Jetzt wird geerntet bis im November
Obstbaumeister Andreas Jäger erzählt von den Freuden und Sorgen seines Berufsstandes
– Die Apfelernte ist in vollem Gange. Sie dauert noch bis weit in den Herbst hinein. „Normalerweise sind wir eine Woche nach dem Lindauer Jahrmarkt mit der Ernte fertig“, erzählt Andreas Jäger vom Obsthof Jäger im Motzacher Weg. Begonnen hat die Ernte bereits Mitte August, fast 14 Tage früher als sonst. Den Trend des früheren Erntestarts beobachte Jäger seit einigen Jahren.
Die Zeitspanne zwischen der Erdbeerernte und der Apfelernte werde immer kürzer, was aber nicht nur am Klimawandel liege, sondern auch daran, dass es inzwischen sehr späte Erdbeersorten gebe. Jedenfalls sei er in diesem Jahr noch einmal früher als 2019 in die Apfelernte gestartet. Nicht ganz einfach in Zeiten der Corona-Pandemie. Seine langjährigen Erntehelfer aus Polen und Rumänien seien zwar alle gern gekommen. „Wir bezahlen inzwischen deutlich über dem Mindestlohn, und sie sind bei uns gut untergebracht“, betont der 40-Jährige. Anfangs sei das Problem gewesen, dass die Corona-Tests nicht so schnell durchführbar waren – und dann mussten sie noch tagelang auf das Ergebnis warten.
Die Obsternte 2020 sei gut. „Wir sind in einer klimatisch bevorzugten Region, mit viel Wärme, reichlich Sonne und ausreichenden Niederschlägen.“Aktuell werde die Conference Birne gepflückt sowie der Herbstapfel Elstar. Der handliche, aromatische Tafelapfel sei nach wie vor seine Hauptsorte. Außerdem seien die Apfelsorten Gala und der noch junge Wellant pflückreif. Der Wellant würde optisch keinen Preis gewinnen, sei aber dennoch ein neuer Star am Apfelhimmel, weil er vor guten Eigenschaften nur so strotze. Er sei für Allergiker geeignet und weise ein besonders harmonisches Verhältnis zwischen Zucker und Säure auf. Sein knackiges, festes Fruchtfleisch bleibe bis zum Ende der Lagerzeit erhalten, so Jäger.
In der Ernte folgen Jonagold, Pinova, Rubinette und ganz spät im Herbst Braeburn und Fuji. Die letzteren beiden seien Apfelsorten, die ursprünglich aus dem südlichen Europa stammen, und daher besonders lange Wärme und Sonne tanken müssen. Die Sortenfolge planen die Obstbauern so, dass sie über Wochen durchgängig ernten können, und nicht alle Äpfel zur gleichen Zeit von den Bäumen müssen. „Ich weiß noch kein Jahr, in dem wir zum Lindauer Jahrmarkt schon fertig gewesen wären“, erzählt Jäger. Auch ohne Jahrmarkt, der wegen der Corona-Pandemie ja abgesagt wurde, werden die letzten Äpfel wohl um den 10. November herum gepflückt werden. Andreas Jäger ist nach seinem Vater Helmut die zweite Generation auf dem Jägerhof, die im Vollerwerb
Obstbauer ist, insgesamt ist er die 13. Generation auf dem landwirtschaftlichen Anwesen – die 14. ist vor zehn Wochen mit seinem Sohn Mathies zur Welt gekommen.
Starkregen mit feinkörnigem Hagel sorgten im Juni und Juli für einen Schreck: in einigen Obstplantagen haben die Hageleinschläge viele Äpfel beschädigt, davon ist auch eine Plantage von Jäger betroffen. Nach einem beinahe optimalen August lasse der schöne und warme September die Äpfel schnell reifen. „Wir kommen mit der Ernte kaum hinterher, und die Kühlhäuser laufen auf Hochtouren.“Das „Problem“sei, dass auch die Nächte relativ warm sind. „Das Obst kommt mit bis zu 30 Grad ins Kühlhaus und soll in fünf Tagen auf eineinhalb Grad heruntergekühlt werden. Das ist eine teure Sache, und gerade ältere Kühlhäuser stoßen hier an ihre Grenzen.“
Die Corona-Pandemie habe – zumindest im Direktvertrieb, auf den die meisten regionalen Erzeuger den Fokus legen – auch einen positiven Effekt gehabt. Einerseits sei durch den Urlaub zu Hause die Kaufkraft in der Region geblieben, andererseits haben viele Leute die Hofläden und Wochenmärkte neu für sich entdeckt und stärker frequentiert. Wie seine Kollegen hoffe auch Jäger zudem, dass die Grenzen nach Vorarlberg offen bleiben, denn Vorarlberg sei ein wichtiger Markt für die Erzeuger vom bayerischen Bodensee. Jäger beliefert dort auch Geschäfte, die vor allem den Service, die Nähe und die seit Jahren gute und persönliche Partnerschaft sowie die Qualität schätzen. Das Obst, das über den eigenen Vertrieb hinaus erzeugt wird, gehe an die Großhandelsgenossenschaft. Das bedeutet, dass die Genossenschaft die Äpfel abholt, sortiert, zertifiziert, verpackt, lagert und für die Obstbauern verkauft. Diese Dienstleistungen kosten natürlich Geld, und was abzüglich der Kosten nach dem Verkauf übrig bleibt, geht an die Obstbauern.
So sehr ihn das Vertrauen freue und optimistisch stimme, das viele Kunden bereits in die regionalen Waren und ihre Erzeuger setzen – für
Andreas Jäger das Überleben vor allem der kleineren landwirtschaftlichen Betriebe sei ein generelles Umdenken notwendig. „Die Wertschätzung für die heimischen Produkte muss noch viel mehr wachsen. Wenn unsere schöne Kulturlandschaft erhalten bleiben soll, ist jeder Verbraucher gefragt, regional einzukaufen, auf den Hofläden, auf den Märkten und in den Geschäften explizit immer wieder nachzufragen, welche Produkte wirklich von hier sind und diese auch zu kaufen. Das würde sehr helfen. Hier kommt es wirklich auf jeden Einzelnen an. Wir brauchen uns doch alle gegenseitig“, bittet der Obstbaumeister. Allerdings sehe er hier auch die Politik in der Pflicht, die es gerade den kleineren Landwirten unnötig schwer mache, die oft in Bürokratie fast ersticken. Die Vorschriften werden immer umfangreicher. Die Zeit, die man als Landwirt heutzutage im Büro verbringen müsse, werde immer mehr. Jäger selbst habe deshalb inzwischen einen festangestellten und gut ausgebildeten Mitarbeiter, der ihn unterstütze, entlaste und neue Ideen bringe. „Sonst wäre meine Arbeit kaum mehr leistbar. Wir haben so viele Experten, die alles viel besser wissen als wir und über Nachhaltigkeit diskutieren. Wenn eine Familie seit 300 Jahren ihren Standort hat und davon lebt, kann nicht alles falsch sein, was sie gemacht hat“, ärgert er sich darüber, dass so selten auf die gehört wird, die großen Erfahrungsschatz und Wissen haben. Sein Vater Helmut habe sich über Jahrzehnte für den Berufsstand engagiert und wurde 2019 für seine Verdienste vom bayerischen Landwirtschaftsministerium mit der Staatsmedaille in Silber geehrt.
Andreas Jäger zögert ganz kurz bei der Frage, ob es für ihn immer klar sei, das Geschäft seines Vaters zu übernehmen, antwortet dann aber mit einem kräftigen „Ja“. Als Jugendlicher habe er sich schon ab und zu gefragt, ob er das wirklich will, aber letzten Endes sei ihm klar gewesen, dass ihm sein Vater eine wunderbare Basis fürs Leben vorbereitet habe, die er nicht aufgeben wollte. Wenn er nur auf seine eigentliche Arbeit schaue, fühle er sich gut. „Auch wenn manchmal ein fünfminütiger Hagelschauer ausreicht, um die Mühen eines ganzen Jahres zunichte zu machen, habe ich einen großartigen Beruf“, sagt er und schwärmt von den schönen Momenten in der Natur. Vom Sonnenaufgang in der Obstplantage.
Seinen persönlichen Weg habe er für die Zukunft neu vorgezeichnet. „Ich will die Größe unseres Betriebes auf einem gesunden Niveau einpendeln. Ich sehe unser Ziel nicht im ständigen Wachstum, sondern in der besonderen Qualität unserer Erzeugnisse und in der Balance für uns Menschen und die Natur.“
„Auch wenn manchmal ein fünfminütiger Hagelschauer ausreicht, um die Mühen eines ganzen Jahres zunichte zu machen, habe ich einen großartigen Beruf.“