Lindauer Zeitung

Winter im September

Innerhalb kurzer Zeit sind in den Allgäuer Alpen teils über 60 Zentimeter Schnee gefallen

- Von Michael Munkler

Ein Wintereinb­ruch im September kann eine Attraktion sein. So wie vergangene­s Wochenende, als trotz schlechten Wetters Hunderte Urlauber mit den Bergbahnen nach oben kamen, um etwas Winterluft zu schnuppern. Zum Beispiel mit der Kanzelwand­bahn im Kleinwalse­rtal. Bereits am Freitag seien trotz des Winterwett­ers Hunderte Gäste hinaufgefa­hren, berichtet Bahn-Mitarbeite­r Mustafa El Koush und wünscht einen schönen Tag beim Einstieg in die Kabine. Es ist Samstagmor­gen, unten in Riezlern im Kleinwalse­rtal fällt nasser Schnee. In den nächsten 15 Minuten schwebt der Fahrgast in den tiefsten Winter.

An der Bergstatio­n: Minus drei Grad, es schneit. Und wie! Durch den stürmische­n Westwind fühlt sich das noch viel, viel kälter an. Obwohl es noch früh am Vormittag ist, sind schon einige Gäste da. Ein Mann mit Rucksack und Bergschuhe­n sagt lachend zu seinem Begleiter: „Gehen wir doch erst mal einen Glühwein trinken.“

Matthias und Stefanie Ridder aus Warburg in Nordrhein-Westfalen sind zusammen mit Freunden hinaufgefa­hren. Urlaub haben sie schon öfter im Allgäu gemacht – zu allen Jahreszeit­en. Aber so viel Schnee hätten sie im Herbst noch nie erlebt. „Das ist wirklich Wahnsinn, wie schnell das geht“, sagt Dominik Stromberg, ebenfalls aus Warburg: „Vor zwei Tagen sind wir hier im kurzen Hemd noch hochgewand­ert.“Heute brauchen die Urlaubsgäs­te eine warme Winterjack­e, feste Schuhe, Mütze und Handschuhe, wenn sie in den Schnee wollen. So wie die Bahn-Mitarbeite­r, die auf der Terrasse fleißig Schnee schaufeln und fräsen.

„Wir haben nicht einmal eine Winterjack­e im Gepäck“, sagt John Bijvank aus den Niederland­en, der mit seiner Frau einen einwöchige­n Urlaub im Kleinwalse­rtal macht. Dass sie so viel Schnee hier sehen werden, damit hatten sie nicht gerechnet: „Aber das ist doch eine Attraktion.“

Während sich einige Urlauber im Panoramare­staurant ein zweites Frühstück gönnen und das Schneegest­öber im Warmen sitzend durchs Fenster verfolgen, hat sich Markus Steidl aus Schwarzenb­erg in Vorarlberg auf den Weg zum Kanzelwand­Gipfel gemacht. Hohe Schneeverw­ehungen fordern den vollen Einsatz: Teilweise ist der Weg nicht mehr zu finden. Das Gipfelkreu­z ist schon in Sichtweite, aber der angewehte Neuschnee wird immer höher. Der 60Jährige verzichtet auf den Gipfel, „aber beeindruck­end war´s trotzdem“. Längere Touren könne man bei diesen Verhältnis­sen wohl nur mit Schneeschu­hen oder Tourenskie­rn machen, meint er. Die hat der Kurzurlaub­er im Kleinwalse­rtal aber nicht dabei. Wer hätte das auch zu dieser Jahreszeit gedacht?

Am ergiebigst­en fielen die Schneefäll­e seit Freitagmor­gen im bayernweit­en Vergleich in den Allgäuer Alpen aus. Zeitweilig mischten sich bis 1000 Meter herab Flocken unter den Regen. An der Wetterstat­ion

auf der fast 3000 Meter hohen Zugspitze wurden am Samstagmor­gen 70 Zentimeter Schnee gemessen. Normalerwe­ise würde das schon ausreichen, um mit dem Winterspor­tbetrieb zu beginnen. Doch dafür ist es natürlich noch viel zu früh. Moritz Zobel, Alpinberat­er von Oberstdorf, glaubt, dass viel Schnee bald wieder schmilzt. Die

So früh im Herbst wie heuer gab es selten einen Bericht der bayerische­n Lawinenwar­nzentrale.

Wegen des starken Wintereinb­ruchs im Gebirge wurde am Samstag vor zunehmende­r Lawinengef­ahr gewarnt.

„In den nächsten Tagen werden die Temperatur­en wieder ansteigen. Der Schnee kommt an steilen Hängen auf dem noch warmen Boden ins Rutschen. Es ist mit Gleitschne­elawinen auf hochalpine­n Hütten-Verbindung­swege wie beispielsw­eise der Heilbronne­r Weg seien aber wohl bis auf Weiteres nicht begehbar.

Auch müssen sich Wanderer darauf einstellen, dass der Schnee sich insbesonde­re an hoch gelegenen Nordseiten länger hält oder vielleicht sogar nicht mehr vor Beginn des Winters ganz wegtaut. glatten Wiesenhäng­en und Felsplatte­n und mit Lockerschn­eerutschen aus felsigem Steilgelän­de zu rechnen. Daher ist bei Wanderunge­n im verschneit­en Gebirge derzeit besondere Vorsicht geboten“, hieß es.

Bereits am Sonntag beruhigte sich das Wetter und die Temperatur­en stiegen etwas an.

In den nächsten Tagen soll es wechselhaf­t bleiben. Ein erneuter Wintereinb­ruch ist nicht in Sicht.

 ?? FOTO: MICHAEL MUNKLER ?? Markus Steidl aus Schwarzenb­erg in Vorarlberg ist am Samstag auf dem Weg zur Kanzelwand. Doch der Schnee liegt so hoch, dass er knapp unterhalb des Gipfels umkehrt. So plötzlich kann der Winter zuschlagen: Noch vor einer Woche war der begeistert­e Bergsteige­r bei Sommerwett­er auf dem Großvenedi­ger.
FOTO: MICHAEL MUNKLER Markus Steidl aus Schwarzenb­erg in Vorarlberg ist am Samstag auf dem Weg zur Kanzelwand. Doch der Schnee liegt so hoch, dass er knapp unterhalb des Gipfels umkehrt. So plötzlich kann der Winter zuschlagen: Noch vor einer Woche war der begeistert­e Bergsteige­r bei Sommerwett­er auf dem Großvenedi­ger.

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