Schmerzhafte Spurensuche
Der Schriftsteller Michael Kleeberg erforscht in „Glücksritter“das Leben seines Vaters – und sein eigenes
Warum sind wir so, wie wir sind? Wovon hängt das ab? Von den Genen? Von unseren Erfahrungen? In der Pubertät entfernen wir uns von den Eltern, wir beurteilen, oft verurteilen wir ihre Art zu leben. Und dann stehen die Jungen, die Aufbegehrenden, die alles anders machen wollten, plötzlich selbst an der Schwelle zum Alter. Und stellen fest, wie viel sie doch internalisiert haben von dem, wogegen sie einst angerannt sind. Dann kommt das Erschrecken.
Der Schriftsteller Michael Kleeberg hat sich einer solchen durchaus schmerzhaften Selbsterforschung unterworfen.
Sein in nüchternem, fast reportagehaft schnörkellosem Stil geschriebenes Buch „Glücksritter“nennt er im Untertitel „Recherche über meinen Vater“. Aber es ist auch eine Recherche über sich selbst.
Und zugleich ein Soziogramm der Bundesrepublik und dieser Wirtschaftswunderjahre, in denen man begann, den gesellschaftlichen Erfolg eines Menschen an den von ihm gefahrenen Autos abzulesen – Ford Taunus 17m, 20m, oder später Citroën GS.
Der Krieg ist gerade mal anderthalb Jahrzehnte vorüber, als Michael Kleeberg in Stuttgart geboren wird. Die Eltern waren im Krieg aufgewachsen, waren also nicht an der Front, nicht in der Partei. Unschuldig. Und doch wird dem Autor bei der Erkundung der eigenen Familie immer klarer, wie präsent die NSIdeologie im Denken, Reden, Handeln und Fühlen der Nachkriegsgesellschaft noch ist. Auch wie es zu diesen damals durchaus noch üblichen, unkontrollierten Gewaltausbrüchen gegenüber den eigenen Kindern kommen konnte. „In gewisser Hinsicht waren vielleicht auch
ANZEIGE die Prügel, die mein Vater mir verabreichte, eine solche Revanche, des rhetorisch unbeschlagenen, unartikulierten Mannes mit Volksschulbildung gegen seinen GymnasiastenSohn, der (angestachelt von seiner Mutter) den Vater mit seiner vermeintlichen Bildungsüberlegenheit, seiner Rhetorik und seiner Aussicht auf eine höhere soziale Stellung erniedrigte und beleidigte.“
Die Erfahrung der Not in der Kindheit hat wohl diesen unbedingten Willen zum gesellschaftlichen Aufstieg begründet. Für die kleine Familie der Kleebergs bedeutete diese Sucht nach Statussymbolen und gesellschaftlicher Reputation Dauerstress. Viele Umzüge, immer den beruflichen Stationen des Vaters folgend, von Stuttgart nach Friedrichshafen, auf die Alb nach Bitz, schließlich nach Hamburg. Der Aufstieg war hart erkauft, und oft folgte prompt auch wieder ein Abstieg. Der Vater schob alles aufs Glück. Er hatte halt keins. Auch nicht bei seiner vermeintlich letzten großen Chance, die sich als üble Abzocke von Trickbetrügern herausstellte. So erklärt sich auch der Titel „Glücksritter“.
An manchen Stellen geht einem die Schonungslosigkeit, mit der Kleeberg die eigene Familie und damit auch sich selbst analysiert, fast zu weit. Auch verliert man gelegentlich bei all den Cousinen und Halbschwestern der Eltern den Überblick. Und doch wird man als Angehöriger dieser Generation, die durch die 60er- und 70er-Jahre ihre Prägungen erhalten hat, entdecken, wie sich die Erfahrungen und Beobachtungen gleichen.
Michael Kleeberg: Glücksritter. Recherche über meinen Vater, Galiani Berlin, 233 Seiten, 20 Euro.