Farid Azizi darf heim zu seiner Familie nach Lindau
Vor zwei Jahren wurde der damals 18-Jährige nach Kabul abgeschoben – Helfer und Familie kämpfen für ihn
- Seine Mutter weint ununterbrochen, erzählt Fareidon Azizi. Vor Freude, denn am Wochenende ist für die Familie ein Wunder geschehen: Der jüngste Sohn Farid, vor zwei Jahren abgeschoben, darf wieder nach Lindau zurückkommen. Und zwar schon sehr bald.
„Wir können es noch nicht glauben“, sagt Fareidon Azizi und lacht. „Es ist einfach unglaublich.“Ein paar Dinge muss sein kleiner Bruder in der Türkei noch organisieren, zum Beispiel braucht er einen Termin für einen Corona-Test. Viel mehr steht seiner Heimkehr aber nicht mehr im Weg. Das Flugticket ist gebucht, und wenn alles glatt läuft, dann wird Farid Azizi am frühen Samstagmorgen in München landen. Für Fareidon Azizi, der mittlerweile einen Führerschein hat, ist klar: „Wir holen ihn ab.“
Wenn er gemeinsam mit Mutter Sharifa und Schwester Fariha den kleinen Bruder endlich wieder in den Armen hält, dann endet für die Familie ein Albtraum. Ein Albtraum, der zwei lange Jahre angedauert hat. Wie mehrfach berichtet, wurde Farid Azizi im Juli 2018 von Lindau nach Kabul abgeschoben. Seitdem lebt er in Afyonkarahisar, einer türkischen Stadt nahe Ankara, wohin er sich nach seiner Abschiebung durchgeschlagen hat. In Kabul oder seinem offiziellen Geburtsland Afghanistan zu bleiben, ist für den jungen Mann nie infrage gekommen: Aus Angst vor den Taliban hat seine Mutter mit ihm als Baby und seinen zwei älteren Geschwistern einst das Land verlassen. Der Kontakt zum Vater war kurz danach abgebrochen. Die Familie geht davon aus, dass er tot ist.
Dass ausgerechnet der damals 18jährige Farid Azizi Lindau verlassen musste, das versteht der pensionierte Realschullehrer Wolfgang Sutter bis heute nicht. Gemeinsam mit einigen anderen Lindauern kümmert er sich seit Jahren um die Familie. „Farid war mein Musterknabe“, sagt Wolfgang Sutter im Gespräch mit der LZ. „Als ich damals erfahren habe, dass gerade er abgeschoben werden soll, da hat es mich von den Socken gehauen.“Denn soweit Sutter weiß, ist Farid Azizi der einzige Lindauer Flüchtling, der Lindau in den vergangenen Jahren überhaupt verlassen musste. Er gehörte zu den 69 Unglücklichen, die Innenminister Horst
Seehofer zu seinem 69. Geburtstag abschieben ließ. „Ich vermute, die Ämter brauchten damals Zahlen, und dann haben sie sich einen ausgesucht, der gerade 18 geworden ist und nie aufgefallen ist“, sagt Sutter. „In der Hoffnung, dass er sich nicht wehrt.“
Womit die Behörden vermutlich nicht gerechnet haben: Die Lindauer Helfer geben nicht auf. Von Deutschland aus sorgen sie dafür, dass der heute 20-jährige Farid Azizi in Afyonkarahisar ein Zimmer mieten kann und etwas Geld für Lebensmittel hat – denn er darf in der Türkei nicht arbeiten. Doch das eigentliche Ziel der Helfer: Sie wollen den jungen Afghanen zurück nach Deutschland,
zurück zu seiner Familie holen. Allerdings gilt für abgeschobene Flüchtlinge eine Einreisesperre von drei Jahren. „Eigentlich dürfte er nicht vor 2021 wieder einreisen“, berichtet Sutter.
Eine Möglichkeit gibt es allerdings: Wenn ein Ausbildungsplatz in einem Bereich nachgewiesen wird, für den deutsche Betriebe nur sehr schwer Bewerber finden. Farid Azizi hat zwar seit jungen Jahren ein Faible fürs Schuhmacher-Handwerk, kann sich aber auch die Gastronomie als Beruf vorstellen. Mit der Eilguthalle hat Wolfgang Sutter einen Betrieb gefunden, der bereit ist, den jungen Afghanen zum Restaurantfachmann
Wolfgang Sutter auszubilden – und ihm aus der Ferne einen Ausbildungsvertrag organisiert. Diesen reichte Farid Azizi mit jeder Menge anderer Papiere beim deutschen Generalkonsulat in Izmir ein. Die Kosten für seine fast 5000 Euro teure Abschiebung muss der junge Afghane, wenn er nach Deutschland zurückkommt, selbst übernehmen. Sutter ist froh, dass der Helferkreis Offene Türen dabei helfen will.
Der pensionierte Lehrer war live dabei, als Farid Azizi am vergangenen Freitagnachmittag die gute Nachricht erhielt. Denn einmal die Woche unterrichtet er ihn per VideoChat. „Wir haben gerade Deutsch gelernt, als es klingelte“, erzählt Wolfgang Sutter. Farid Azizi sei zur Tür gegangen und mit einem Brief vom Generalkonsulat in der Hand zurückgekommen. „Im Umschlag befand sich sein Pass mit dem eingestempelten Visum“, sagt Sutter, „Farid weinte und lachte gleichzeitig vor Freude.“
Auch Wolfgang Sutter freut sich, dass sein Schützling bald zurückkommt. „Aber ich fühle mich noch in einer Hängepartie“, gibt er zu. So richtig wohl ist ihm erst, wenn Farid Azizi tatsächlich wieder in Lindau ist. Und auch dann wird der junge Afghane seine Unterstützung weiter brauchen, zum Beispiel, um das vorerst befristete Visum zu verlängern. Doch darum macht sich im Moment keiner Gedanken. Denn sowohl für Sutter als auch für die Azizis ist klar: Ist Farid erst einmal wieder in Lindau, dann lassen sie ihn nicht mehr weg.
„Farid weinte und lachte gleichzeitig vor Freude.“