Im Zeitraffer
Wie Corona den Tübinger Biopharmaspezialisten Curevac verändert hat
- Wenn Franz-Werner Haas über das vergangene halbe Jahr spricht, fällt unweigerlich das Wort Zeitraffer. Was die meisten Manager in ihrer ganzen Karriere nicht im Ansatz erleben, brach über den Chef des Biopharmaspezialisten Curevac binnen weniger Monate herein: Globale Medienpräsenz, Politiker aus aller Herren Länder, die am Hauptsitz in Tübingen vorstellig werden, Berufung zum Vorstandschef, ein milliardenschwerer Börsengang und ein Produkt, auf das die ganze Welt sehnlichst wartet – ein Impfstoff gegen die Geißel Corona. Alltag ist anders.
Curevac hat einen der aktuell aussichtsreichsten Impfstoffkandidaten gegen das Coronavirus in der Entwicklung. Läuft alles nach Plan, könnte dieser im ersten Halbjahr des kommenden Jahres zugelassen werden. Und momentan, sagt Haas im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“, läuft alles nach Plan.
Die Tübinger Forscher setzen dabei auf eine völlig neue Technologie. Der Impfstoff basiert auf dem Botenmolekül mRNA das im Körper die Bildung eines Virus-Eiweißes anregt. Das löst eine Immunreaktion aus, die den Menschen vor dem eigentlichen Virus schützen soll. „Mit der mRNA-Technologie kann der Körper also seine eigene Medizin herstellen“, erklärt Haas.
Mit ersten klinischen Tests hatte Curevac Mitte Juni begonnen. Ergebnisse soll es in zwei bis drei Wochen geben. Soviel könne man aber jetzt schon sagen: Die Probanden hätten eine Immunantwort gezeigt, der Impfstoff wirke. Zudem seien die Nebenwirkungen insgesamt sehr gering. „Wir sehen, dass die verabreichte Dosis sicher und verträglich ist“, bestätigt Haas.
Vor wenigen Tagen hat das Unternehmen Phase zwei der Impfstoffprüfung eingeläutet. Die Studie mit knapp 700 gesunden Teilnehmern läuft in Peru und Panama, weil das Virus dort gerade besonders schlimm grassiert. Erste Daten daraus erwartet Curevac im vierten Quartal. Danach plant das Unternehmen den Beginn der globalen klinischen Studie mit bis zu 30000 Teilnehmern.
Dass Haas und seine rund 500köpfige Mannschaft an den Erfolg ihres Impfstoffs glauben zeigt die Tatsache, dass die Produktion am Stammsitz in Tübingen bereits auf Hochtouren läuft – und die Kapazitäten ausgebaut werden. In sogenannten RNA-Printern von der Größe eines Autos will Curevac künftig überall auf der Welt den Impfstoff herstellen. Lieferant der Spezialanlagen ist die Tesla-Tochter Grohmann, die die Minifabriken für Curevac in Serie produzieren soll.
All das verschlingt Geld. Viel Geld. Geld, an dem es in Anbetracht der Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die globale Wirtschaft nicht mangelt. Der Internationale Währungsfonds schätzt die wirtschaftlichen Schäden durch die Pandemie
auf 375 Milliarden Dollar im Monat. Ein wirksamer und sicherer Impfstoff hätte demnach auch die Wirkung einer gigantischen Konjunkturspritze.
Und so verwundert es nicht, dass diverse Geldgeber Curevac in den vergangenen Monaten Hunderte Millionen Euro zur Verfügung stellten. Zu den prominentesten Investoren
zählen neben dem langjährigen Großaktionär und SAP-Mitgründer Dietmar Hopp die Bundesrepublik Deutschland, der britische Pharmariese GlaxoSmithKline und das Emirat Katar. Mit dem Börsengang an der US-Technologiebörse Nasdaq sammelte Curevac weitere Millionen für die Entwicklung des Corona-Impfstoffes eins.
Am Einstieg des Bundes hatte es zwar heftige Kritik gegeben. Doch Haas wiegelt ab. „Der Bund geriert sich wie jeder andere Gesellschafter“, sagt der Curevac-Chef und beteuert, dass dieser weder auf die Unternehmensentwicklung Einfluss nehme noch darauf, mit wem Curevac Impfstoffverträge abschließe oder Partnerschaften eingehe. Auch Interessenkonflikte zwischen den Großaktionären gebe es nicht. Allen Gesellschaftern sei an einer langfristigen Entwicklung des Unternehmens gelegen, so Haas.
Eine Bewährungsprobe dafür dürfte die Frage der Bepreisung eines potentiellen Corona-Impfstoffs werden. Denn Curevac will damit auch Gewinne für seine Eigentümer erzielen. „Wir können das nicht zum Selbstkostenpreis machen. Wir haben Investoren, die seit zehn Jahren Geld in das Unternehmen stecken, also sollte es eine kleine Rendite für sie geben“, sagte CureVac-Finanzchef Pierre Kemula im Zuge des Börsengangs im Interview mit der „Financial Times“.
Die Pharmakonzerne AstraZeneca und Johnson & Johnson hatten im Rahmen von großen Vorbestellungen von EU- und US-Behörden angekündigt, zumindest während der Pandemie keinen Gewinn mit möglichen Impfstoffen anzustreben.
Haas sieht einen möglichen Preis des Curevac-Impfstoffs zwischen den Indikationen der Wettbewerber Pfizer mit seinem Partner Biontech (19 Dollar pro Dosis) und Moderna (32 bis 37 Dollar pro Dosis). Da vom eigenen Impfstoffkandidaten womöglich kleinere Dosen verabreicht werden können als bei den Konkurrenten würde das Curevac einen wettbewerbsgerechten Preis ermöglichen, mit dem noch eine gewisse ethische Marge zu erzielen sei.
Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg, das Risiko zu scheitern da. Ungeklärt ist weiterhin, wie hoch die Dosis sein muss, wie lange der Impfschutz hält. Auch Fragen der Verteilung und der Haftung bei Problemen sind offen. Und wenn ein Impfstoff da ist, werden sich genügend Menschen impfen lassen?
Rückblickend, sagt Haas, hätten alle Covid-19 unterschätzt. „Nun sind der Druck und die Erwartungshaltung riesig“, gesteht der CurevacChef und spricht von der ein oder anderen schlaflosen Nacht in den vergangenen Monaten. „Das nimmt man mit nach Hause, keine Frage.“Für das Unternehmen und seine Mission sei das Rampenlicht aber Gold wert: 6500 Bewerber hätten sich seit dem Ausbruch der Pandemie gemeldet. Und schließlich sei Curevac für genau eine solche Situation im Jahr 2000 gegründet worden.