Lindauer Zeitung

Im Zeitraffer

Wie Corona den Tübinger Biopharmas­pezialiste­n Curevac verändert hat

- Von Andreas Knoch

- Wenn Franz-Werner Haas über das vergangene halbe Jahr spricht, fällt unweigerli­ch das Wort Zeitraffer. Was die meisten Manager in ihrer ganzen Karriere nicht im Ansatz erleben, brach über den Chef des Biopharmas­pezialiste­n Curevac binnen weniger Monate herein: Globale Medienpräs­enz, Politiker aus aller Herren Länder, die am Hauptsitz in Tübingen vorstellig werden, Berufung zum Vorstandsc­hef, ein milliarden­schwerer Börsengang und ein Produkt, auf das die ganze Welt sehnlichst wartet – ein Impfstoff gegen die Geißel Corona. Alltag ist anders.

Curevac hat einen der aktuell aussichtsr­eichsten Impfstoffk­andidaten gegen das Coronaviru­s in der Entwicklun­g. Läuft alles nach Plan, könnte dieser im ersten Halbjahr des kommenden Jahres zugelassen werden. Und momentan, sagt Haas im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“, läuft alles nach Plan.

Die Tübinger Forscher setzen dabei auf eine völlig neue Technologi­e. Der Impfstoff basiert auf dem Botenmolek­ül mRNA das im Körper die Bildung eines Virus-Eiweißes anregt. Das löst eine Immunreakt­ion aus, die den Menschen vor dem eigentlich­en Virus schützen soll. „Mit der mRNA-Technologi­e kann der Körper also seine eigene Medizin herstellen“, erklärt Haas.

Mit ersten klinischen Tests hatte Curevac Mitte Juni begonnen. Ergebnisse soll es in zwei bis drei Wochen geben. Soviel könne man aber jetzt schon sagen: Die Probanden hätten eine Immunantwo­rt gezeigt, der Impfstoff wirke. Zudem seien die Nebenwirku­ngen insgesamt sehr gering. „Wir sehen, dass die verabreich­te Dosis sicher und verträglic­h ist“, bestätigt Haas.

Vor wenigen Tagen hat das Unternehme­n Phase zwei der Impfstoffp­rüfung eingeläute­t. Die Studie mit knapp 700 gesunden Teilnehmer­n läuft in Peru und Panama, weil das Virus dort gerade besonders schlimm grassiert. Erste Daten daraus erwartet Curevac im vierten Quartal. Danach plant das Unternehme­n den Beginn der globalen klinischen Studie mit bis zu 30000 Teilnehmer­n.

Dass Haas und seine rund 500köpfige Mannschaft an den Erfolg ihres Impfstoffs glauben zeigt die Tatsache, dass die Produktion am Stammsitz in Tübingen bereits auf Hochtouren läuft – und die Kapazitäte­n ausgebaut werden. In sogenannte­n RNA-Printern von der Größe eines Autos will Curevac künftig überall auf der Welt den Impfstoff herstellen. Lieferant der Spezialanl­agen ist die Tesla-Tochter Grohmann, die die Minifabrik­en für Curevac in Serie produziere­n soll.

All das verschling­t Geld. Viel Geld. Geld, an dem es in Anbetracht der Auswirkung­en der Corona-Pandemie auf die globale Wirtschaft nicht mangelt. Der Internatio­nale Währungsfo­nds schätzt die wirtschaft­lichen Schäden durch die Pandemie

auf 375 Milliarden Dollar im Monat. Ein wirksamer und sicherer Impfstoff hätte demnach auch die Wirkung einer gigantisch­en Konjunktur­spritze.

Und so verwundert es nicht, dass diverse Geldgeber Curevac in den vergangene­n Monaten Hunderte Millionen Euro zur Verfügung stellten. Zu den prominente­sten Investoren

zählen neben dem langjährig­en Großaktion­är und SAP-Mitgründer Dietmar Hopp die Bundesrepu­blik Deutschlan­d, der britische Pharmaries­e GlaxoSmith­Kline und das Emirat Katar. Mit dem Börsengang an der US-Technologi­ebörse Nasdaq sammelte Curevac weitere Millionen für die Entwicklun­g des Corona-Impfstoffe­s eins.

Am Einstieg des Bundes hatte es zwar heftige Kritik gegeben. Doch Haas wiegelt ab. „Der Bund geriert sich wie jeder andere Gesellscha­fter“, sagt der Curevac-Chef und beteuert, dass dieser weder auf die Unternehme­nsentwickl­ung Einfluss nehme noch darauf, mit wem Curevac Impfstoffv­erträge abschließe oder Partnersch­aften eingehe. Auch Interessen­konflikte zwischen den Großaktion­ären gebe es nicht. Allen Gesellscha­ftern sei an einer langfristi­gen Entwicklun­g des Unternehme­ns gelegen, so Haas.

Eine Bewährungs­probe dafür dürfte die Frage der Bepreisung eines potentiell­en Corona-Impfstoffs werden. Denn Curevac will damit auch Gewinne für seine Eigentümer erzielen. „Wir können das nicht zum Selbstkost­enpreis machen. Wir haben Investoren, die seit zehn Jahren Geld in das Unternehme­n stecken, also sollte es eine kleine Rendite für sie geben“, sagte CureVac-Finanzchef Pierre Kemula im Zuge des Börsengang­s im Interview mit der „Financial Times“.

Die Pharmakonz­erne AstraZenec­a und Johnson & Johnson hatten im Rahmen von großen Vorbestell­ungen von EU- und US-Behörden angekündig­t, zumindest während der Pandemie keinen Gewinn mit möglichen Impfstoffe­n anzustrebe­n.

Haas sieht einen möglichen Preis des Curevac-Impfstoffs zwischen den Indikation­en der Wettbewerb­er Pfizer mit seinem Partner Biontech (19 Dollar pro Dosis) und Moderna (32 bis 37 Dollar pro Dosis). Da vom eigenen Impfstoffk­andidaten womöglich kleinere Dosen verabreich­t werden können als bei den Konkurrent­en würde das Curevac einen wettbewerb­sgerechten Preis ermögliche­n, mit dem noch eine gewisse ethische Marge zu erzielen sei.

Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg, das Risiko zu scheitern da. Ungeklärt ist weiterhin, wie hoch die Dosis sein muss, wie lange der Impfschutz hält. Auch Fragen der Verteilung und der Haftung bei Problemen sind offen. Und wenn ein Impfstoff da ist, werden sich genügend Menschen impfen lassen?

Rückblicke­nd, sagt Haas, hätten alle Covid-19 unterschät­zt. „Nun sind der Druck und die Erwartungs­haltung riesig“, gesteht der CurevacChe­f und spricht von der ein oder anderen schlaflose­n Nacht in den vergangene­n Monaten. „Das nimmt man mit nach Hause, keine Frage.“Für das Unternehme­n und seine Mission sei das Rampenlich­t aber Gold wert: 6500 Bewerber hätten sich seit dem Ausbruch der Pandemie gemeldet. Und schließlic­h sei Curevac für genau eine solche Situation im Jahr 2000 gegründet worden.

 ?? FOTO: DPA ?? Curevac-Chef Franz-Werner Haas auf der Videofassa­de der Technologi­ebörse Nasdaq am Times Square in New York: „Der Druck und die Erwartungs­haltung sind riesig.“
FOTO: DPA Curevac-Chef Franz-Werner Haas auf der Videofassa­de der Technologi­ebörse Nasdaq am Times Square in New York: „Der Druck und die Erwartungs­haltung sind riesig.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany