Lindauer Zeitung

Bolsonaro verbittet sich Kritik

Die tobenden Waldbrände in Brasilien scheinen den Präsidente­n kaum zu kümmern

- Von Martina Farmbauer

(dpa) - Eine gewisse Ironie ist kaum zu leugnen: Ausgerechn­et Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro, der die massiven Waldbrände in seinem Land immer wieder heruntersp­ielt, kann mit seinem Flugzeug nicht landen – wegen des Rauchs der Waldbrände.

Aber deshalb Einsicht beim Staatsober­haupt? Fehlanzeig­e. „In diesem Fall war die

Sicht nicht sehr gut“, sagt Bolsonaro lediglich, nachdem es mit dem Landeanflu­g auf die Stadt Sinop im zweiten Versuch dann doch noch geklappt hat.

Vorwürfe aus dem Ausland weist der Präsident mit dem Hinweis zurück, die Konkurrenz sei eben interessie­rt daran, das brasiliani­sche Agrargesch­äft anzugreife­n. Kanzlerin Angela Merkel hatte sich auch angesichts der anhaltende­n Abholzung des Regenwalde­s skeptisch gegenüber dem Handelsver­trag zwischen EU und dem südamerika­nischen

Staatenbun­d Mercosur geäußert. Auch Frankreich widersetzt sich dem.

Doch auch in Brasilien wächst die Kritik. „Die Auswirkung­en auf die Agrarindus­trie sind schädlich, unsere Glaubwürdi­gkeit und Wettbewerb­sfähigkeit werden beeinträch­tigt“, sagte Parlaments­präsident Rodrigo Maia. Auch eine Koalition aus mehr als 200 Agrarunter­nehmen und Nichtregie­rungsorgan­isationen hatte der Regierung Bolsonaro bereits Vorschläge geschickt, um die Abholzung im Amazonas-Gebiet „schnell und dauerhaft“zu stoppen.

„Wir sehen Ausbrüche von Feuern in ganz Brasilien seit Jahren“, sagt Bolsonaro. Was Bolsonaro zum Beispiel nicht sagt: Seit Beginn der Aufzeichnu­ngen im Jahr 1999 hat es im Pantanal, dem weltgrößte­n Binnenfeuc­htgebiet, nie so schlimm gebrannt wie derzeit. Das geht aus Daten des Nationalen Weltraumin­stituts (Inpe) hervor. Alleine in diesem Jahr hat das Inpe dort bereits fast 16 000 Feuer registrier­t. Auch im Amazonas-Gebiet toben Brände.

Die Brände zerstörten schon ein Fünftel, rund 30 000 Quadratkil­ometer, des Pantanal-Gebiets in den Bundesstaa­ten Mato Grosso und Mato Grosso do Sul – eine Fläche größer als Israel. „Es sieht so aus, als ob nur Wasser übrig bleibt“, sagt Vinícius Silgueiro von der Umweltschu­tzorganisa­tion „Instituto Centro de Vida“(ICV) in Alta Floresta der Deutschen Presse-Agentur.

Das Pantanal besteht aus einem verzweigte­n System von Flüssen und Seen und ist ein einzigarti­ges Naturund

Touristenp­aradies. Beheimatet sind dort außerdem die größte Jaguar-Population der Welt sowie Hunderte Vogelarten, darunter der bedrohte Hyazinth-Ara. Die Brände verwandeln ihren Lebensraum vielerorts in einen Friedhof. Einen Notfallpla­n hat etwa der Jaguar-Park „Encontro das Águas“nicht, wie die

Zeitung „Folha de S. Paulo“berichtete – und lediglich einen Mitarbeite­r.

Freiwillig­e retten und versorgen überlebend­e Tiere. Es gibt dramatisch­e Berichte von Freiwillig­en, die versuchen, Feuer mit Wasser aus Schüsseln zu löschen. „Als die Region der „Transpanta­neira“(eine Erdstraße, die durch das Pantanal führt) verbrannt ist, waren es mehrere Tage Feuer, Feuer, Feuer“, erzählt Felipe Dias, Direktor der NGO „SOS Pantanal“in Campo Grande.

In dem Feuchtgebi­et herrscht die größte Trockenhei­t in fast 50 Jahren, sodass ein Funke genügt, um einen höllischen Brand zu entfachen. „Die Brände sind eng verbunden mit neuen Fazenda-Eigentümer­n, die in der Gegend Weideland erschließe­n“, sagt Silgueiro. Alleine in der Gemeinde Cáceres, wo es mit am meisten gebrannt hat, werden etwa eine Million Rinder gehalten. Das Reinigen von Feldern mit Feuer – auch ein großer Risikofakt­or – ist derzeit per Dekret verboten.

Forstingen­ieur Silgueiro sagt, nach den Daten seiner Organisati­on habe es in allen Gemeinden von Mato Grosso dieses Jahr bereits gebrannt. Die Rauchwolke­n von den Bränden zogen tausende Kilometer durch Brasilien bis in die Metropolen Rio und São Paulo. Doch die Antwort der brasiliani­schen Regierung ließ auf sich warten: Erst mehr als zwei Monate nachdem die Brände im Pantanal begonnen hatten, sich unaufhalts­am auszubreit­en, erklärte sie den Notstand für Mato Grosso do Sul und gab Geld für die Brandbekäm­pfung frei. Am Montag forderte Mato Grosso die Streitkräf­te zum Kampf gegen die Flammen an.

Nach wie vor sieht die Regierung die Brände vor allem als Marketingp­roblem, viele Mitglieder stellen sogar den vom Menschen verursacht­en Klimawande­l infrage. Seit seinem Amtsantrit­t hat Bolsonaro die Umweltbehö­rden geschwächt, das Budget für 2021 wurde gekürzt. „Wir erleben das Chaos in der Umweltpoli­tik, die Vernachläs­sigung, dass es nicht gelingt, ein Problem wie dieses anzunehmen und zu lösen“, kritisiert Silgueiro. Bolsonaros Besuch in Mato Grosso diente – als er dann einmal gelandet war – übrigens nicht dazu, sich ein Bild von der Waldbrand-Lage vor Ort zu verschaffe­n oder gar Beistand zu leisten. Stattdesse­n wollte Bolsonaro eine Ethanol-Fabrik einweihen, Agrar-Produzente­n treffen und Landtitel vergeben.

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FOTO: DPA Die Zahl der Brände im brasiliani­schen Pantanal hat sich nach Angaben eines staatliche­n Instituts in der ersten Hälfte des Jahres 2020 im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum mehr als verdoppelt.
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FOTO: DPA Jair Bolsonaro

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