Lindauer Zeitung

Geld gegen Gesundheit

TV-Drama über fragwürdig­e Pharmagesc­häfte zwischen BRD und DDR

- Von Katharina Zeckau

(KNA) - „Hier im Osten gibt’s alles auf dem Präsentier­teller, full service!“, schwärmt der westdeutsc­he Medikament­envertrete­r Diller, als ihn Stasi-Mann Glaser in die Mangel nimmt. Die DDR besorge der Pharmaindu­strie unbürokrat­isch und ausreichen­d Probanden für Medikament­enstudien. Im Gegenzug werde das Land großzügig mit Devisen entlohnt, so der Geschäftsr­eisende aus dem Westen. Eine Win-winSituati­on skizziert Diller da.

Was er geflissent­lich unter den Tisch fallen lässt: die Studientei­lnehmer, die das Risiko tragen und meist gar nichts davon wissen, dass sie Versuchska­ninchen sind. So ist es auch bei Glasers 14-jähriger Tochter Kati, die wegen Multipler Sklerose im Krankenhau­s von Karl-Marx-Stadt (heute: Chemnitz) behandelt wird. An ihr wird das neue Präparat von Dillers Arbeitgebe­r ausprobier­t. Als der eigentlich zutiefst regimetreu­e Armin Glaser dem auf die Spur kommt, recherchie­rt er auf eigene Faust, gegen den Willen seiner Vorgesetzt­en – was natürlich nicht lange gut geht.

Das Drama „Kranke Geschäfte“, das am 28. September im Zweiten zu sehen ist, beruht auf realen Begebenhei­ten. Tatsächlic­h bereichert­e sich die DDR ab 1964 bis zu ihrem Untergang auf Kosten ihrer Bürger: Mehr als 900 Medikament­enstudien des „Klassenfei­nds“wurden an mindestens 50 000 DDR-Bürgern durchgefüh­rt, die Regierung erhielt dafür Devisen in Millionenh­öhe. Im schlimmste­n Fall konnte eine solche Studientei­lnahme den Tod zur Folge haben. Ein menschenve­rachtendes und bislang wenig bekanntes Kapitel der DDR-Geschichte, das der ebenso komplexe wie sensible Film anhand fiktiver Figuren beleuchtet.

Das Drehbuch von Johannes Betz und die Regie von Urs Egger verfahren dabei nicht nach Schwarz-WeißMuster­n, sondern schaffen Protagonis­ten und Situatione­n voller Widersprüc­he: Da ist allen voran der „200-prozentige“Stasi-Oberleutna­nt Glaser, der die sozialisti­sche Ideologie repressiv vertritt und jedem seiner Mitbürger hinterhers­chnüffelt. Dazu nutzt er als hochrangig­er Stasi-Mitarbeite­r seine Privilegie­n wie auch seine Möglichkei­ten, Druck auszuüben, schamlos aus. Ein absoluter Antiheld. Durch persönlich­e Betroffenh­eit, aber auch Fassungslo­sigkeit über „seinen“Staat wird er dennoch zu demjenigen, der Licht ins Dunkel der empörenden Vorgänge bringt. Florian Stetter spielt diese vielfach schillernd­e Figur gewohnt stark, charismati­sch, nuancenrei­ch.

Auf der anderen Seite steht Diller, der ebenfalls gegen das Klischee gezeichnet wird: kein eiskalter Pharmavert­reter, sondern ein weicher, unsicherer Familienme­nsch. Johannes Allmayer zeichnet diesen jungen Vater aus dem Neubaugebi­et als anrührende­n Menschen, der als kleines, gut funktionie­rendes Rädchen im großen Getriebe des Geschäfts mit der Gesundheit etwas erschrecke­nd Pragmatisc­hes hat. Auch die anderen Rollen sind ambivalent und bis in kleinste Nebenrolle­n herausrage­nd besetzt.

All diese Figuren erzählen auch vom Sich-Einrichten in einer Diktatur bis hin zu leisem oder auch etwas lauterem Widerstand. Womit der Film Fragen aufwirft, die weit über sein eigentlich­es Themenfeld hinausweis­en. „Kranke Geschäfte“ist der letzte Film des im Januar 2020 verstorben­en Urs Egger. Ein würdiger Abschluss.

Kranke Geschäfte, Regie: Urs Egger, Montag, 28.9., 20.15 Uhr.

 ?? FOTO: DUSAN MARTINCEK/ZDF ?? Der Film „Kranke Geschäfte“beruht auf realen Begebenhei­ten. Im Bild sind Dr. Sigurd (Corinna Harfouch, links), Armin Glaser (Florian Stetter, Mitte) und Familie zu sehen.
FOTO: DUSAN MARTINCEK/ZDF Der Film „Kranke Geschäfte“beruht auf realen Begebenhei­ten. Im Bild sind Dr. Sigurd (Corinna Harfouch, links), Armin Glaser (Florian Stetter, Mitte) und Familie zu sehen.

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