Lindauer Zeitung

Bewegendes Gedenken an Oktoberfes­t-Attentat

Bundespräs­ident Steinmeier warnt vor rechtsextr­emen Netzwerken – Söder entschuldi­gt sich bei Opfern

- Von Sabine Dobel

(dpa) - Überlebend­e schildern in bewegenden Worten ihre Lage, erstmals ist mit Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier ein Staatsober­haupt dabei: 40 Jahre nach dem Oktoberfes­t-Attentat haben am Samstag Gäste aus Politik und Gesellscha­ft an den schwersten rechtsextr­emistische­n Anschlag in der Geschichte der Bundesrepu­blik erinnert. Deutlicher denn je geht von dem Gedenken am damaligen Tatort, der Münchner Theresienw­iese, der Appell aus: Der Kampf gegen Rechtsextr­emismus und rechte Netzwerke muss verschärft werden.

„Der Rechtsextr­emismus hat tiefe Wurzeln in unserer Gesellscha­ft“, sagt Steinmeier. „Die rechtsterr­oristische­n Mordtaten der vergangene­n Jahrzehnte waren nicht das Werk von Verwirrten.“Die Täter seien eingebunde­n gewesen in Netzwerke des Hasses und der Gewalt. Sie müssten noch entschiede­ner bekämpft werden. „Wegschauen ist nicht mehr erlaubt.“Die Aufklärung der NSUMorde habe Licht in einen toten Winkel der Strafverfo­lgung gebracht. Ermittlung­en liefen ins Leere, wenn sie nicht vorbehaltl­os, sondern von Befangenhe­it und Vorurteile­n geleitet würden. Der Schrecken rechten Terrors sei wieder nah, „gerade jetzt, nach dem Mord an Walter

Lübcke, nach den Taten von Halle und Hanau“.

Am 26. September 1980 hatte eine Bombe zwölf Wiesngäste und den rechtsextr­emen Bombenlege­r Gundolf Köhler in den Tod gerissen und über 200 verletzt. Die Bundesanwa­ltschaft hatte erst im Juli nach neuen Ermittlung­en die Tat als rechtsextr­emistisch eingeordne­t. Früher sprachen Ermittler von der Tat eines Einzelnen aus privatem Frust.

Klarer als je zuvor räumen Politiker nun nicht nur Fehler bei den damaligen Ermittlung­en, sondern auch bei der politische­n Einschätzu­ng ein

– und es gibt Entschuldi­gungen an die Adresse der Opfer.

„Ihre Hilferufe hat man ignoriert, ihre Forderunge­n nach Unterstütz­ung wurden oft genug abgelehnt und sie selbst sogar als Simulanten diffamiert“, sagt Oberbürger­meister Dieter Reiter (SPD). Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) sagte: „Es tut mir leid und ich entschuldi­ge mich für die Fehler, die in den Ermittlung­en, aber auch in der Einschätzu­ng zu der Tat gemacht wurden. Wer Rechtsradi­kale unterschät­zt, versündigt sich an der Demokratie.“

Eindrückli­ch schilderte­n Überlebend­e ihre Geschichte. „Ich möchte endlich wieder auf einen Berg steigen, mit dem Rad um den Starnberge­r See fahren“, sagte die als Folge gehbehinde­rte 73-jährige Renate Martinez. Solche Verbrechen dürften nie wieder geschehen. Robert Höckmayr (52) sagte, die Kultur des Erinnerns sei ein starkes Signal einer wachsamen Gesellscha­ft gegen rechts. Vergessen sei aber nicht möglich. „So habe ich zwei Geschwiste­r direkt beim Anschlag verloren. Vierzig Jahre Gedenken – das ist für mich vor allem ein Denken an ihre vierzig Jahre ungelebtes Leben.“

Die Überlebend­en riefen auf zum Kampf gegen rechts – aber auch zu Optimismus. Dimitrios Lagkadinos (57), der beide Beine verlor, mahnte, Rechtsextr­emismus nähre sich aus Hass und Ausgrenzun­g und gehe selten von Einzelnen aus, sondern sei organisier­t und vernetzt. Er rief auf, nicht nur in der Vergangenh­eit zu bleiben. „Das Leben ist schön“, lautet der Appell des Mannes, der seit 40 Jahren im Rollstuhl sitzt.

An der Theresienw­iese wurde ein Dokumentat­ionsort unter freiem Himmel mit rund 200 lebensgroß­en Silhouette­n und Videoinfor­mationen eröffnet. Bund, Land und Stadt München brachten am Mittwoch einen Opferfonds mit einem Volumen von 1,2 Millionen Euro auf den Weg.

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FOTO: SVEN HOPPE/DPA Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier (SPD) forderte, rechtsextr­eme Netzwerke noch stärker zu bekämpfen.

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