Der Winter kommt
CSU-Parteitag in Zeiten von Corona – Bayerns Ministerpräsident Söder warnt vor einer zweiten Welle und macht Hassbriefe öffentlich
- Was für eine Bildsprache: Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder sitzt unter einem Holzkruzifix an einem schlichten Tisch, im Hintergrund weiß-blaue Flaggen, neben seinem Redemanuskript eine Thermoskanne und eine Tasse mit der Aufschrift „Winter is coming“. Damit ist das Hauptthema seiner Rede beim virtuellen Parteitag am Samstag in München auch schon gesetzt: Es geht um Corona. Corona als Gesundheitsrisiko, als Gefahr für die Wirtschaft, aber auch als Bedrohung der liberalitas bavariae, auf die der Freistaat so stolz ist. Denn liberal und weltoffen zu sein könnte in Corona-Zeiten zum Fluch werden.
Auch Parteitage haben es derzeit schwer. Anstatt sich mit Hunderten Gleichgesinnten in großen Messehallen zu treffen, sich auszutauschen und Kontakte zu pflegen, sitzen nun fast alle Delegierten zu Hause vor ihrem Rechner. Via Internet wird über Dutzende Anträge beraten und abgestimmt. Immerhin: Die Technik funktioniert, CSU-Generalsekretär Markus Blume und Dorothee Bär, Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung, die zusammen den Parteitag moderieren, sind zufrieden mit dem Ablauf und rühmen die Disziplin der CSU-Delegierten, die bis zum Schluss in großer Zahl ihre Voten abgeben.
Eine Disziplin, die sich Söder auch im Umgang der Bevölkerung mit der Corona-Pandemie wünscht. Der CSU-Vorsitzende wirkt besorgt und gedämpft. Corona sei eine „Naturkatastrophe“, sagt er in seiner im Sitzen gehaltenen Rede, die vielmehr an eine Weihnachtsansprache erinnert als an eine Parteitagsrede. Und er warnt nachdrücklich vor der „zweiten Welle“, die bereits einige Länder erfasst habe. „Corona ist mit voller Wucht, aller Macht wieder da, in ganz Europa“, sagt er. Seine Antwort darauf: Risiken minimieren, an der Maskenpflicht festhalten, am besten regional auf das Infektionsgeschehen reagieren. Was er nicht will: einen zweiten Lockdown und damit verbundene Einschränkungen für die Wirtschaft sowie Schul- und Kitaschließungen.
„Der Regelbetrieb in Schulen und Kitas ist eine ganz entscheidende Frage“, sagt der Ministerpräsident.
Söder ist es offensichtlich ein Anliegen zu erklären, warum er so gehandelt hat und handelt in CoronaZeiten, weshalb er Bayerns Teststrategie trotz der Fehler, die passiert sind, für richtig hält und weshalb er die Corona-Demonstrationen mit Besorgnis sieht: Rechtsradikale bemühten sich, „eine Art Corona-Pegida zu etablieren“. „Wir dürfen alten und neuen, offenen und verdeckten Nazis nicht erlauben, dieses Spiel zu betreiben.“Die Reichskriegsflagge in Bayern will er verbieten lassen, kündigt er an, um dann kämpferisch festzuhalten: „Wir lassen unsere freiheitliche Demokratie in Bayern nicht von Rechtsextremen kapern.“
Und dann liest er aus Briefen vor, die ihn inzwischen immer häufiger erreichen. „Sie werden den morgigen Tag nicht mehr erleben. Ich werde sie erschießen, in Scheibchen schneiden und Tigern zum Fraß vorwerfen“, heißt es in einem Schreiben. Andere bezeichnen ihn als „stinkende Judensau“, „Merkelstiefllecker“, „Volksmörder und Kinderschänder“und fordern, ihn „schnellstmöglich am nächsten Baum“aufzuhängen. „Schon ziemlich krass, oder?“, sagt Söder zu seinem virtuellen Publikum – und schenkt sich, weil er „Durchschnaufen“müsse, eine Tasse Tee ein. In diesem Moment verwandelt sich die Aufschrift seiner nun erhitzten Tasse in „Winter is here“. In der von ihm so geschätzten US-Serie „Game of Thrones“steht „Winter is coming“für eine tödliche Bedrohung der Menschen. Ob er das als kleinen dramaturgischen Gag geplant hat, bleibt offen. Jedenfalls wird die Tasse, so berichten Agenturen, innerhalb kürzester Zeit zum Verkaufsschlager.
Nach Spielereien scheint Söder allerdings nicht zumute zu sein. Zu sehr lasten die Folgen der CoronaKrise auf dem Freistaat, die Befürchtung, dass die Wirtschaft nach vielen guten Jahren einen Absturz ohne Boden
erleben könnte. Um das zu verhindern, setzt der CSU-Chef auf Investitionen in Zukunftstechnologien, er will den „Forschungsturbo“einlegen, um die „schlausten Köpfe“nach Bayern zu holen, die sowohl die Künstliche Intelligenz als auch klimafreundliche Technologien vorantreiben sollen. „Bayern soll Kaderschmiede für Nobelpreise werden“, sagt Söder – und in diesem Moment blitzt wieder ganz der alte durch, der selbstbewusste Machtpolitiker, der er seit Jahrzehnten ist. Und er fordert, nach kalifornischem Vorbild, ein Zulassungsverbot für Verbrennungsmotoren von 2035 an. Welche Partei er mit solchen Aussagen anspricht, liegt auf der Hand. Doch dass es nach der nächsten Bundestagswahl im Herbst 2021 zu einem schwarz-grünen Bündnis kommen wird, ist für ihn nicht ausgemacht.
„Die Bundestagswahl wird kein Spaziergang, sondern ein Wimpernschlagfinale“, sagt Söder. Auch wenn die Union derzeit gut dastehe, hält er ein rot-rot-grünes Bündnis nach der Wahl durchaus für denkbar. Es werde „spannend wie nie“, zumal er die Grünen eher als Teil eines linken Bündnisses sieht denn in einer schwarz-grünen Koalition. Zur Frage, in welcher Funktion er sich selbst sieht im nächsten Wahlkampf, sagt Söder substanziell wenig Neues. Die CDU habe in Armin Laschet, Friedrich Merz und Norbert Röttgen drei „großartige Bewerber“, mit jedem von den dreien wolle und werde er gut zusammenarbeiten. Wenn feststehe, wer der neue CDU-Chef ist, werde über die Kanzlerkandidatur entschieden. Die CDU habe das Vorschlagsrecht, aber nur zum Abnicken sei seine Partei auch nicht da, meint er durchaus selbstbewusst. Ohne die Unterstützung der CSU könne kein Unionskanzlerkandidat gewinnen. Die wäre ihm natürlich sicher, wenn er selbst derjenige wäre, der ins Kanzleramt strebt. Aber Söder bleibt dabei: „Mein Platz ist immer bei Euch – in Bayern natürlich.“
Der CSU-Parteitag hat eine Masse von Anträgen angenommen oder abgelehnt. Hier ein Überblick:
Der Kampf gegen den Kindesmissbrauch soll verstärkt werden. Dazu fordert die CSU unter anderem die Wiedereinführung der Speicherung von Verkehrsdaten im Internet. Der Antrag sieht auch höhere Strafen vor, bis hin zu lebenslänglich. In Supermärkten soll es künftig eine Verpflichtung für Kundentoiletten geben. Bei Altbauten sollten Kunden zumindest einen Rechtsanspruch erhalten, auch die Personaltoilette benutzen zu dürfen. Die CSU-Fraktion im Landtag soll dazu die bayerische Bauordnung ändern. In Schulen soll die Digitalisierung weiter vorangetrieben werden. Gefordert werden unter anderem eine zentrale Bayern-Cloud, eine Schul-Videoplattform, ein eigenes Schul-Rechenzentrum, zusätzliche digitale Leihgeräte für Schüler und Lehrer, neue IT-Systemadministratoren und neue Stellen für die Aus- und Fortbildung von Lehrern. Die CSU sprach sich auch für eine vollständige Digitalisierung aller Schulbücher samt kostenfreier Bereitstellung für alle Bürger aus. Die doppelte Staatsbürgerschaft ist aus Sicht der CSU gescheitert. Der beschlossene Antrag fordert eine Rückkehr zur Rechtslage von vor 2014, das bedeutet Doppelstaatlichkeit soll grundsätzlich vermieden werden, wer zwei Pässe hat, soll sich bei Volljährigkeit für eine Nationalität entscheiden. Sowohl im Bundestag als auch im bayerischen Landtag sollen die Abgeordneten nun prüfen, ob eine geschlechtersensible Sprache Nachteile für das Verständnis hat. Der Parteitag bestätigt damit auch seine ablehnende Haltung gegen Veränderungen wie Binnen-I und Gendersternchen. (dpa)