Geld gegen Gesundheit
TV-Drama über fragwürdige Pharmageschäfte zwischen BRD und DDR
(KNA) - „Hier im Osten gibt’s alles auf dem Präsentierteller, full service!“, schwärmt der westdeutsche Medikamentenvertreter Diller, als ihn Stasi-Mann Glaser in die Mangel nimmt. Die DDR besorge der Pharmaindustrie unbürokratisch und ausreichend Probanden für Medikamentenstudien. Im Gegenzug werde das Land großzügig mit Devisen entlohnt, so der Geschäftsreisende aus dem Westen. Eine Win-winSituation skizziert Diller da.
Was er geflissentlich unter den Tisch fallen lässt: die Studienteilnehmer, die das Risiko tragen und meist gar nichts davon wissen, dass sie Versuchskaninchen sind. So ist es auch bei Glasers 14-jähriger Tochter Kati, die wegen Multipler Sklerose im Krankenhaus von Karl-Marx-Stadt (heute: Chemnitz) behandelt wird. An ihr wird das neue Präparat von Dillers Arbeitgeber ausprobiert. Als der eigentlich zutiefst regimetreue Armin Glaser dem auf die Spur kommt, recherchiert er auf eigene Faust, gegen den Willen seiner Vorgesetzten – was natürlich nicht lange gut geht.
Das Drama „Kranke Geschäfte“, das am 28. September im Zweiten zu sehen ist, beruht auf realen Begebenheiten. Tatsächlich bereicherte sich die DDR ab 1964 bis zu ihrem Untergang auf Kosten ihrer Bürger: Mehr als 900 Medikamentenstudien des „Klassenfeinds“wurden an mindestens 50 000 DDR-Bürgern durchgeführt, die Regierung erhielt dafür Devisen in Millionenhöhe. Im schlimmsten Fall konnte eine solche Studienteilnahme den Tod zur Folge haben. Ein menschenverachtendes und bislang wenig bekanntes Kapitel der DDR-Geschichte, das der ebenso komplexe wie sensible Film anhand fiktiver Figuren beleuchtet.
Das Drehbuch von Johannes Betz und die Regie von Urs Egger verfahren dabei nicht nach Schwarz-WeißMustern, sondern schaffen Protagonisten und Situationen voller Widersprüche: Da ist allen voran der „200-prozentige“Stasi-Oberleutnant Glaser, der die sozialistische Ideologie repressiv vertritt und jedem seiner Mitbürger hinterherschnüffelt. Dazu nutzt er als hochrangiger Stasi-Mitarbeiter seine Privilegien wie auch seine Möglichkeiten, Druck auszuüben, schamlos aus. Ein absoluter Antiheld. Durch persönliche Betroffenheit, aber auch Fassungslosigkeit über „seinen“Staat wird er dennoch zu demjenigen, der Licht ins Dunkel der empörenden Vorgänge bringt. Florian Stetter spielt diese vielfach schillernde Figur gewohnt stark, charismatisch, nuancenreich.
Auf der anderen Seite steht Diller, der ebenfalls gegen das Klischee gezeichnet wird: kein eiskalter Pharmavertreter, sondern ein weicher, unsicherer Familienmensch. Johannes Allmayer zeichnet diesen jungen Vater aus dem Neubaugebiet als anrührenden Menschen, der als kleines, gut funktionierendes Rädchen im großen Getriebe des Geschäfts mit der Gesundheit etwas erschreckend Pragmatisches hat. Auch die anderen Rollen sind ambivalent und bis in kleinste Nebenrollen herausragend besetzt.
All diese Figuren erzählen auch vom Sich-Einrichten in einer Diktatur bis hin zu leisem oder auch etwas lauterem Widerstand. Womit der Film Fragen aufwirft, die weit über sein eigentliches Themenfeld hinausweisen. „Kranke Geschäfte“ist der letzte Film des im Januar 2020 verstorbenen Urs Egger. Ein würdiger Abschluss.
Kranke Geschäfte, Regie: Urs Egger, Montag, 28.9., 20.15 Uhr.