Sommer der neuen Touristen und schnellen Speisen
Angestellte des Helvetia-Hotels erzählen von der Saison – Corona beschleunigt Umbruch des Tourismus
- Die Hotelgastronomie ist eine der wichtigsten Branchen der Stadt. Eine Hausdame, ein Koch und eine Service-Mitarbeiterin geben private Einblicke in ihre Berufe und wie diese sich 2020 verändern.
Tanja Basmann braucht nur wenige Handgriffe, und schon hat die Hausdame des YachtHotels Helvetia ein frisches Laken über das Bett in Zimmer 220 gespannt. Von dort könnte Basmann direkt auf das Wasser blicken, das in der Nachmittagssonne glitzert. Das dumpfe Treiben der Touristen unten am Hafen ist ständig zu hören. Hier könnte man wohl ewig sitzen, Menschen und Schiffe beobachten.
Basmann hat rund 20 Minuten Zeit für ein Zimmer wie dieses, heute hat sie Unterstützung von einer Auszubildenden. Zimmer für neue Gäste herzurichten, macht ihr Spaß, sagt sie und lächelt – eigentlich lächelt sie immer. „Man sieht richtig, was man geleistet hat“, sagt Basmann, während sie das Willkommensschreiben des Hotels auf der Bettdecke platziert. „Man bekommt auch mit, wenn die Gäste das Zimmer betreten und einige dann diesen Wow-Effekt haben.“
Tanja Basmann arbeitet schon seit elf Jahren im Hotel Helvetia. Erst als Auszubildende Hotelfachfrau, dann im Housekeeping, mittlerweile als Leiterin des Teams. In dieser Saison musste sie sich zum ersten Mal wirklich mit Inhaltsstoffen von Putzmitteln auseinandersetzen und neue Regeln für den Arbeitsalltag durchsetzen. Ansonsten habe sich nicht viel an ihrer Arbeit geändert, sagt sie und kramt angestrengt nach Erinnerungen
der vergangenen Monate. „Die Maske nervt halt, aber die hindert mich auch nicht daran, in Kontakt mit den Gästen zu treten.“Die Höflichkeit, die sie den Gästen zeigt, die sie aber im Gegenzug auch erhält, sei gleich geblieben – das ist Basmann besonders wichtig
Es habe auch keine Untergangsstimmung im Team gegeben. Klar, einige Kollegen, die auf die Saisonarbeit angewiesen sind, seien ein wenig verunsichert, berichtet Basmann. Aber das junge Team mit einem stabilen Kern aus Angestellten habe diesen Sommer besonders Spaß bei der Arbeit gehabt.
Das bestätigt auch die stellvertretende Restaurantleiterin Dunja Rauer mit einem bemerkenswerten Geständnis: „Wenn ich zwei Tage frei hatte, dachte ich mir am zweiten Tag oft schon, jetzt könnte ich eigentlich auch schon wieder zur Arbeit.“Für die gebürtige Häflerin war es die erste Sommersaison im Helvetia. Die vergangenen zehn Jahre war sie unterwegs. Nach der Ausbildung erst einmal raus, mehrere Jahre nach Sylt, dann nach Berlin. „Das ist toll an der Branche, man kann überall hin und hat immer Leute, zu denen man direkt einen Draht findet.“
Anfang des Jahres zieht Rauer zurück an den Bodensee, zurück zu ihren Eltern und Schulfreunden. Dann kommt die Pandemie. Rauer ist zum ersten Mal in ihrem Leben arbeitslos. „Mit unserer Ausbildung haben wir eigentlich immer einen Job bekommen – das Problem kannte ich gar nicht.“Was sie in dieser Zeit, aber auch im Alltag immer wieder aus ihrem Umfeld hört: Sie hätte doch mal etwas Gescheites lernen sollen. „Ich frage mich dann, was heißt gescheit? Ich mag meinen Job. Die Leute sollten froh sein, dass wir das gerne machen.“Es werde häufig vergessen, wie viel zum Beruf gehört und wie anspruchsvoll er ist, sagt Rauer. Das bestätigen auch die Angestellten des
Housekeepings und Küchenchef Michael Seiffert: „Es gibt immer noch Menschen, die denken: Unseren Job kann doch jede Hausfrau machen.“
Dunja Rauer hat im Helvetia eine Doppelrolle, an manchen Tagen leitet sie das Restaurant, an anderen steht sie an der Rezeption. Ihr gefällt es in Lindau gut, sie verbringt viel Zeit mit den Kollegen in der Freizeit und will erst einmal bleiben. „Ich halte es mir aber offen, nochmal loszuziehen.“
Was ihr in Erinnerung bleiben wird vom besonderen Sommer 2020? Das Arbeiten mit Maske. Einerseits sei es total anstrengend. Zum anderen geht auch etwas vom Service verloren. „Es gab Beschwerden wegen Unfreundlichkeit, aber ich denke, die Gäste haben unser Lächeln und unsere Art einfach nicht erkannt.“Sie und ihr Team schützen mit dem Tragen die Gäste, aber Rauer fragt sich, wer sie und die Kollegen vor den Touristen aus aller Welt schützt? Obwohl das Team den Sinn darin sieht, denn allein das Wort „Maske“löse nicht nur bei ihr negative Emotionen aus, erzählt Rauer. Sie freut sich jetzt auf die Nebensaison, die Touristenmassen waren schon erstaunlich, sagt sie.
„Gefühlt waren noch nie so viele Menschen auf der Insel wie diesen Sommer,“sagt auch Küchenchef Michael Seiffert, „normalerweise ist es Sonntagabend immer etwas ruhiger geworden. Diesen Jahr war auch da alles voll.“Der Kontrast des Tourismus-Hotspot Lindau zum Rest der Welt beschäftigt Seiffert. „An Himmelfahrt galten überall noch strenge Regeln, aber die Insel wurde überrannt.“Dabei seien viele Touristen diesen Sommer rücksichtslos, „wenn sie im Urlaub sind, glauben die Leute, es gelten für sie keine Regeln mehr.“
Der neue Heimat-Tourismus sei daher Fluch, aber auch Segen, sagt Seiffert. „Lindau ist ein Paradies.“
Vor allem für Gastronomen. Er will sich nicht über die Saison beschweren, denn andere Betriebe, die nicht vom Tourismus profitieren, stehen vor riesigen Problemen. Er glaubt, dass ein Drittel der Gastrobetriebe in Deutschland schließen werden, „vor allem in kleineren Städten ohne Tourismus und im Hinterland.“
Seiffert kommt aus Sachsen-Anhalt und lernte in einem unscheinbaren bürgerlichen Restaurant. Seit 2011 arbeitet er im Helvetia, ist mittlerweile in Lindau zu Hause und hat hier eine Familie gegründet. Für ein Jahr verlässt er nochmal das Hotel, um sich in einer Sterneküche zu probieren. Er mag die anspruchsvollen Angebote, die er und sein Team normalerweise am Abend servieren. „Diesen Sommer habe ich aber so viele Hamburger gebraten wie noch nie.“Weil sie nicht wissen, ob sie nochmal schließen müssen, entscheiden sich die Köche Mitte Mai, eine einfachere Karte anzubieten – wirklich teure Lebensmittel, die dann vielleicht weggeschmissen werden, sind gestrichen. „Es war eine Art Wiedereröffnungskarte, die wir dann aber behalten haben.“Denn: Die neuen Gerichte kommen an. In diesem Jahr seien noch mehr junge Menschen und Familien in Lindau unterwegs gewesen, sagt Seiffert, „Das sind nicht die, die sich Zeit lassen für ein Menü. Die wollen etwas Einfaches.“Die Gourmets werden derweil immer weniger, vor allem dieses Jahr gab es nur ein paar Stammgäste, die nach den mehrgängigen Angeboten fragten, sagt Seiffert. Der schnelle und verjüngte Tourismus wird nach der Pandemie nicht etwa verschwinden. „Diese Entwicklung wird durch die Gartenschau nochmal verstärkt“, glaubt Seiffert. Er freut sich jetzt auf den Herbst, dann wollen sie im Helvetia auch wieder anspruchsvoller kochen. „Da kann ich wieder zeigen, was ich drauf habe.“