Südwesten wirbt für „weiße Landkarte“
Wohin mit dem Atommüll? Zwischenbericht zeigt mögliche Gebiete in Deutschland auf
(dpa) - Ein mehrere Hundert Seiten langer Bericht soll heute preisgeben, welche Gebiete sich in Deutschland auf der Suche nach einem Atommüll-EndlagerStandort anbieten und genauer unter die Lupe genommen werden könnten.
Dann dürfte es in einigen badenwürttembergischen Regionen unruhig werden. Denn auch der Südwesten dürfte dabei sein, wenn der beste Ort gesucht wird, um hoch radioaktiven Atommüll eine Million Jahre lang möglichst sicher zu lagern. Das Problem: Niemand will so ein Endlager in der Nachbarschaft haben. Deshalb fordern Politiker aus allen Parteien so viel Transparenz wie möglich.
Kein Standort darf aus Sicht der größeren baden-württembergischen Parteien auf der Suche nach einem Atommüll-Endlager von vornherein von der Liste gestrichen werden – auch wenn Umweltschützer das fordern. Es müsse das Prinzip der „weißen Landkarte“gelten, mahnt Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) und ergänzt: „Das heißt aber auch, dass ein Standort wie der niedersächsische Salzstock Gorleben nicht von vorneherein ausgeschlossen werden darf.“Das sieht die SPD ähnlich: „Es muss zunächst jeder Ort grundsätzlich infrage kommen“, sagt Gabi Rolland, die umweltpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion.
Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) forscht seit 2017 nach einem Endlagerstandort für hoch radioaktiven Abfall und prüft zunächst geologische Gegebenheiten. Ihr Zwischenbericht wird Gebiete ausweisen, die nach geologischen Kriterien für ein Endlager für hoch radioaktiven Atommüll infrage kommen. Für Spannung ist gesorgt: Konkrete Regionen sind vorab nicht bekannt geworden. Bis 2031 soll das Suchverfahren in Deutschland abgeschlossen sein, bis etwa 2050 soll das Endlager seinen Betrieb aufnehmen.
Umweltverbände wie der BUND fordern, Gorleben nach jahrzehntelangem politischem Streit als möglichen Ort für ein Endlager auszuschließen. Der BUND warnt vor einem Scheitern des Suchprozesses und „gravierenden Verfahrensmängeln“. Die Zeit sei zu knapp veranschlagt, um die Öffentlichkeit ausreichend einbeziehen zu können. „Die
Vergangenheit lehrt, dass Entscheidungen ohne solide Öffentlichkeitsbeteiligung zum Scheitern verurteilt sind“, mahnt BUND-Chef Olaf Bandt.
Und auch die Bundesländer sind sich nicht einig. In Bayern hat sich die Koalition aus CSU und Freien Wählern in den Koalitionsvertrag geschrieben, man sei „überzeugt, dass Bayern kein geeigneter Standort für ein Atomendlager ist“. Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) stellte zuletzt das gesamte Verfahren infrage. Dabei spielt der Freistaat bei der bundesweiten Suche nach einem Atomendlager eine wichtige Rolle. Ein Blick auf eine Karte zur Geologie zeigt warum: Alle theoretisch überhaupt infrage kommenden Gesteinsarten – Ton, Salz und Granit – finden sich hier. Glaubers baden-württembergischer Amtskollege Untersteller lehnt die Haltung des Freistaats kategorisch ab. „Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, dass Bayern ausschert“, sagt er. „St. Florian gehört als Statue in Feuerwehrhäuser und nicht in Staatskanzleien.“
Die CDU-Fraktion im Stuttgarter Landtag betrachtet die Suche nach einem Endlager ebenfalls als „nationale
Aufgabe“. Fast. Denn Paul Nemeth, der energiepolitische Sprecher der Fraktion, schränkt ein, Baden-Württemberg habe wegen seiner Tonschichten und der Erdbebenrisiken eher Nachteile bei der Standortsuche. „Gorleben besitzt hingegen bereits ein bezahltes und funktionsfähiges Endlager“, sagt Nemeth. „Der Standort darf nicht ausgeschlossen werden. Im Gegenteil, für uns ist er ein Favorit.“So sehr die CDU zum wissenschaftlichen Verfahren stehe, dürfe auch nicht so getan werden, „als begännen wir bei der Suche bei Null“.
Im Zwischenbericht der BGE sollen Teilgebiete benannt werden, „die günstige geologische Voraussetzungen für die sichere Endlagerung radioaktiver Abfälle erwarten lassen“, wie es im Gesetz heißt. Andere Kriterien wurden dagegen noch nicht berücksichtigt. Die Gebiete können daher noch ziemlich groß sein, es sollen mindestens zehn und höchstens 100 werden. Im Bericht steht für jedes Teilgebiet, warum es in der Auswahl ist. Orte außerhalb der Teilgebiete kommen schon mal nicht infrage – aber Orte in einem Teilgebiet sind längst nicht als Standort ausgewählt, wie Untersteller betont.
Die bundesweite Endlagererkundung war angesichts des jahrzehntelangen hartnäckigen Widerstands gegen den Ende der 1970er-Jahre ins Auge gefassten Standort in Gorleben auf Beschluss von Union, SPD und Grünen gestartet worden. Damit aber Regionen für die Lagerung des hoch radioaktiven Abfalls geprüft werden können, müssen sie Mindestanforderungen erfüllen. Dazu gehört die geringe Durchlässigkeit des Gesteins. Außerdem muss die Gesteinsschicht mindestens 100 Meter dick sein. Der Bereich für ein Endlager darf nicht mehr als 300 Meter unter der Erdoberfläche liegen.
Als ungeeignet für die Lagerung der rund 1900 Behälter oder 27 000 Kubikmeter hochgefährlicher und strahlender Abfälle gelten zudem Regionen, an denen vulkanische Aktivität erwartet wird, sowie Gebiete, deren Untergrund beschädigt oder gefährdet ist. Der baden-württembergische BUND geht davon aus, dass der sogenannte Opalinuston auf jeden Fall im BGE-Bericht vorkommen wird. Seine Schicht zieht sich aus Zürich kommend unter der Schwäbischen Alb bis nach Ulm.
Wenn Ende 2022 das letzte deutsche Atomkraftwerk vom Netz geht, werden rund 10 500 Tonnen hochradioaktiven Abfalls angefallen sein, verpackt in etwa 1900 Castorbehälter. Diese Akteure mischen bei der Suche nach einem neuen Endlager mit:
Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) betreibt die eigentliche Endlagersuche. Sie erarbeitet Vorschläge für die Auswahl der Standortregionen und die zu erkundenden Standorte. Sie organisiert die überund unterirdischen Erkundungen für die noch festzulegenden Standorte. Und sie schlägt nach jeder Phase des Verfahrens vor, welche Gebiete weiter untersucht werden. Überdies ist die bundeseigene Gesellschaft für die Atommülllager Asse und Morsleben sowie den Bau des Endlagers Schacht Konrad verantwortlich.
Das Bundeamt für Sicherheit der nuklearen Entsorgung (Base) ist zum einen Kontrollund Aufsichtsbehörde bei der Suche. Es bewertet die Vorschläge und Erkundungsergebnisse der BGE und schlägt nach Prüfung der Bundesregierung den Endlagerstandort vor. Es begleitet den Suchprozess aus wissenschaftlicher Sicht und überwacht, dass die Suche so abläuft, wie sie im Gesetz festgelegt ist. Zum anderen ist das Base für die Öffentlichkeitsbeteiligung zuständig. Es informiert über das Verfahren und organisiert die gesetzlich festgelegten Konferenzen und Gremien.
Das Nationale Begleitgremium (NBG) setzt sich zusammen aus anerkannten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sowie aus Bürgern, die in einem bestimmten Verfahren gewählt wurden. Die Mitglieder dürfen weder einem Parlament des Bundes oder des Landes angehören noch einer Bundesoder Landesregierung. Aufgabe des NBG ist es, das Suchverfahren unabhängig zu begleiten. Das Bundesumweltministerium (BMU) trägt die Gesamtverantwortung im Bereich Endlagerung. Es überprüft, dass das Verfahren den Anforderungen und Kriterien des Standortauswahlgesetzes entspricht. (epd)