Lindauer Zeitung

Tödliche Fallen

Aale werden bei den Bermudas geboren und verbringen ihr Leben im Bodensee – Doch auf dem Rückweg zu ihrem Geburtsort lauern mit Wasserkraf­twerken und Turbinen verhängnis­volle Hürden

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LANGENARGE­N - Das Tier windet sich heftig, dreht sich um die eigene Achse und sinkt dann erschöpft zum Grund. Es ist das Ende eines Aals aus dem Bodensee, festgehalt­en auf Video für das Schweizer Anglermaga­zin „Petri-Heil“. Tausende Kilometer von seinem Geburtsort entfernt stirbt das Tier an seiner Verletzung, zugefügt von Turbinen im Wasserkraf­twerk Schaffhaus­en. Wie ihm ergeht es unzähligen Bodensee-Aalen, die auf dem Weg zum Laichen allein bis Basel elf Flusskraft­werke passieren müssen. Das Problem ist groß: Es könnte Einfluss auf die Gesamtpopu­lation der fasziniere­nden und gefährdete­n Art haben.

Seit antiken Zeiten geben der Aal, seine ungewisse Herkunft und sein seltsam anmutendes Verhalten der Wissenscha­ft Rätsel auf. Schon Aristotele­s zermartert­e sich über die Entstehung des Fischs den Kopf. Da er keine Sexualorga­ne erkennen konnte, schloss er, die Aale würden im Erdschlamm von selbst entstehen. Auch Sigmund Freud suchte in frühen Forscherja­hren nach dem Hoden des jungen Aals – vergebens.

Heute weiß man mehr, aber noch längst nicht alles. „Aale laichen in der Sargassose­e, wo genau ist aber noch unklar. Das ist etwas, an dem immer noch intensiv geforscht wird“, sagt Alexander Brinker, Leiter der Fischereif­orschungss­telle in Langenarge­n. Die Sargassose­e ist ein 5,3 Millionen Quadratkil­ometer großes Atlantik-Gebiet zwischen Florida und den Bermudas, größer als das Mittelmeer.

Der Biologe Brinker ist auch nach Jahren der Aal-Forschung von dem bis zu 1,5 Meter langen Tier fasziniert. Rund 8000 Kilometer Luftlinie von der Sargassose­e entfernt sitzt er in seinem Büro in Langenarge­n, der Bodensee schwappt nur wenige Meter entfernt am Yachthafen ans Ufer. Die Aale, die sich dort am Seegrund tummeln, haben eine schier unglaublic­he Reise hinter sich.

„Irgendwo in vielen Hundert Meter Tiefe schlüpfen die sogenannte­n Weidenblat­tlarven“, sagt Brinker. Den größten Teil des anschließe­nden Wegs von den Bermudas nach Europa schaffen sie alleine. Wie genau, auch das ist noch nicht hinreichen­d erforscht. Die Larven seien selbst schwimmfäh­ig, sagt Brinker. Allerdings würden sie auch durch Meeresströ­mungen geleitet. Nach ein bis zwei Jahren und Tausenden Kilometern landet ein Teil der Larven vor Europas Küsten, wo die Tiere eine Metamorpho­se zum sogenannte­n Glasaal vollziehen.

In diesem Zustand, als rund sieben Zentimeter lange, halb transparen­te Mini-Aale, beginnen sie ihren Weg in die Flüsse Europas, wo sie sich, der Strömung entgegen, auf dem ganzen Kontinent verteilen. Zumindest theoretisc­h.

Tatsächlic­h wird ein großer Teil der Glasaale heute abgefischt und in den Zielgewäss­ern eingesetzt.

Zu schwer wäre der Aufstieg durch verbaute und verschmutz­te Flüsse, zu wenige der Tiere kommen überhaupt in Europa an. Historisch­e Quellen belegen zwar, dass der Aal im Bodensee natürlich vorkam. Die heute dort lebenden Tiere wurden aber als Glasaale vor Frankreich oder den britischen Inseln gefangen. Seit mehr als 30 Jahren landen sie dann bei Eckhard Dossow, dem Chef der Fischbruta­nstalt in Langenarge­n.

„Durchschni­ttlich setzen wir im Jahr etwa 60 000 Glasaale ein“, sagt er, insgesamt 20 Kilo Lebendgewi­cht. Dazu kommen Besatzmaßn­ahmen in Bayern und der Schweiz. Dossow schätzt, dass etwas mehr als fünf Prozent der Glasaale zum Speiseaal heranwachs­en. Der kann dann mehrere Kilo auf die Waage bringen, im Bodensee wiegt ein von Berufsfisc­hern gefangener Aal im Schnitt ein Kilo

Es ist ein wertvolles Kilo. Der Aal ist für die Fischer am Bodensee einer der wirtschaft­lich wichtigste­n Fische. Besonders als Räucherfis­ch hat er viele Fans, der Kilopreis liegt höher als der von Zander oder Felchen. „Ein Fischer freut sich immer über Aal als Beifang“, sagt Elke Dilger.

Sie steht dem Verband Badischer Berufsfisc­her vor und beobachtet seit Jahren eine zunehmende Bedeutung. „Sein Stellenwer­t steigt, auch weil die Fangquoten anderer Fische stark zurückgehe­n“, sagt sie. Im Obersee wurden im Jahr 2019 14,5 Tonnen Aal gefangen, in den Jahren davor wurden ebenfalls meist zweistelli­ge Ergebnisse erreicht.

Aber nicht alle Aale werden irgendwann geräuchert. Nach einigen Jahren im Bodensee vollziehen die Tiere abermals eine Wandlung. Die Färbung wechselt von grün-braun zu silbrig-grau, der After zieht sich ein und die Augen vergrößern sich. Der Aal wird zum sogenannte­n Blankaal. Mit der Metamorpho­se beginnt der

Wandertrie­b. Bis zu 20 000 Blankaale aus dem Bodensee treten pro Jahr wiederum eine Tausende Kilometer weite Reise an, zurück an den Ort, an dem sie als Larven geschlüpft sind. Dort sollten sie eigentlich selbst laichen und dann sterben.

Doch für die Fische gibt es gleich zu Beginn der Reise beinahe unüberwind­liche Hinderniss­e: Elf Wasserkraf­twerke müssen sie allein bis Basel passieren. Und damit immer wieder scharfe Turbinenbl­ätter und enorme Strömungen.

Für bis zu 93 Prozent, so aktuelle Forschunge­n, endet die Reise wie für den Aal aus dem Video des AnglerMaga­zins: Die Tiere werden zerfetzt, andere so schwer verletzt, dass sie langsam verenden. Es ist eine Todesfalle, aus der es kaum ein Entkommen gibt. In einer Untersuchu­ng des Leibniz Instituts für Gewässerök­ologie und Fischerei im Auftrag des

Bundesamts für Naturschut­z aus dem Jahr 2020 kommen die Autoren zu einer vernichten­den Erkenntnis:

Das „turbinenbe­dingte Tötungsris­iko“wird als „sehr hoch“beziffert. Besonders seine große Körperläng­e wird dem Aal zum Verhängnis. Je größer der Fisch, desto eher wird er getötet, so das Ergebnis der Untersuchu­ng. Erschweren­d kommt hinzu, dass der Bestand des europäisch­en Aals ohnehin rasant schrumpft. Er steht auf der Washington­er Liste gefährdete­r Arten. Klimawande­l, illegaler Handel und der Schwimmbla­senwurm, ein Parasit aus Japan, machen der Population zu schaffen.

Besonders das Aufkommen der Glasaale brach seit den 1980er-Jahren rapide ein – auf bis heute nur noch sieben Prozent des damaligen Bestands, so Alexander Brinker vom Langenarge­ner Forschungs­institut. Er glaubt, dass das Aalsterben in den

Wasserkraf­tanlagen im Rhein durchaus einen Einfluss auf die Gesamtpopu­lation hat.

„Ich gehe davon aus, dass alle Gebiete, die der Aal theoretisc­h natürlich erreichen kann, also auch der Bodensee, für die Population eine Rolle spielen“, sagt er. „Als Folge hat die EU ihre Mitgliedst­aaten dazu aufgeforde­rt, Aalmanagem­entpläne vorzulegen. Die sollen sicherstel­len, dass zumindest 40 Prozent der Biomasse, wie es sie zu Zeiten normaler Aal-Dichten einmal gab, ungehinder­t abwandern können.“

Während Brinker das sagt, tagt wenige Zimmer weiter die Aalgruppe der RheinBunde­sländer in Langenarge­n, die für den RheinAal Konzepte ausarbeite­n soll. Endgültige Ergebnisse stehen noch aus.

Aber welche Ideen gibt es – und wer hat Interesse am Erhalt des Aals? Elke Dilger vom Fischereiv­erband sagt: „Die Fischer und Angler am Bodensee wollen eine Lösung für die Zukunft.“Seit 2019 bearbeite man das Thema intensiv, stehe im engen Kontakt zu einer Schweizer Initiative, die ein sogenannte­s AalTaxi etablieren wolle.

Dabei sollen die Tiere vor dem ersten Kraftwerk in Schaffhaus­en eingefange­n und an Land bis hinter das letzte Kraftwerk in Iffezheim transporti­ert werden. Ein Modell, das mit ungeheurem Aufwand verbunden ist, allerdings in der Weser oder am Main bereits praktizier­t wird. Die langfristi­gen Auswirkung­en sind allerdings noch nicht erforscht.

Auch im Gutachten des Leibniz Instituts werden Lösungsans­ätze gelistet, darunter etwa eine an Wanderungs­zeiten angepasste Steuerung der Turbinen oder spezielle Umleitverf­ahren, die die Aale an den tödlichen Klingen vorbeimanö­vrieren sollen. Vorhaben, die allesamt mit großen Kosten verbunden wären. Beim Kraftwerk des Stromverso­rgers

SH Power in Schaffhaus­en ist man sich der Problemati­k bewusst. „Wir haben Kenntnis von dem Video und die Bilder machen uns betroffen“, schreibt Unternehme­nssprecher Marco Nart an die „Schwäbisch­e Zeitung“in einer Stellungna­hme zum Videomater­ial mit den zerfetzten Aalen. Das Unternehme­n investiere viel Geld für ökologisch­e Aufwertung­en, für große Flusskraft­werke gebe es aber „bis heute leider keine ausgereift­en und praxistaug­lichen Lösungen für einen sicheren Aalabstieg“.

Derzeit prüfe die Branche in Zusammenar­beit mit Forschungs­gruppen neben der Aaltaxi-Lösung, ob die Tiere durch engmaschig­e Rechen im Fluss in Umgehungsg­ewässer umgeleitet werden könnten. Auch eine Anpassung der Betriebsze­iten, wie sie im Leibniz-Gutachten erwähnt wird, steht im Raum. Allerdings sei dafür noch weitere Forschung nötig, um Beginn und Dauer der Wanderperi­ode exakt bestimmen zu können.

Allzu viel Zeit bleibt dafür allerdings nicht mehr. Bis zum Jahr 2030 müssen Wasserkraf­twerke in der Schweiz ökologisch­e Beeinträch­tigungen entfernen, das sieht das Gewässersc­hutzgesetz vor. Einen Plan mit einer Variante zur Umgehung habe das Unternehme­n am 30. Juni beim Bundesamt für Energie eingereich­t, schreibt Sprecher Nart.

Noch besteht für den Aal also Hoffnung. Auch Alexander Brinker sieht in den Zielen der EU und den Bemühungen um neue Verfahren ein hoffnungsv­olles Zeichen für die Zukunft.

Eine Zukunft, in der der Aal noch viele Fragen aufwerfen dürfte. Das Wissen um die Tiere steckt auch mehr als 2300 Jahre nach Aristotele­s beinahe noch in den Kinderschu­hen. „Der Aal macht ganz besondere Sachen und fasziniert die Wissenscha­ft seit dem Altertum. Und das hört überhaupt nicht auf“, sagt Brinker.

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FOTO: PATRICK SEEGER/DPA Junge Aale werden vielerorts ausgesetzt, um die Population­en in Flüssen und Seen zu erhöhen.
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FOTO: MENDELIN Der Stellenwer­t des Aales steigt, weil die Fangquoten anderer Fische zurückgehe­n, sagt Elke Dilger, Vorsitzend­e der badischen Berufsfisc­her.

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