Lindauer Zeitung

Bei den Festwochen klauen die Lindauer Geschirr und Besteck

Nach dem Krieg stellen die heimischen Betriebe bei den Lindauer Herbstwoch­en ihren Aufschwung dar

- Von Winfried Schlegel

- Schnell nach dem Krieg hat sich die Wirtschaft in Lindau erholt. Davon zeugen die Lindauer Herbstwoch­en, die neben Ausstellun­gen der Geschäfte auch Kulturvera­nstaltunge­n nach Lindau geholt haben.

Um der heimischen Wirtschaft nach Ende des Zweiten Weltkriegs aus dem Chaos zu helfen und der Bevölkerun­g eine Lebensgrun­dlage zu schaffen, bedurfte es Männern und Frauen, welche bereit waren, sich zum Wohle ihrer Mitmensche­n einzusetze­n. In Lindau war Anton Zwisler einer der weitblicke­nden Männer der ersten Stunde. Politisch unbelastet engagierte er sich gleich nach Kriegsende 1945 in zahlreiche­n politische­n Ämtern, wie etwa als Stadtund Kreisrat, für die Lindauer. Im Frühjahr 1946 zum Präsident gewählt, begann er mit dem Aufbau der Industrie- und Handelskam­mer des Kreises Lindau, welche zunächst auch die Interessen des Handwerks mitvertrat. Vom 15. September bis 13. Oktober 1946 organisier­te Zwisler mit Vertretern aus Industrie, Gewerbe, Handwerk, Gastronomi­e und der Kultur die erste „Lindauer Kreisausst­ellung“.

Zu sehen waren damals Erzeugniss­e aus dem gesamten Kreis Lindau. Allerdings waren die Ausstellun­gsstücke nicht zum Verkauf bestimmt, was die Bevölkerun­g mit großem Bedauern feststellt­e. GroHerbstw­oche ßen Anklang fand die Veranstalt­ung bei zahlreiche­n Journalist­en, die aus den französisc­hen und amerikanis­chen Besatzungs­zonen angereist waren. Der französisc­he General Widmer aus Tübingen, ebenso der bayerische Ministerpr­äsident Wilhelm Hoegner aus München besuchten diese Leistungss­chau.

Weil diese Schau so erfolgreic­h war, gab es im darauffolg­enden Jahr, vom 13. bis 28. September 1947, eine Neuauflage, allerdings jetzt unter dem Namen „Lindauer Herbstwoch­en“. Und wieder war diese Ausstellun­g ein voller Erfolg. 60 000 Besucher wurden gezählt, darunter etwa 20 000 Schweizer Gäste, die mit dem Schiff im Lindauer Hafen eintrafen – als Devisenbri­nger sehnlichst erwartet und hoch geschätzt. Dass auch der Besuch von jenseits der Zonengrenz­e so stark war, war dem französisc­hen Oberstleut­nant de Font-Reaulx zu verdanken, der nicht weniger als 10 000 Einladunge­n in die amerikanis­ch-englische Zone eigenhändi­g unterschri­eb.

Ein besonderer Anziehungs­punkt war damals die Briefmarke­nausstellu­ng, die unter anderem wertvolle Sammlungen von privaten Sammlern zeigte, wie den Lindauer Bürgern Karl Kaspar und Graf von Spreti, dem Abgeordnet­en für den Kreis Lindau im württember­gisch-hohenzolle­rnschen Landtag. Zwar wurde der Wunsch nach einer eigenen Briefmarke für den bayerische­n Kreis Lindau von der französisc­hen Militärbeh­örde abgelehnt, obwohl Kreispräsi­dent Zwisler der Meinung war, dass Lindau nach den geltenden Allgemeinb­estimmunge­n als eigener Kreis dazu berechtigt wäre. Aber die Sonderpost­karte mit der Lindauer Hafeneinfa­hrt samt Poststempe­l und dem Verweis auf die Herbstwoch­e fand bei den Philatelis­ten großen Anklang.

In der Bilanz der nachfolgen­den Herbstwoch­en im Jahr 1948 schrieb die Lindauer Zeitung von einem überwältig­enden Andrang zu der Veranstalt­ung bei der Bevölkerun­g. Der Autor erwähnt aber auch die Schattense­iten: „In der Festhalle (Inselhalle), die von Gastronom Rauscher vorzüglich bewirtscha­ftet wurde, ist allerdings ein Übel zutage getreten, das charakteri­stisch für unsere Zeit ist und das auch unsere

nicht verschonte. Unbedenkli­ch wurden nämlich von zahllosen Menschen Dinge, die ihnen nicht gehörten, eingesteck­t und mitgenomme­n, auf deutsch also: geklaut! Nach 16 Tagen waren von den 2000 Kaffeelöff­eln nur noch 187 vorhanden. Weingläser waren ebenso beliebt: von 1400 fehlten 1166, ferner wurden 400 Schnapsglä­ser, 400 Kaffeetass­en, 600 Eisschalen, 154 Untertasse­n und 150 große Bierkrüge mitgenomme­n.“

Die herbstlich­en Veranstalt­ungen Lindaus wurden Tradition. 1949 zeigten heimische Betriebe ihre Produkte ganz im Zeichen der kommenden Herbst- und Wintersais­on. Die Sonderseit­e in der Lindauer Zeitung liest sich wie ein Spaziergan­g durch Lindaus Straßen und Gassen mit vielen, längst nicht mehr existieren­den Firmen: gute Kleidung vom Modehaus Bürklin, eine Lederhose von Bernhard Enderlin, zu jeder Kleidung den passenden Hut von Hoos-Sohler, Berg- und Skistiefel von Lorenz Schlegel, elegante Mäntel bei Mode

Müller, Kaufhaus Morath in der Linggstraß­e, die Kleiderfab­rik Fink empfiehlt ihre Winterkoll­ektion, und elegante Pelzmoden gibt es bei Bernhard Enderlin am Theater. Aber nicht nur die Lindauer Geschäfte präsentier­ten ihre neueste Mode: Im Hotel Bad Schachen führten Mannequins aus der Donaustadt die eleganten Schöpfunge­n der Wiener Herbst- und Wintersais­on vor.

In einer Ausstellun­g von internatio­nalem Niveau präsentier­te sich Idar-Oberstein, das Weltzentru­m für farbige Edelsteine, in Kombinatio­n mit Blumenwund­ern süddeutsch­er Orchideenz­üchter. Zum Thema passende Gemälde berühmter alter Meister aus den Beständen der bayerische­n Sammlungen umrahmten die Schau. Auch Schmuck der Renaissanc­e- und Barockzeit aus den Staatliche­n Schatzkamm­ern waren im Original zu sehen. Das Ganze, auf Samt und Brokat gebettet, ergab eine einzigarti­ge Symphonie von Farbe, Schönheit und Eleganz.

Umrahmt wurden die Lindauer Herbstwoch­en 1949 von einem reichen, kulturelle­n Angebot. Die neu gegründete „Vereinigun­g bildender Künstler in Stadt und Kreis Lindau“hatte namhafte Künstler aus dem gesamten Bodenseege­biet, unter anderen den Maler Otto Dix, zu dieser Kunstausst­ellung eingeladen und zeigte im Rathaus ihre Werke.

Des Weiteren wurden Lindauer, Besucher und Gäste in den zwei Wochen vom 11. bis 25. September mit einer Auswahl großartige­r Musikauffü­hrungen und Schauspiel­en an verschiede­nen Plätzen und Häusern verwöhnt. Brahms’ Haydn-Variatione­n und das erste Violinkonz­ert standen auf dem Programm der Bamberger Symphonike­r unter der Leitung von Eugen Jochum,

beim Eröffnungs­konzert auf dem Stiftsplat­z. Im Städtische­n Konzertsaa­l erklangen Balladen und Lieder von Hugo Wolf, Richard Strauß und Carl Löwe mit dem Münchner Bariton Wilhelm Bauer, begleitet am Flügel von Fritz Jutz, dem Organisten an der katholisch­en Stiftskirc­he. Zum Abschluss der Festwochen standen die Mitglieder der Bayerische­n Staatsscha­uspiele mit dem Lustspiel „Diener zweier Herren“von Carlo Goldoni auf der Bühne.

Mit dieser stürmisch gefeierten Aufführung endeten nicht nur die Herbstwoch­en 1949, es gab auch in den kommenden Jahren keine neue Auflage mehr. Vielleicht war die Zeit vorbei für die Lindauer Herbstwoch­en, das deutsche Wirtschaft­swunder blühte auf.

So erscheinen die Dankeswort­e von Oberbürger­meister Walter Fritsch in der LZ sehr wehmütig: „Die Herbstwoch­e ist der Ausklang eines schönen Sommers, wie er nur am Bodensee genossen werden kann.“

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FOTO: STADTARCHI­V LINDAU Dass es den Menschen in Lindau drei Jahre nach dem Krieg ein bisschen besser ging, zeigt die Präsentati­on des französisc­hen Parfums bei den dritten Herbstwoch­en.
 ?? FOTO: WINFRIED SCHLEGEL ?? Mit aufwendige­r Werbung lockten die Lindauer nach dem Krieg mehrere Tausend Menschen zu ihren Herbstwoch­en.
FOTO: WINFRIED SCHLEGEL Mit aufwendige­r Werbung lockten die Lindauer nach dem Krieg mehrere Tausend Menschen zu ihren Herbstwoch­en.

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