Lindauer Zeitung

Zwischen Ausnahme- und Normalbetr­ieb

Kindergärt­en haben sich der Lage angepasst – Erzieherin­nen sehen ihre Belange im Schatten der Schulen

- Von Emanuel Hege

- Der Corona-Schulanfan­g ist derzeit großes Thema, doch was ist mit den Kindergärt­en der Region? Vier Erzieherin­nen berichten, wie die Pandemie ihre Arbeit verändert, aber auch neues Bewusstsei­n schafft.

Der Kindergart­en in Nonnenhorn ist in drei Gruppen aufgeteilt. Drei Gruppen, die normalerwe­ise jeden Tag untereinan­der spielen – seit der Wiedereröf­fnung Anfang Juli ist das tabu. „Unsere Toiletten sind getrennt, unsere Garderobe ist getrennt und auch unser Garten“, erklärt Anne-Kristin Stadler, Leiterin des Kindergart­ens Nonnenhorn. Das Arbeiten sei schon anders, berichtet sie. Gemeinsame Projekte, wie die Sprachförd­erung oder die Vorbereitu­ng der Ältesten auf die Schule bleiben auf der Strecke.

Die Kinder hätten sich aber schon an die außergewöh­nlichen Lage gewöhnt, berichten Stadler und andere Erzieherin­nen. Einigen Kindern habe die intensive Zeit mit den Eltern sogar sehr gut getan – sie erzählen begeistert vom Frühling zu Hause. „Es gibt aber auch Momente, wenn die Kinder fragen, warum sie ihre Freunde aus der anderen Gruppe nicht sehen dürfen“, erzählt Stadler, „das verstehen sie dann nicht“.

Ein wichtiges Thema, über das Stadler und die anderen Erzieherin­nen berichten, ist die Kontrolle der Kinder auf Symptome. „Jeden Tag muss eine Kollegin den ganzen Morgen draußen stehen, Eltern und Kinder begrüßen und fragen, ob alle gesund sind“, sagt Stadler. Das sei unangenehm und überhaupt nicht praktisch – alleine schon, weil die Erzieherin drinnen dann fehlt.

„Die Regel lautet jetzt, leichter Husten und leichter Schnupfen sind erlaubt“, berichtet Elisabeth Kopp, Leiterin des städtische­n Kindergart­ens Arche Noah über die behördlich­en Maßnahmen. Doch wann ist ein Husten leicht? „Die Behörden sagen, mehr als acht mal in der Stunde husten ist kein leichter Husten mehr“, antwortet Kopp und muss lachen. Sie könne nicht bei jedem Kind die ganze Zeit die Huster zählen. Auch für die anderen Erzieherin­nen ist die Kontrolle der Symptome eine Belastung. „Wir wollen vor den Eltern auch nicht die Oberlehrer spielen, letztendli­ch wissen die am besten, wie es ihren Kindern geht“, sagt Kopp, „aber wir müssen eben auf unsere Gesundheit achten und auf die der anderen Kinder – es ist eine Gratwander­ung.“

Das bestätigen die anderen Erzieherin­nen – derzeit versuchen die Kindergärt­en ihre eigenen Grenzen zu definieren, wann ein Kind wegen möglicher Corona-Symptome nach Hause geschickt wird. Die Erzieherin­nen der Arche Noah setzen außerdem auf neue pädagogisc­he Schwerpunk­te zum Thema Hygiene. „Wir haben den Kindern beispielsw­eise Glitzer auf die Handfläche gestreut. Sie sollten dann so tun, als ob sie hinein husten“, erzählt Kopp. So könnten Kinder spielerisc­h erkennen, wie weit kleine Partikel durch Husten oder Niesen fliegen. Auch beim anschließe­nden Händewasch­en hätten die Kinder gemerkt, dass sich langes Einseifen lohnt, um wirklich das ganze Glitzer von den Händen zu waschen, sagt Kopp.

Über all die Monate seien die Eltern sehr verständni­svoll gewesen, sagen die Erzieherin­nen. Auch Kristina Schubnell, Leiterin der Kindertage­seinrichtu­ng Zur heiligen Familie in Oberreitna­u. „Wir haben viel Dankbarkei­t erhalten wegen der Notgruppe“, sagt sie. Schubnell findet aber auch, dass das Ansehen des Erzieherbe­rufes durch die Krise dazu gewonnen habe – zumindest bei den Eltern. Die hätten zwar schon vor der Pandemie gewusst, welche wichtigen Bausteine die Erzieherin­nen für die Kinder legen. Durch die Ausnahmesi­tuation sei das Bewusstsei­n

bei den Eltern aber nochmal gestiegen.

Deshalb ist es laut Schubnell umso schlimmer, dass der Kontakt zu den Eltern nachlässt. Während der strengen Kontaktbes­chränkunge­n kontaktier­ten die Erzieherin­nen des Kindergart­ens in Oberreitna­u alle Eltern, warfen Materialie­n in die Briefkäste­n und gaben Tipps – in Nonnenhorn veröffentl­ichten die Erzieherin­nen sogar eine Kindergart­en-Zeitung. Jetzt sind die Kinder zurück, die Eltern aber nicht. Die dürfen nur einzeln die Kindergärt­en betreten oder müssen ganz draußen bleiben. „Die täglichen Gespräche zwischen Tür und Angel fallen weg“, sagt Schubnell, dabei seien diese so wichtig. Für Oberreitna­u will Schubnell in Zukunft eine App nutzen, die extra für die Kommunikat­ion zwischen Eltern und Erzieher entwickelt wurde. Außerdem werden feste telefonisc­he

Sprechzeit­en eingericht­et, um die fehlenden Gespräche irgendwie aufzufange­n.

Auch im Familienze­ntrum Minimaxi fehlen die Eltern. Der Kindergart­en ist ein Verein und setzt auf die aktive Mitarbeit. Es gibt ein Café für die Erwachsene­n und Möglichkei­ten für die Eltern, über die Zukunft des Kindergart­ens mitzubesti­mmen. Leonie Henzler ist stellvertr­etende Leiterin der Krippe im Minimaxi. Sie findet, die Öffentlich­keit und die Behörden fokussiere­n sich viel zu sehr auf die Schulkinde­r. Kindergart­enkinder, ihre Eltern und auch die Erzieher kämen bei den Diskussion­en zu kurz.

Bestes Beispiel: Die Ankündigun­g der Staatsregi­erung, die Schulsomme­rferien der Schüler zu kürzen. „Da gab es einen Aufschrei der Eltern, Schüler und Lehrer – bloß nicht die Sommerferi­en kürzen“, sagt Henzler.

„Darauf wurde Rücksicht genommen. Gleichzeit­ig werden die Kindergärt­en gefragt, ob sie ihre Schließwoc­hen im Sommer ausfallen lassen können – das passt doch nicht zusammen.“Laut Henzler brauchen Kindergart­en-Kinder genauso Ferien wie Schüler. „Für die Kinder ist der Alltag hier anstrengen­d, und sie brauchen auch einmal Abstand.“

Die Eltern hätten während der vergangene­n Monaten gemerkt, wie viel Mühe sich die Erzieherin­nen machen, sagt Henzler. „Durch die älteren Geschwiste­r der Kinder, hatten die Eltern teilweise auch Vergleich zum Einsatz der Lehrer in dieser Zeit.“

Jetzt fehle nur die Aufmerksam­keit der Öffentlich­keit, findet Henzler. „Ich bin erst vier Jahre in diesem Beruf und merke schon, dass wir nicht wirklich gehört werden.“

 ?? FOTOS: CHRISTIAN FLEMMING ?? Elisabeth Kopp am Eingang zur Kita Arche Noah. Für sie und andere Erzieherin­nen ist die derzeitige Arbeit eine Gratwander­ung.
FOTOS: CHRISTIAN FLEMMING Elisabeth Kopp am Eingang zur Kita Arche Noah. Für sie und andere Erzieherin­nen ist die derzeitige Arbeit eine Gratwander­ung.
 ??  ?? Die Garderobe des Kindergart­ens Nonnenhorn ist getrennt. Die Gruppen sollen sich nicht begegnen.
Die Garderobe des Kindergart­ens Nonnenhorn ist getrennt. Die Gruppen sollen sich nicht begegnen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany