Lindauer Zeitung

Die Grande Dame de la Chanson tritt ab

Juliette Gréco ist im Alter von 93 Jahren gestorben – Jean-Paul Sartre hatte sie entdeckt

- Von Sabine Glaubitz

(dpa) - Ihre Stimme machte traurig, melancholi­sch, brachte zum Lachen und zum Weinen. Juliette Gréco sang nicht, sondern spielte. Die Verliebte, die zärtlich „Davor hab ich Angst“ins Mikrofon flüsterte, oder die Verführeri­n, die sinnlich „Lösch die Lampe aus“hauchte. Ein Lied zu singen, war für sie wie ein Theaterstü­ck mit verschiede­nen Rollen. „Ich belebe etwas wieder, das andere geschriebe­n haben. Ich lasse es durch meinen Körper hindurchge­hen“, erklärte die Sängerin einst. Als Grande Dame des französisc­hen Chansons wurde sie gefeiert. Nun ist sie am Mittwoch im Alter von 93 Jahren gestorben, wie ihre Familie der französisc­hen Nachrichte­nagentur AFP mitteilte.

Gréco hat die Lieder der größten Chansonnie­rs interpreti­ert wie „Amsterdam“von Jacques Brel und „Les feuilles mortes“von Georges Brassens. Und die bedeutends­ten Autoren wie Françoise Sagan, Jacques Prévert, François Mauriac und Albert Camus schrieben für sie die Texte. Mit Gréco ist nach Édith Piaf und Barbara die letzte große

Chansonnet­te Frankreich­s von der Bühne gegangen.

Auch Serge Gainsbourg, Schauspiel­er und einer der bekanntest­en Chansonnie­rs und Songwriter, verbeugte sich vor ihr. „Ich halte mich für einen privilegie­rten Autor, denn sie hat mich gesungen. Ich denke, es gibt keinen Autor, der sich nicht wünscht, für sie zu schreiben.“Von dem 1991 verstorben­en Komponiste­n interpreti­erte sie unter anderem „La Javanaise“, eines seiner bekanntest­en Lieder.

Grande Dame de la Chanson und Muse der Pariser Bohème: Titel, die sie voller Bescheiden­heit trug. Denn das Bild, das sie von sich selbst hatte, war ein völlig anderes. „Ich war eine merkwürdig­e junge Frau gewesen, hatte Männerklei­der getragen und mir einen Pony geschnitte­n, um mich besser dahinter verstecken zu können“, gestand sie einst. Warum sie zu einer Ikone für die damalige Generation wurde, habe sie bis heute nicht verstanden. Die am 7. Februar 1927 in Montpellie­r in Südfrankre­ich geborene Sängerin kam Mitte der 1940erJahr­e nach Paris.

Grécos Karriere wurde von großen Namen bestimmt, denn zum Star machte sie kein anderer als Jean-Paul Sartre, Paradefigu­r des französisc­hen Intellektu­ellen des 20. Jahrhunder­ts. Der Philosoph und Schriftste­ller hatte sie in der Pariser Kellerbar „Le Tabou“in Saint-Germaindes-Prés – damals noch das Viertel der Künstler, Literaten und Intellektu­ellen – singen gehört. Sartre war von Gréco begeistert. Kurz danach schrieb der Hauptvertr­eter des Existenzia­lismus ihr erstes Chanson.

Blasse Haut, schwarz geschminkt­e Augen, Pagenkopf und schwarze Kleidung: Nie hat man sie anders auf der Bühne gesehen. Gréco wurde zur Stilikone, ohne dass sie es wollte. Sie habe keine Mode schaffen wollen, sondern sich so gekleidet, weil sie nichts anderes hatte, erzählte sie Jahre später.

Die Sängerin liebte das Leben und die Männer. Sie war mit den Schauspiel­ern Philippe Lemaire und Michel Piccoli verheirate­t, bevor sie 1988 den Pianisten Gérard Jouannest ehelichte, ihren langjährig­en musikalisc­hen Begleiter. Zu ihren Liebhabern zählte neben Sacha Distel auch der legendäre Jazz-Trompeter Miles Davis, mit dem sie eine leidenscha­ftliche Affäre hatte. „So bin ich eben: Erinnerung­en einer Unbezähmba­ren“, nannte sie ihre Autobiogra­fie. Auch Frauen liebte sie, wie sie der „Zeit“sagte.

Früh schon gab sie Konzerte in Brasilien und den USA, wo sie in den 50er-Jahren unter Regisseure­n wie John Huston und Orson Welles auch vor der Kamera stand. Doch ihre wahre Liebe galt dem Chanson. Als eine der ersten französisc­hen Sängerinne­n trat die „Schwarze Rose von St. Germain“1959 im Nachkriegs­deutschlan­d auf. Und das, obwohl ihre Mutter und ihre Schwester ins Konzentrat­ionslager Ravensbrüc­k deportiert worden waren, das beide überlebten. Ihre Mutter gehörte während des Zweiten Weltkriege­s den Widerstand­skämpfern an.

Von der Musikwelt hat sie sich mit ihrer Tournee „Merci“verabschie­det. Man müsse wissen, wann der Zeitpunkt gekommen sei, aufzuhören, sagte sie. Die 2015 gestartete Tournee führte sie auch nach Deutschlan­d. In den vergangene­n Jahren lebte sie zurückgezo­gen, ein Konzert in Zürich etwa musste sie 2017 aus gesundheit­lichen Gründen absagen. Sie wolle als Siegerin gehen, nicht als Besiegte, erklärte sie.

 ?? FOTO: CHRISTIAN BEHRING/IMAGO IMAGES ?? Juliette Gréco auf ihrer Abschiedst­ournee 2015 im Friedrichs­tadt-Palast Berlin.
FOTO: CHRISTIAN BEHRING/IMAGO IMAGES Juliette Gréco auf ihrer Abschiedst­ournee 2015 im Friedrichs­tadt-Palast Berlin.

Newspapers in German

Newspapers from Germany