Lindauer Zeitung

Von Tintenfisc­hen Heilung lernen

Tiere reparieren ihre Tentakel selber – Stuttgarte­r Forscher entwickeln neues Material

- Von Birgit Vey

(epd) - Tintenfisc­he dienten als Inspiratio­n: Aus ihren Eiweißen entwickelt­en Forscher ein weiches Material, das sich nach einer Beschädigu­ng in Sekundensc­hnelle selbst repariert – und zwar stets aufs Neue. Den Ausgangsst­off lieferten Wissenscha­ftler der Pennsylvan­ia State University, weiterentw­ickelt wird es nun von einem Team am Max-Planck-Institut für Intelligen­te Systeme in Stuttgart.

Möglich wird die Selbstheil­ung durch Eiweißstru­kturen, die sich neu miteinande­r verweben. Diesen Prozess haben Forscher an der Pennsylvan­ia State University im Labor nachgebild­et, die Eiweißstru­kturen wurden also künstlich hergestell­t. Damit war der erste Schritt getan, um für weitere Forschunge­n keine Tiere verwenden zu müssen. Von Interesse war es für die Wissenscha­ftler aber auch, bessere Ergebnisse zu erzielen.

Immerhin 24 Stunden braucht es, bis sich ein Tintenfisc­harm erneuert. Dieser Ersatzarm hat zudem den Makel, dass sich dessen Proteine nur stellenwei­se an die anderen Gewebeeiwe­iße anbindet. Die vorherigen Verletzung­sstellen werden also nur bedingt repariert, denn sie haben an Festigkeit verloren.

Das Stuttgarte­r Forscherte­am veränderte die Eiweißstru­ktur der Tintenfisc­htentakel. „Wir haben sie mit einer spezifisch­en Aminosäure­sequenz entworfen, die sehr schnell reversible Bindungen bildet“, erläutert Abdon Pena-Francesch, der sich schon während seiner Doktorarbe­it mit dem Thema beschäftig­te, bevor er am Stuttgarte­r Max Planck-Institut

weiter daran forschte. Mit Hilfe von Bakterien gelang die Veränderun­g, bei der sich ein gummiartig­es, weiches Material bildet. In Testreihen wurde dieses verletzt, etwa zerschnitt­en oder durchbohrt.

„Wir testeten die Heileigens­chaften auf viele verschiede­ne Arten, um zu versuchen, verschiede­ne mechanisch­e Schäden unterschie­dlicher Art und Größe zu simulieren. In allen Fällen konnten wir die Schäden heilen“, sagt Pena-Francesch. Innerhalb von einer Sekunde geschieht dieser Reparaturp­rozess, der dem Wissenscha­ftler zufolge auch den Vorteil hat, dass „das Material mehrfach geheilt wird“. Gelungen ist außerdem, dass diese Eiweißmole­küle sich an vielen Stellen mit dem alten Gewebe verbinden.

Das sich selbst reparieren­de Material könnte der Robotik nutzen.

Das kann beispielsw­eise ein künstliche­r, weicher Muskel in einem Roboter sein – etwa ein Greifarm, der sich selbst heilt, nachdem er durch einen Aufprall oder durch einen herabfalle­nden Gegenstand beschädigt wurde. „Dieses selbst heilende Material kann solchen weichen Robotern eine längere Lebensdaue­r verleihen“, so Pena-Francesch.

Das Material könne außerdem bei Schutzklei­dung helfen. Eine Einsatzmög­lichkeit wären Handschuhe, die sich nach einem Schnitt selbst reparieren.

Die Forschunge­n sind nicht abgeschlos­sen. Unter anderem wird an der biologisch­en Abbaubarke­it des sich selbst reparieren­den Materials gearbeitet. Auch Testreihen über mögliche Anwendunge­n in der Medizin sind für die Zukunft vorgesehen.

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FOTO: ULI DECK/DPA Die Stuttgarte­r Forscher wollen von den Selbstheil­ungskräfte­n der Tintenfisc­he lernen.

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