS-Offizier nur Wörter beibringt, von Grammatik, Satzbau und Sinnzusammenhängen buchstäblich keine Rede ist. Ist das glaubhaft? Zudem erfüllt Lars Eidinger das Klischee des eiskalten, cholerischen, gewalttätigen, gleichwohl intelligenten SS-Täters fast schon lustvoll über. Die einzigartige Geschichte, letztlich eine Farce in Farsi, zieht den Zuschauer schon in ihren Bann – und hält eine Schlusswendung bereit, die an Gänsehaut-Klassiker wie „Oh Captain! Mein Captain!“im „Club der toten Dichter“erinnert.
Persischstunden. Regie: Vadim Perelman. Mit Nahuel Pérez Biscayart, Lars Eidinger, Jonas Nay, Leonie Benesch. Russland / Deutschland / Belarus 2019. 127 Minuten. FSK ab 12 Jahren.