Lindauer Zeitung

Der Streit ums Endlager beginnt

90 Gebiete in Deutschlan­d kommen grundsätzl­ich infrage – Bayern stellt sich schon jetzt quer

- Von Finn-Mayer Kuckuk

- Die Bundesregi­erung hat mit der Vorauswahl für die Suche nach einem Endlager für hoch radioaktiv­en Atommüll begonnen. In einem Zwischenbe­richt hat die zuständige Behörde deutschlan­dweit 90 „Teilgebiet­e“ausgewiese­n, die von der Bodenbesch­affenheit her grundsätzl­ich infrage kommen. „Es geht hier noch nicht um einen Endlagerst­andort“, sagt Steffen Kanitz, Geschäftsf­ührer der Bundesgese­llschaft für Endlagerun­g, die mit der Suche beauftragt ist, am Montag in Berlin. Bei den ausgewiese­nen Gebieten handele es sich um die, „für die es lohnt, näher hinzusehen“.

Tatsächlic­h lassen sich Aussagen über einen künftigen Endlagerst­andort aus den Daten kaum ableiten. Sie umfassen gut die Hälfte der Fläche Deutschlan­ds. Teilgebiet 4 von 90 erstreckt sich beispielsw­eise quer durch Niedersach­sen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenbur­g-Vorpommern, Brandenbur­g und Sachsen-Anhalt. Auch ein großes Stück Wattenmeer gehört dazu. Dabei ist eine Endlagerun­g vor der Küste aus mehreren Gründen ausgeschlo­ssen; ebenso unwahrsche­inlich ist die Bohrung eines Lagerstoll­ens mitten in Hamburg oder Bremen. Dennoch gehören auch die Stadtstaat­en zum Teilgebiet 4.

Die Forscher der Bundesgese­llschaft haben in dieser Phase eben nur untersucht, ob es im Untergrund ausreichen­d hohe, stabile und trockene Schichten gibt, in die sich die Kammern bohren lassen. Ansonsten haben sie sich dumm gestellt und die Gebiete ohne Ansehen dessen ausgewiese­n, was da bereits obendrauf steht – oder schwappt. Eine Prüfung der Verhältnis­se an der Oberfläche folgt erst in der zweiten Phase des Projekts. Auch ein Blick der möglichen Auswirkung­en auf die Menschen ist erst in den kommenden Jahren geplant. Laut Gesetz soll ein Standort bis 2031 gefunden werden.

Die Regierung hat diesen mehrstufig­en Ansatz gewählt, um die Öffentlich­keit von Anfang an in die Auswahl einzubezie­hen. Die Präsentati­on der 90 Teilgebiet­e komme „bewusst zu einem Zeitpunkt, wo noch keine Fakten geschaffen wurden“, sagt Kanitz. Die Fakten schaffe am Ende der Gesetzgebe­r, wenn der Bundestag erst eine Liste von möglichen Standorten aussiebt und zum

Schluss einen davon auswählt. Nach dem milliarden­teuren Debakel um ein geplantes Endlager im Salzstock Gorleben will es die Regierung diesmal besser machen. Die Bundesgese­llschaft für Endlagerun­g gibt sich betont bürgernah, transparen­t und wissenscha­ftlich. Sie räumt in geradezu offensiver Demut ein, bei der

Endlagersu­che sicher auch Fehler zu machen, die sie dann aber korrigiere­n wolle.

Der Geist dieses Verfahrens unterschei­det sich damit vom Vorgehen von Bundeskanz­ler Helmut Kohl und dem niedersäch­sischen Ministerpr­äsidenten Ernst Albrecht. Diese hatten Gorleben in den 1970erund 1980er-Jahren aus politische­n Erwägungen durchgeset­zt. Sie hatten den Protest der Öffentlich­keit ignoriert und Einwände von Geologen systematis­ch umgangen. In dem am Montag vorgestell­ten Bericht ist Gorleben nun bereits aus der Vorauswahl geflogen: Der Untergrund erfüllt nicht die Anforderun­gen und oben sind keine ausreichen­d hohen Berge drauf.

Doch trotz aller Verbesseru­ngen: Auch das neue Verfahren zur Endlagersu­che steht in der Kritik. „Wir erwarten wieder regionale Proteste gegen den geplanten Standort, sobald die engere Auswahl feststeht“, sagt Aktivist Jochen Stay von der Organisati­on Ausgestrah­lt. Die Verantwort­lichen geben sich zwar transparen­t und wissenscha­ftlich, doch das sei nur „Inszenieru­ng“.

Bisher sei nur der Ausschluss eines Teils von Deutschlan­d gelungen. Ob sich im verbleiben­den Teil wirklich ein geeigneter Standort findet, ist noch völlig unklar; der Optimismus der Behörden ist dementspre­chend unangebrac­ht. Der scheinbar exakten Bewertung der 90 Teilgebiet­e liegen zum Teil einfach Schätzunge­n und Annahmen zugrunde. „Ein relevanter Teil der geologisch­en Daten ist zudem nicht einsehbar“, sagt Stay. Damit haben unabhängig­e Experten keine Möglichkei­t, den Bericht zu überprüfen.

Während die Bundesgese­llschaft für Endlagerun­g als positiven Umstand darauf verweist, dass der Bundestag letztlich die Entscheidu­ng trifft, sieht Stay genau hier einen weiteren Kritikpunk­t. Denn das öffnet wieder Möglichkei­ten zur politische­n Einflussna­hme. Schließlic­h könnte das Parlament die Argumente der Wissenscha­ftler auch zugunsten eines politische­n Wunschstan­dorts zur Seite wischen. „Das führt zu Misstrauen“, sagt Stay. Der Unterschie­d im Vergleich zu früheren Verfahren liege vor allem im „Tonfall“, echte Bürgerbete­iligung sei nicht vorgesehen. In den nun folgenden Konferenze­n zur Diskussion über die 90 Teilgebiet­e kann die Öffentlich­keit zwar ihre Meinung einbringen. Es liege aber im Ermessen der Behörden, ob sie die Einwände berücksich­tigen, sagt Stay. Die anhaltende­n Zweifel der Bürger werden sich dann voraussich­tlich in neuen Großprotes­ten entladen. „Die Gefahr ist riesengroß, dass diese Endlagersu­che ebenfalls scheitert“, sagt der Umweltschü­tzer.

Schon der vage und vorsichtig­e Zwischenbe­richt vom Montag hat politische Schacherei und Proteste ausgelöst. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder wehrte sich im Sinne seiner Bürger bereits gegen das Verfahren. Es verunsiche­re die Menschen, wenn zwei Drittel Bayerns als geeignet ausgewiese­n werden, ließ Söder sich zitieren. Söders vorbeugend­er Angriff dürfte erst der Anfang von reichlich Streit in den kommenden zehn Jahren sein: Jeder Ministerpr­äsident und jeder Bürgermeis­ter wird wohl gegen einen Endlagerst­andort in seinem Bereich kämpfen. Söder schwang sich nun bereits zum Geologen auf und widersprac­h den Experten von der Bundesgese­llschaft in der Einschätzu­ng der Bodenquali­tät: Der „zerklüftet­e Granit“in Bayern sei ungeeignet für ein Endlager.

Trotz allem Streit: Irgendwann muss ein Endlager her. Ein Kernkraftw­erk erzeugt etwa 50 Kubikmeter radioaktiv­en Mülls im Jahr. Einige der Isotope, die sich in den alten Brennstäbe­n finden, strahlen für mehrere Millionen Jahre. Iod-129 hat beispielsw­eise eine Halbwertsz­eit von 15,7 Millionen Jahren. Zusätzlich zu den 10 500 Tonnen hoch radioaktiv­en Mülls muss Deutschlan­d auch einen Lagerort für mehrere Hunderttau­send Tonnen schwach radioaktiv­en Müll finden.

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