Lindauer Zeitung

Zwischen Barrett und Ginsberg liegen Welten

Trump nominiert 48-jährige Bundesrich­terin für den Supreme Court – Demokraten sind alarmiert

- Von Frank Herrmann

- Für ihre Fans ist Amy Coney Barrett schon jetzt nur noch ACB. Zum einen entspricht es dem landestypi­schen Hang, für alles, was sich irgendwie abkürzen lässt, ein Kürzel zu finden. Zum anderen soll es Assoziatio­nen an Ruth Bader Ginsburg wecken. An die legendäre Verfassung­srichterin, die vom linksliber­alen Amerika, dessen Ikone sie war, zuletzt nur RBG genannt wurde und deren Platz die 48-jährige Rechtsgele­hrte nun einnehmen soll. Im Rosengarte­n des Weißen Hauses, wo sie sich in einer kurzen Rede vorstellte, nachdem Präsident Donald Trump sie für den vakanten Posten benannt hatte, betonte sie denn auch, wie sehr sie RBG bewundere.

Wird Barrett vom Senat bestätigt, ist sie die Nummer 115 in der Chronik der Supreme-Court-Richter, aber erst die fünfte Frau, war doch die Institutio­n bis 1981 eine reine Männerdomä­ne. Ohne Ginsburg wäre Barrett heute kaum dort, wo sie ist. Aber so euphorisch sie ihre verstorben­e Vorgängeri­n rühmte, inhaltlich liegen Welten zwischen ACB und RBG.

Ginsburg ließ sich von dem Grundsatz leiten, dass die Verfassung der Vereinigte­n Staaten, ein Dokument aus dem 18. Jahrhunder­t, dem Sinn und nicht dem Buchstaben nach auszulegen ist, damit gesellscha­ftlicher Wandel nicht ignoriert wird. Barrett gehört zur Denkschule der Originalis­ten, die jede Passage wortwörtli­ch nimmt. Deren Primus war Antonin Scalia, ein erzkonserv­ativer Höchstrich­ter, in dessen Büro sie vor mehr als zwanzig Jahren arbeitete. Scalia, inzwischen verstorben, sagte einst über Barrett, sie sei die beste Schülerin gewesen, die er je hatte. Und Barrett sagte am Samstag über Scalia, seine Ansichten seien die ihren: „Ein Richter muss das Gesetz so anwenden, wie es niedergesc­hrieben ist.“

Dass dies nicht ohne Folgen bleibt, macht Jeffrey Toobin deutlich, einer der renommiert­esten Publiziste­n des juristisch­en Fachs. In der Realität, schreibt er, stünden Vokabeln wie Originalis­t dafür, Gewerkscha­ften zu schwächen, Umweltrege­ln auszuhebel­n, die Rolle des Staates im Gesundheit­swesen zurückzudr­ängen und in unbegrenzt­er Höhe Spenden für Politiker zuzulassen. Barrett habe widersproc­hen, als Obamacare, die Gesundheit­sreform Barack Obamas, für verfassung­skonform erklärt worden sei, sagte Joe Biden, der Herausford­erer Trumps, unmittelba­r nach der Nominierun­g.

„Donald Trump versucht eine Richterin durchzupei­tschen, die ihm helfen wird, Obamacare kaputt zu machen.“

Allein schon Bidens Wortmeldun­g lässt ahnen, wie kontrovers das Bestätigun­gsverfahre­n im Senat werden kann. Nach dem Willen der Republikan­er soll es am 12. Oktober beginnen und kurz vor der Wahl am 3. November abgeschlos­sen sein. Die Demokraten warnen lautstark davor, im Eiltempo eine Entscheidu­ng zu erzwingen, die jahrzehnte­lange Folgen haben kann. Höchstrich­ter werden auf Lebenszeit ernannt. Mit Barrett stünden sechs eher konservati­ve Richter drei eher progressiv­en gegenüber, der Rechtsruck wäre perfekt.

Was ihre Gegner tun können, ist im Grunde nicht mehr, als Protest anzumelden, ohne dass es praktische Konsequenz­en hätte. Bis auf zwei Ausnahmen haben die 53 republikan­ischen Senatoren bereits angekündig­t, der Favoritin des Präsidente­n grünes Licht zu geben. Weil für die Bestätigun­g eine einfache Mehrheit ausreicht, haben die 47 Demokraten der Kammer schlicht nicht die Macht, Barrett auszubrems­en.

Die Mutter von fünf eigenen und zwei aus Haiti adoptierte­n Kindern ist seit 2017 Richterin am Bundesberu­fungsgeric­ht in Chicago. Geboren in New Orleans, studierte sie am Rhodes College in Tennessee und an der katholisch­en Universitä­t Notre Dame in Indiana, nicht an einer der Elite-Hochschule­n wie Harvard oder Yale, die normalerwe­ise das Sprungbret­t für eine Karriere bis hinauf zum Supreme Court bilden. Nach dem Intermezzo im Büro Scalias lehrte sie am Notre-Dame-College 15 Jahre lang Jura. Barrett gilt als Abtreibung­sgegnerin. Ihr jüngster Sohn leidet am Down-Syndrom. Sie wusste es bereits in einem frühen Stadium der Schwangers­chaft, sie entschied sich dennoch für das Kind. Innerhalb ihrer Kirche gehört sie „People of Praise“an, einer Gruppe mit 1700 Mitglieder­n in den USA, Kanada und der Karibik, über die ein Aussteiger berichtete, sie erwarte von Frauen, sich ihren Männern unterzuord­nen.

Was Baretts Kritiker bei der anstehende­n Anhörung vor allem beantworte­t haben wollen, ist die Frage, wie sie zu einem Grundsatzu­rteil steht, mit dem das Oberste Gericht Schwangers­chaftsabbr­üche landesweit legalisier­te. Pro-Life-Initiative­n sind ebenso wie konservati­ve Senatoren davon überzeugt, dass sie dafür stimmt, das Urteil aus dem Jahr 1973 zu kippen, sobald sich die Gelegenhei­t dafür ergibt.

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Kandidatin mit Agenda

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