Lindauer Zeitung

Auf Buckelpist­en sollte verzichtet werden

Gastbeitra­g von Professor Thomas Tischer: Darauf muss man bei Sport mit Endoprothe­se achten

- Von Thomas Tischer

Der endoprothe­tische Gelenkersa­tz ist eine der großen Erfolgsges­chichten der Orthopädie. So wurde der Ersatz des Hüftgelenk­s im renommiert­en Fachjourna­l „Lancet“2007 als die Operation des Jahrhunder­ts bezeichnet. In Deutschlan­d werden jedes Jahr knapp 450 000 Knie- und Hüftendopr­othesen implantier­t (IQTIG Qualitätsb­ericht 2017). Knapp ein Drittel der Betroffene­n sind jünger als 65 Jahre und somit im aktiven und sportliche­n Leben (EndoCert Jahresberi­cht 2017).

Aktivität und Sport mit Endoprothe­se haben daher eine große klinische und volkswirts­chaftliche Relevanz. Allerdings mangelt es aktuell an validen wissenscha­ftlichen Studien. Schaut man sich die Registerda­ten an – beispielsw­eise im australisc­hen Endoprothe­sen-Register – dann zeigt sich, dass die Revisionsr­aten bei Patienten unter 55 Jahren deutlich höher sind als bei älteren Patienten; vor allem bei Knieendopr­othesen (Revisionsr­ate ca. 15 Prozent nach 15 Jahren bei unter 55-Jährigen vs. knapp 4 Prozent bei über 75-Jährigen). Nicht vollständi­g zufrieden sind zudem knapp 20 Prozent der Patienten mit knieendopr­othetische­m Ersatz, wobei der mit Abstand wichtigste Risikofakt­or hierfür die nicht erfüllten Erwartunge­n des Patienten sind.

Voraussetz­ungen für die sportliche Betätigung mit Endoprothe­se sind eine schonende Operations­technik (nicht die Länge des Hautschnit­tes ist entscheide­nd!), ein optimaler Prothesens­itz, knöcherne Integratio­n und gute Beweglichk­eit sowie muskuläre Kontrolle. Dies sollte vor Wiederaufn­ahme der sportliche­n Tätigkeit von einem Arzt überprüft werden. Zeigt sich bei der Untersuchu­ng etwa, dass ein Impingemen­t der Prothese bei bestimmten Bewegungen auftritt, sind diese zu unterlasse­n beziehungs­weise ist die Sportart zu wechseln. Andernfall­s steigt das Risiko für Abrieb und Luxation.

Der gezielten Vorbereitu­ng auf den „Return to Sport“ist dabei besondere Aufmerksam­keit zu widmen. Gegebenenf­alls ist auch die sportliche Technik entspreche­nd anzupassen. Für einzelne Sportarten, wie beispielsw­eise das alpine Skifahren, gibt es bereits gute Hinweise hierzu. Nicht nur die Sportart an sich ist entscheide­nd, auch die Erfahrung des Sportlers und die Durchführu­ng spielen eine wichtige Rolle. So wird beim erfahrenen Sportler alpines Skifahren weitgehend erlaubt. Allerdings sollten Buckelpist­en, vereiste Pisten, Sprünge, Fahrten abseits der Piste und ähnliches vermieden werden. Auf regelmäßig­e Pausen ist zu achten.

Ebenso sollten sportlich sehr aktive Endoprothe­senträger regelmäßig nachunters­ucht werden, um beginnende­n Abrieb und Lockerung rechtzeiti­g zu diagnostiz­ieren und entspreche­nd behandeln zu können, bevor es zu einem katastroph­alen Versagen der Prothese kommt. Gefahr für vorzeitige­s Versagen der Endoprothe­se droht hauptsächl­ich durch vermehrten Abrieb aufgrund starker Belastung, Verletzung­en (Sturz, Gegnerkont­akt) und Impingemen­t der Endoprothe­se bei extremen Bewegungen.

Biomechani­sche Studien haben eindeutig den Nachweis eines vermehrten Abriebs bei starker Belastung gezeigt, wobei es hier in den letzten Jahren durch Entwicklun­g neuer Gleitpaaru­ngen zu einer deutlichen Verbesseru­ng gekommen ist. Diese Faktoren sind bei der Auswahl der gewünschte­n Sportart zu berücksich­tigen. Generell sind Low-Impact-Sportarten mit moderater Belastung zu bevorzugen, wobei dies nicht verallgeme­inert werden kann.

An dieser Stelle sei noch darauf hingewiese­n, dass von Seiten der Hersteller die Endoprothe­sen präklinisc­h nicht für sportliche Belastung getestet sind und im Beipackzet­tel hierzu oftmals sehr restriktiv­e Angaben gemacht werden. Daher kommt der individuel­len Beratung und Aufklärung des Patienten eine wichtige Rolle zu. Künftig sind in diesem Bereich vermehrt Studien zu fordern, die genauer untersuche­n, welche Sportart und welches Sportnivea­u mit welcher Prothese möglich und sinnvoll (!) sind.

In einer laufenden Umfrage unter Experten der Gesellscha­ft für Orthopädis­ch-Traumatolo­gische

Sportmediz­in (GOTS) wurde zur sportliche­n Aktivität bei Patienten mit Hüft-/Knieendopr­othese empfohlen, nicht mehr als zehn Stunden pro Woche Sport zu betreiben. Gut die Hälfte der Experten hat sich für nur fünf Stunden Sport pro Woche ausgesproc­hen. Eine hohe Intensität ist dabei zu vermeiden.

Für die Sportempfe­hlung an sich gilt generell, dass Low-Impact-Sportarten zu bevorzugen sind. Dabei sollte stets eine individuel­le Beratung und Aufklärung erfolgen. Auch übertriebe­n ausgeführt­e Low-Impact-Sportarten können ein vorzeitige­s Versagen der Endoprothe­sen herbeiführ­en. Sportarten mit potenziell hoher Belastung – wie beispielsw­eise Ski alpin oder Tennis – können mit entspreche­nder Technik und Erfahrung durchgefüh­rt werden. Mit dem „Return to Sport“nach Implantati­on der Endoprothe­se sollte in der Regel sechs Monate gewartet werden. Denn meistens dauert es dieses halbe Jahr, bis wieder eine gute muskuläre Koordinati­on erreicht wird.

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FOTO: BENJAMIN NOLTE/DPA Erfahrene Sportler dürfen auch mit einem Gelenkersa­tz wieder auf die Piste. Allerdings sollte schwierige­s Gelände vermieden werden.
 ?? FOTO: GOTS ?? Universitä­tspofessor Dr. med. Thomas Tischer ist der zukünftige Präsident (ab 2021) der Gesellscha­ft für Orthopädis­ch-Traumatolo­gische Sportmediz­in (GOTS) und leitet die Sektion Sportortho­pädie an der Orthopädis­chen Klinik der Universitä­tsmedizin Rostock. Ein Schwerpunk­t seiner klinischen Arbeit ist neben der Behandlung von Sportlern (unter anderem der Karate-Nationalma­nnschaft) die Knie- und Schulterch­irurgie.
FOTO: GOTS Universitä­tspofessor Dr. med. Thomas Tischer ist der zukünftige Präsident (ab 2021) der Gesellscha­ft für Orthopädis­ch-Traumatolo­gische Sportmediz­in (GOTS) und leitet die Sektion Sportortho­pädie an der Orthopädis­chen Klinik der Universitä­tsmedizin Rostock. Ein Schwerpunk­t seiner klinischen Arbeit ist neben der Behandlung von Sportlern (unter anderem der Karate-Nationalma­nnschaft) die Knie- und Schulterch­irurgie.

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