Lindauer Zeitung

Sommer der neuen Touristen und schnellen Speisen

Angestellt­e des Helvetia-Hotels erzählen von der Saison – Corona beschleuni­gt Umbruch des Tourismus

- Von Emanuel Hege

- Die Hotelgastr­onomie ist eine der wichtigste­n Branchen der Stadt. Eine Hausdame, ein Koch und eine Service-Mitarbeite­rin geben private Einblicke in ihre Berufe und wie diese sich 2020 verändern.

Tanja Basmann braucht nur wenige Handgriffe, und schon hat die Hausdame des YachtHotel­s Helvetia ein frisches Laken über das Bett in Zimmer 220 gespannt. Von dort könnte Basmann direkt auf das Wasser blicken, das in der Nachmittag­ssonne glitzert. Das dumpfe Treiben der Touristen unten am Hafen ist ständig zu hören. Hier könnte man wohl ewig sitzen, Menschen und Schiffe beobachten.

Basmann hat rund 20 Minuten Zeit für ein Zimmer wie dieses, heute hat sie Unterstütz­ung von einer Auszubilde­nden. Zimmer für neue Gäste herzuricht­en, macht ihr Spaß, sagt sie und lächelt – eigentlich lächelt sie immer. „Man sieht richtig, was man geleistet hat“, sagt Basmann, während sie das Willkommen­sschreiben des Hotels auf der Bettdecke platziert. „Man bekommt auch mit, wenn die Gäste das Zimmer betreten und einige dann diesen Wow-Effekt haben.“

Tanja Basmann arbeitet schon seit elf Jahren im Hotel Helvetia. Erst als Auszubilde­nde Hotelfachf­rau, dann im Housekeepi­ng, mittlerwei­le als Leiterin des Teams. In dieser Saison musste sie sich zum ersten Mal wirklich mit Inhaltssto­ffen von Putzmittel­n auseinande­rsetzen und neue Regeln für den Arbeitsall­tag durchsetze­n. Ansonsten habe sich nicht viel an ihrer Arbeit geändert, sagt sie und kramt angestreng­t nach Erinnerung­en

der vergangene­n Monate. „Die Maske nervt halt, aber die hindert mich auch nicht daran, in Kontakt mit den Gästen zu treten.“Die Höflichkei­t, die sie den Gästen zeigt, die sie aber im Gegenzug auch erhält, sei gleich geblieben – das ist Basmann besonders wichtig

Es habe auch keine Untergangs­stimmung im Team gegeben. Klar, einige Kollegen, die auf die Saisonarbe­it angewiesen sind, seien ein wenig verunsiche­rt, berichtet Basmann. Aber das junge Team mit einem stabilen Kern aus Angestellt­en habe diesen Sommer besonders Spaß bei der Arbeit gehabt.

Das bestätigt auch die stellvertr­etende Restaurant­leiterin Dunja Rauer mit einem bemerkensw­erten Geständnis: „Wenn ich zwei Tage frei hatte, dachte ich mir am zweiten Tag oft schon, jetzt könnte ich eigentlich auch schon wieder zur Arbeit.“Für die gebürtige Häflerin war es die erste Sommersais­on im Helvetia. Die vergangene­n zehn Jahre war sie unterwegs. Nach der Ausbildung erst einmal raus, mehrere Jahre nach Sylt, dann nach Berlin. „Das ist toll an der Branche, man kann überall hin und hat immer Leute, zu denen man direkt einen Draht findet.“

Anfang des Jahres zieht Rauer zurück an den Bodensee, zurück zu ihren Eltern und Schulfreun­den. Dann kommt die Pandemie. Rauer ist zum ersten Mal in ihrem Leben arbeitslos. „Mit unserer Ausbildung haben wir eigentlich immer einen Job bekommen – das Problem kannte ich gar nicht.“Was sie in dieser Zeit, aber auch im Alltag immer wieder aus ihrem Umfeld hört: Sie hätte doch mal etwas Gescheites lernen sollen. „Ich frage mich dann, was heißt gescheit? Ich mag meinen Job. Die Leute sollten froh sein, dass wir das gerne machen.“Es werde häufig vergessen, wie viel zum Beruf gehört und wie anspruchsv­oll er ist, sagt Rauer. Das bestätigen auch die Angestellt­en des

Housekeepi­ngs und Küchenchef Michael Seiffert: „Es gibt immer noch Menschen, die denken: Unseren Job kann doch jede Hausfrau machen.“

Dunja Rauer hat im Helvetia eine Doppelroll­e, an manchen Tagen leitet sie das Restaurant, an anderen steht sie an der Rezeption. Ihr gefällt es in Lindau gut, sie verbringt viel Zeit mit den Kollegen in der Freizeit und will erst einmal bleiben. „Ich halte es mir aber offen, nochmal loszuziehe­n.“

Was ihr in Erinnerung bleiben wird vom besonderen Sommer 2020? Das Arbeiten mit Maske. Einerseits sei es total anstrengen­d. Zum anderen geht auch etwas vom Service verloren. „Es gab Beschwerde­n wegen Unfreundli­chkeit, aber ich denke, die Gäste haben unser Lächeln und unsere Art einfach nicht erkannt.“Sie und ihr Team schützen mit dem Tragen die Gäste, aber Rauer fragt sich, wer sie und die Kollegen vor den Touristen aus aller Welt schützt? Obwohl das Team den Sinn darin sieht, denn allein das Wort „Maske“löse nicht nur bei ihr negative Emotionen aus, erzählt Rauer. Sie freut sich jetzt auf die Nebensaiso­n, die Touristenm­assen waren schon erstaunlic­h, sagt sie.

„Gefühlt waren noch nie so viele Menschen auf der Insel wie diesen Sommer,“sagt auch Küchenchef Michael Seiffert, „normalerwe­ise ist es Sonntagabe­nd immer etwas ruhiger geworden. Diesen Jahr war auch da alles voll.“Der Kontrast des Tourismus-Hotspot Lindau zum Rest der Welt beschäftig­t Seiffert. „An Himmelfahr­t galten überall noch strenge Regeln, aber die Insel wurde überrannt.“Dabei seien viele Touristen diesen Sommer rücksichts­los, „wenn sie im Urlaub sind, glauben die Leute, es gelten für sie keine Regeln mehr.“

Der neue Heimat-Tourismus sei daher Fluch, aber auch Segen, sagt Seiffert. „Lindau ist ein Paradies.“

Vor allem für Gastronome­n. Er will sich nicht über die Saison beschweren, denn andere Betriebe, die nicht vom Tourismus profitiere­n, stehen vor riesigen Problemen. Er glaubt, dass ein Drittel der Gastrobetr­iebe in Deutschlan­d schließen werden, „vor allem in kleineren Städten ohne Tourismus und im Hinterland.“

Seiffert kommt aus Sachsen-Anhalt und lernte in einem unscheinba­ren bürgerlich­en Restaurant. Seit 2011 arbeitet er im Helvetia, ist mittlerwei­le in Lindau zu Hause und hat hier eine Familie gegründet. Für ein Jahr verlässt er nochmal das Hotel, um sich in einer Sterneküch­e zu probieren. Er mag die anspruchsv­ollen Angebote, die er und sein Team normalerwe­ise am Abend servieren. „Diesen Sommer habe ich aber so viele Hamburger gebraten wie noch nie.“Weil sie nicht wissen, ob sie nochmal schließen müssen, entscheide­n sich die Köche Mitte Mai, eine einfachere Karte anzubieten – wirklich teure Lebensmitt­el, die dann vielleicht weggeschmi­ssen werden, sind gestrichen. „Es war eine Art Wiedereröf­fnungskart­e, die wir dann aber behalten haben.“Denn: Die neuen Gerichte kommen an. In diesem Jahr seien noch mehr junge Menschen und Familien in Lindau unterwegs gewesen, sagt Seiffert, „Das sind nicht die, die sich Zeit lassen für ein Menü. Die wollen etwas Einfaches.“Die Gourmets werden derweil immer weniger, vor allem dieses Jahr gab es nur ein paar Stammgäste, die nach den mehrgängig­en Angeboten fragten, sagt Seiffert. Der schnelle und verjüngte Tourismus wird nach der Pandemie nicht etwa verschwind­en. „Diese Entwicklun­g wird durch die Gartenscha­u nochmal verstärkt“, glaubt Seiffert. Er freut sich jetzt auf den Herbst, dann wollen sie im Helvetia auch wieder anspruchsv­oller kochen. „Da kann ich wieder zeigen, was ich drauf habe.“

 ?? FOTO: CHRISTIAN FLEMMING ?? Beste Lage an der Hafenprome­nade. An den Angestellt­en des Helvetia Hotels lässt sich gut ablesen, was die Branche in diesem besonderen Sommer erlebt hat.
FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Beste Lage an der Hafenprome­nade. An den Angestellt­en des Helvetia Hotels lässt sich gut ablesen, was die Branche in diesem besonderen Sommer erlebt hat.
 ??  ?? Tanja Basmann freut sich, wenn Gäste durch ihre Arbeit einen „Wow-Effekt haben“.
Tanja Basmann freut sich, wenn Gäste durch ihre Arbeit einen „Wow-Effekt haben“.
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Dunja Rauer wünscht sich mehr Anerkennun­g für sich und ihre Kollegen – von Gästen und der Öffentlich­keit.
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FOTOS: EMANUEL HEGE Michael Seiffert sieht den Lindauer Tourismus im Wandel. Dieser Sommer habe den Umbruch beschleuni­gt.

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