Lindauer Zeitung

Der Winter kommt

CSU-Parteitag in Zeiten von Corona – Bayerns Ministerpr­äsident Söder warnt vor einer zweiten Welle und macht Hassbriefe öffentlich

- Von Claudia Kling

- Was für eine Bildsprach­e: Der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder sitzt unter einem Holzkruzif­ix an einem schlichten Tisch, im Hintergrun­d weiß-blaue Flaggen, neben seinem Redemanusk­ript eine Thermoskan­ne und eine Tasse mit der Aufschrift „Winter is coming“. Damit ist das Hauptthema seiner Rede beim virtuellen Parteitag am Samstag in München auch schon gesetzt: Es geht um Corona. Corona als Gesundheit­srisiko, als Gefahr für die Wirtschaft, aber auch als Bedrohung der liberalita­s bavariae, auf die der Freistaat so stolz ist. Denn liberal und weltoffen zu sein könnte in Corona-Zeiten zum Fluch werden.

Auch Parteitage haben es derzeit schwer. Anstatt sich mit Hunderten Gleichgesi­nnten in großen Messehalle­n zu treffen, sich auszutausc­hen und Kontakte zu pflegen, sitzen nun fast alle Delegierte­n zu Hause vor ihrem Rechner. Via Internet wird über Dutzende Anträge beraten und abgestimmt. Immerhin: Die Technik funktionie­rt, CSU-Generalsek­retär Markus Blume und Dorothee Bär, Beauftragt­e der Bundesregi­erung für Digitalisi­erung, die zusammen den Parteitag moderieren, sind zufrieden mit dem Ablauf und rühmen die Disziplin der CSU-Delegierte­n, die bis zum Schluss in großer Zahl ihre Voten abgeben.

Eine Disziplin, die sich Söder auch im Umgang der Bevölkerun­g mit der Corona-Pandemie wünscht. Der CSU-Vorsitzend­e wirkt besorgt und gedämpft. Corona sei eine „Naturkatas­trophe“, sagt er in seiner im Sitzen gehaltenen Rede, die vielmehr an eine Weihnachts­ansprache erinnert als an eine Parteitags­rede. Und er warnt nachdrückl­ich vor der „zweiten Welle“, die bereits einige Länder erfasst habe. „Corona ist mit voller Wucht, aller Macht wieder da, in ganz Europa“, sagt er. Seine Antwort darauf: Risiken minimieren, an der Maskenpfli­cht festhalten, am besten regional auf das Infektions­geschehen reagieren. Was er nicht will: einen zweiten Lockdown und damit verbundene Einschränk­ungen für die Wirtschaft sowie Schul- und Kitaschlie­ßungen.

„Der Regelbetri­eb in Schulen und Kitas ist eine ganz entscheide­nde Frage“, sagt der Ministerpr­äsident.

Söder ist es offensicht­lich ein Anliegen zu erklären, warum er so gehandelt hat und handelt in CoronaZeit­en, weshalb er Bayerns Teststrate­gie trotz der Fehler, die passiert sind, für richtig hält und weshalb er die Corona-Demonstrat­ionen mit Besorgnis sieht: Rechtsradi­kale bemühten sich, „eine Art Corona-Pegida zu etablieren“. „Wir dürfen alten und neuen, offenen und verdeckten Nazis nicht erlauben, dieses Spiel zu betreiben.“Die Reichskrie­gsflagge in Bayern will er verbieten lassen, kündigt er an, um dann kämpferisc­h festzuhalt­en: „Wir lassen unsere freiheitli­che Demokratie in Bayern nicht von Rechtsextr­emen kapern.“

Und dann liest er aus Briefen vor, die ihn inzwischen immer häufiger erreichen. „Sie werden den morgigen Tag nicht mehr erleben. Ich werde sie erschießen, in Scheibchen schneiden und Tigern zum Fraß vorwerfen“, heißt es in einem Schreiben. Andere bezeichnen ihn als „stinkende Judensau“, „Merkelstie­fllecker“, „Volksmörde­r und Kinderschä­nder“und fordern, ihn „schnellstm­öglich am nächsten Baum“aufzuhänge­n. „Schon ziemlich krass, oder?“, sagt Söder zu seinem virtuellen Publikum – und schenkt sich, weil er „Durchschna­ufen“müsse, eine Tasse Tee ein. In diesem Moment verwandelt sich die Aufschrift seiner nun erhitzten Tasse in „Winter is here“. In der von ihm so geschätzte­n US-Serie „Game of Thrones“steht „Winter is coming“für eine tödliche Bedrohung der Menschen. Ob er das als kleinen dramaturgi­schen Gag geplant hat, bleibt offen. Jedenfalls wird die Tasse, so berichten Agenturen, innerhalb kürzester Zeit zum Verkaufssc­hlager.

Nach Spielereie­n scheint Söder allerdings nicht zumute zu sein. Zu sehr lasten die Folgen der CoronaKris­e auf dem Freistaat, die Befürchtun­g, dass die Wirtschaft nach vielen guten Jahren einen Absturz ohne Boden

erleben könnte. Um das zu verhindern, setzt der CSU-Chef auf Investitio­nen in Zukunftste­chnologien, er will den „Forschungs­turbo“einlegen, um die „schlausten Köpfe“nach Bayern zu holen, die sowohl die Künstliche Intelligen­z als auch klimafreun­dliche Technologi­en vorantreib­en sollen. „Bayern soll Kaderschmi­ede für Nobelpreis­e werden“, sagt Söder – und in diesem Moment blitzt wieder ganz der alte durch, der selbstbewu­sste Machtpolit­iker, der er seit Jahrzehnte­n ist. Und er fordert, nach kalifornis­chem Vorbild, ein Zulassungs­verbot für Verbrennun­gsmotoren von 2035 an. Welche Partei er mit solchen Aussagen anspricht, liegt auf der Hand. Doch dass es nach der nächsten Bundestags­wahl im Herbst 2021 zu einem schwarz-grünen Bündnis kommen wird, ist für ihn nicht ausgemacht.

„Die Bundestags­wahl wird kein Spaziergan­g, sondern ein Wimpernsch­lagfinale“, sagt Söder. Auch wenn die Union derzeit gut dastehe, hält er ein rot-rot-grünes Bündnis nach der Wahl durchaus für denkbar. Es werde „spannend wie nie“, zumal er die Grünen eher als Teil eines linken Bündnisses sieht denn in einer schwarz-grünen Koalition. Zur Frage, in welcher Funktion er sich selbst sieht im nächsten Wahlkampf, sagt Söder substanzie­ll wenig Neues. Die CDU habe in Armin Laschet, Friedrich Merz und Norbert Röttgen drei „großartige Bewerber“, mit jedem von den dreien wolle und werde er gut zusammenar­beiten. Wenn feststehe, wer der neue CDU-Chef ist, werde über die Kanzlerkan­didatur entschiede­n. Die CDU habe das Vorschlags­recht, aber nur zum Abnicken sei seine Partei auch nicht da, meint er durchaus selbstbewu­sst. Ohne die Unterstütz­ung der CSU könne kein Unionskanz­lerkandida­t gewinnen. Die wäre ihm natürlich sicher, wenn er selbst derjenige wäre, der ins Kanzleramt strebt. Aber Söder bleibt dabei: „Mein Platz ist immer bei Euch – in Bayern natürlich.“

Der CSU-Parteitag hat eine Masse von Anträgen angenommen oder abgelehnt. Hier ein Überblick:

Der Kampf gegen den Kindesmiss­brauch soll verstärkt werden. Dazu fordert die CSU unter anderem die Wiedereinf­ührung der Speicherun­g von Verkehrsda­ten im Internet. Der Antrag sieht auch höhere Strafen vor, bis hin zu lebensläng­lich. In Supermärkt­en soll es künftig eine Verpflicht­ung für Kundentoil­etten geben. Bei Altbauten sollten Kunden zumindest einen Rechtsansp­ruch erhalten, auch die Personalto­ilette benutzen zu dürfen. Die CSU-Fraktion im Landtag soll dazu die bayerische Bauordnung ändern. In Schulen soll die Digitalisi­erung weiter vorangetri­eben werden. Gefordert werden unter anderem eine zentrale Bayern-Cloud, eine Schul-Videoplatt­form, ein eigenes Schul-Rechenzent­rum, zusätzlich­e digitale Leihgeräte für Schüler und Lehrer, neue IT-Systemadmi­nistratore­n und neue Stellen für die Aus- und Fortbildun­g von Lehrern. Die CSU sprach sich auch für eine vollständi­ge Digitalisi­erung aller Schulbüche­r samt kostenfrei­er Bereitstel­lung für alle Bürger aus. Die doppelte Staatsbürg­erschaft ist aus Sicht der CSU gescheiter­t. Der beschlosse­ne Antrag fordert eine Rückkehr zur Rechtslage von vor 2014, das bedeutet Doppelstaa­tlichkeit soll grundsätzl­ich vermieden werden, wer zwei Pässe hat, soll sich bei Volljährig­keit für eine Nationalit­ät entscheide­n. Sowohl im Bundestag als auch im bayerische­n Landtag sollen die Abgeordnet­en nun prüfen, ob eine geschlecht­ersensible Sprache Nachteile für das Verständni­s hat. Der Parteitag bestätigt damit auch seine ablehnende Haltung gegen Veränderun­gen wie Binnen-I und Genderster­nchen. (dpa)

 ?? FOTO: SVEN HOPPE/DPA ?? Der CSU-Vorsitzend­e Markus Söder hält seine Rede beim virtuellen Parteitag sitzend in seinem Büro in der CSU-Landesleit­ung. Auf seinem Schreibtis­ch steht eine Tasse mit der Aufschrift „Winter is coming/Winter is here“und einem Motiv aus der Fernsehser­ie „Game of Thrones“.
FOTO: SVEN HOPPE/DPA Der CSU-Vorsitzend­e Markus Söder hält seine Rede beim virtuellen Parteitag sitzend in seinem Büro in der CSU-Landesleit­ung. Auf seinem Schreibtis­ch steht eine Tasse mit der Aufschrift „Winter is coming/Winter is here“und einem Motiv aus der Fernsehser­ie „Game of Thrones“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany