Zwischen Barrett und Ginsberg liegen Welten
Trump nominiert 48-jährige Bundesrichterin für den Supreme Court – Demokraten sind alarmiert
- Für ihre Fans ist Amy Coney Barrett schon jetzt nur noch ACB. Zum einen entspricht es dem landestypischen Hang, für alles, was sich irgendwie abkürzen lässt, ein Kürzel zu finden. Zum anderen soll es Assoziationen an Ruth Bader Ginsburg wecken. An die legendäre Verfassungsrichterin, die vom linksliberalen Amerika, dessen Ikone sie war, zuletzt nur RBG genannt wurde und deren Platz die 48-jährige Rechtsgelehrte nun einnehmen soll. Im Rosengarten des Weißen Hauses, wo sie sich in einer kurzen Rede vorstellte, nachdem Präsident Donald Trump sie für den vakanten Posten benannt hatte, betonte sie denn auch, wie sehr sie RBG bewundere.
Wird Barrett vom Senat bestätigt, ist sie die Nummer 115 in der Chronik der Supreme-Court-Richter, aber erst die fünfte Frau, war doch die Institution bis 1981 eine reine Männerdomäne. Ohne Ginsburg wäre Barrett heute kaum dort, wo sie ist. Aber so euphorisch sie ihre verstorbene Vorgängerin rühmte, inhaltlich liegen Welten zwischen ACB und RBG.
Ginsburg ließ sich von dem Grundsatz leiten, dass die Verfassung der Vereinigten Staaten, ein Dokument aus dem 18. Jahrhundert, dem Sinn und nicht dem Buchstaben nach auszulegen ist, damit gesellschaftlicher Wandel nicht ignoriert wird. Barrett gehört zur Denkschule der Originalisten, die jede Passage wortwörtlich nimmt. Deren Primus war Antonin Scalia, ein erzkonservativer Höchstrichter, in dessen Büro sie vor mehr als zwanzig Jahren arbeitete. Scalia, inzwischen verstorben, sagte einst über Barrett, sie sei die beste Schülerin gewesen, die er je hatte. Und Barrett sagte am Samstag über Scalia, seine Ansichten seien die ihren: „Ein Richter muss das Gesetz so anwenden, wie es niedergeschrieben ist.“
Dass dies nicht ohne Folgen bleibt, macht Jeffrey Toobin deutlich, einer der renommiertesten Publizisten des juristischen Fachs. In der Realität, schreibt er, stünden Vokabeln wie Originalist dafür, Gewerkschaften zu schwächen, Umweltregeln auszuhebeln, die Rolle des Staates im Gesundheitswesen zurückzudrängen und in unbegrenzter Höhe Spenden für Politiker zuzulassen. Barrett habe widersprochen, als Obamacare, die Gesundheitsreform Barack Obamas, für verfassungskonform erklärt worden sei, sagte Joe Biden, der Herausforderer Trumps, unmittelbar nach der Nominierung.
„Donald Trump versucht eine Richterin durchzupeitschen, die ihm helfen wird, Obamacare kaputt zu machen.“
Allein schon Bidens Wortmeldung lässt ahnen, wie kontrovers das Bestätigungsverfahren im Senat werden kann. Nach dem Willen der Republikaner soll es am 12. Oktober beginnen und kurz vor der Wahl am 3. November abgeschlossen sein. Die Demokraten warnen lautstark davor, im Eiltempo eine Entscheidung zu erzwingen, die jahrzehntelange Folgen haben kann. Höchstrichter werden auf Lebenszeit ernannt. Mit Barrett stünden sechs eher konservative Richter drei eher progressiven gegenüber, der Rechtsruck wäre perfekt.
Was ihre Gegner tun können, ist im Grunde nicht mehr, als Protest anzumelden, ohne dass es praktische Konsequenzen hätte. Bis auf zwei Ausnahmen haben die 53 republikanischen Senatoren bereits angekündigt, der Favoritin des Präsidenten grünes Licht zu geben. Weil für die Bestätigung eine einfache Mehrheit ausreicht, haben die 47 Demokraten der Kammer schlicht nicht die Macht, Barrett auszubremsen.
Die Mutter von fünf eigenen und zwei aus Haiti adoptierten Kindern ist seit 2017 Richterin am Bundesberufungsgericht in Chicago. Geboren in New Orleans, studierte sie am Rhodes College in Tennessee und an der katholischen Universität Notre Dame in Indiana, nicht an einer der Elite-Hochschulen wie Harvard oder Yale, die normalerweise das Sprungbrett für eine Karriere bis hinauf zum Supreme Court bilden. Nach dem Intermezzo im Büro Scalias lehrte sie am Notre-Dame-College 15 Jahre lang Jura. Barrett gilt als Abtreibungsgegnerin. Ihr jüngster Sohn leidet am Down-Syndrom. Sie wusste es bereits in einem frühen Stadium der Schwangerschaft, sie entschied sich dennoch für das Kind. Innerhalb ihrer Kirche gehört sie „People of Praise“an, einer Gruppe mit 1700 Mitgliedern in den USA, Kanada und der Karibik, über die ein Aussteiger berichtete, sie erwarte von Frauen, sich ihren Männern unterzuordnen.
Was Baretts Kritiker bei der anstehenden Anhörung vor allem beantwortet haben wollen, ist die Frage, wie sie zu einem Grundsatzurteil steht, mit dem das Oberste Gericht Schwangerschaftsabbrüche landesweit legalisierte. Pro-Life-Initiativen sind ebenso wie konservative Senatoren davon überzeugt, dass sie dafür stimmt, das Urteil aus dem Jahr 1973 zu kippen, sobald sich die Gelegenheit dafür ergibt.