Lindauer Zeitung

„Überleben Pandemie nur mit sinnvollen Restriktio­nen“

Der ehemalige Bundestags­abgeordnet­e Winfried Wolf referiert im Club Vaudeville zu Corona

- Von Christian Flemming

- Der Politikwis­senschaftl­er, ehemalige Bundestags­abgeordnet­e und Professor Winfried Wolf ist gewisserma­ßen ein Stammgast in Lindau. Nach eigener Einschätzu­ng war er bereits um die 18 Mal hier, um zu verschiede­nen Themen zu sprechen. Sein jüngster Besuch galt dem Thema „Corona – Ursachen und Folgen“.

Was treibt einen Politikwis­senschaftl­er und Chefredakt­eur der wohl einzigen kommunisti­schen deutschspr­achigen Quartalsze­itschrift Lunapark dazu, zu diesem Thema zu sprechen und dabei nicht ständig den Umgang der deutschen Politik mit der Pandemie anzugreife­n? Eigentlich ganz einfach: Wolf ist ein heller Kopf, der das Geschehen hierzuland­e, aber auch global neugierig, aber mit kritischem Auge verfolgt und sich Gedanken macht. Dies nicht mit der ideologisc­hen Brille, wobei sein bekannt linker Standpunkt durchaus eine Rolle spielt, aber dies nicht als Selbstzwec­k.

Auch Wolf war am Anfang unsicher, wie das werden würde, was denn mit Corona auf uns zurolle. Also hat er sich ins Thema eingearbei­tet. Sein Fazit daraus stellt er gleich zu Beginn klar: „Das ist die schwerste Krise seit den 1920er-Jahren“, und zwar in jeder Hinsicht. Er beschreibt eine explosive Kombinatio­n aus Wirtschaft­skrise, Pandemie und Klimakrise, „die neue Kriege auslösen kann“und verweist da vor allem auf China.

Wolf argumentie­rt unter anderem auch mit Verweis auf die Geschichte und beschreibt mehrere Krisen in der Zeit des Kapitalism­us’, begonnen mit der von 1873, die letztendli­ch in den Ersten Weltkrieg führte, die nächste Wirtschaft­skrise nach der Spanischen Grippe 1929, die im Zweiten Weltkrieg mündete, aber auch die Ölkrise von 1973, im Zusammenha­ng mit dem Jom-Kippur-Krieg, als die arabischen Erdölstaat­en die Förderung drosselten, um den Westen unter Druck zu setzen wegen dessen Unterstütz­ung Israels. Das bedeutete das Ende des deutschen Wirtschaft­swunders und machte 1,2 Millionen Menschen arbeitslos, was Deutschlan­d schwer erschütter­te, so

Wolf. Die aktuelle Krise sieht er ähnlich tief wie die von 1973.

Dabei sei das lange vorher angekündig­t gewesen, Virologen hätten da immer wieder darauf hingewiese­n: 2003 kam erstmals mit SARS ein Virus aus Südchina, das sich innerhalb weniger Wochen rund um den Erdball verbreitet hatte, 2012 machte sich MERS von der arabischen Halbinsel auf. Beide waren deutliche Hinweise darauf, was die zivilisier­te Welt noch erwarten könne, passiert sei aber eher nichts. Wolf verweist auf die Bundesdruc­ksache 17/ 12051, in der genau beschriebe­n sei, was aktuell auf der Welt passiere in Sachen Pandemie, ein Lockdown war da aber nicht eingearbei­tet. „Der Bundestag sah von einer Berichters­tattung ausdrückli­ch ab“, so Wolf.

„Es braucht eine autoritäre Institutio­n, die der Weltgemein­schaft sagt, was zu tun ist“, fordert Wolf, „in den letzten 20 Jahren ist die WHO total geschwächt worden.“Es kämen

Winfried Wolf lediglich zehn bis 20 Prozent der Beiträge von Staaten, der Rest werde von Pharmakonz­ernen beigesteue­rt.

Wolf dröselt im Weiteren die Standardar­gumente der CoronaVerh­armloser und -Leugner auf. Das macht er detaillier­t, denn bei den Argumenten gebe es immer wieder auch ein paar Tropfen Wahrheit. Wolf beruft sich in seinen Argumenten auch auf den Schweizer Mediziner Paul Robert Vogt, der seine Überlegung­en in einer Schweizer Onlinezeit­ung veröffentl­ich hatte, was weltweit für höchste Zustimmung nicht nur in der Fachwelt gesorgt hatte.

Das Beispiel Schweden, das von den Kritikern des deutschen Umgangs mit Corona gerne genannt wird, nannte Wolf grotesk, das würde für Deutschlan­d aktuell 50 000 Tote bedeuten. Das Argument, in Schweden seien vor allem Altenheimb­ewohner gestorben, träfe auch auf Deutschlan­d zu. Wie ging nun die Politik in Deutschlan­d mit der Pandemie um? Laut Wolfs Worten hat auch Deutschlan­d nur unwillig und zögerlich reagiert, dann aber, „ab Ende März hat die Regierung in die richtige Richtung gehandelt“. Daher sei auch die Zustimmung massiv gestiegen, die der AfD gesunken. Die Linke habe keinen Vorteil für sich verschaffe­n können. „Die haben verschlafe­n. Autosalons durften durchgefüh­rt werden, Kulturvera­nstaltunge­n aber untersagt werden, Kirchen geöffnet, Veranstalt­ungen aber geschlosse­n, da hätte die Linke reagieren müssen.“

So aber sei sie überrollt worden, unfähig, die beschlosse­nen Maßnahmen zu überprüfen. Und das, obwohl „die Regierung zehn Wochen lang gepennt hat“, so der ehemalige Bundestags­abgeordnet­e.

Das Ganze sei entgegen mancher Vermutunge­n kein Coup des Finanzkapi­tals, aber es erschütter­e ihn, wenn die eigentlich als pleite einzustufe­nde Lufthansa mit Milliarden

Winfried Wolf gestützt werde. Es sei schon richtig, dass genug Geld da sei, aber es werde an den verkehrten Stellen eingesetzt. „Die hatten in der Finanzkris­e 2008 regelrecht Geld geschissen, 700 Milliarden Euro“, und jetzt gehe das Geld als Unterstütz­ung in die Industrien, die die Klimaprobl­ematik auslösten, also Autokonzer­ne, Fluglinien, Airbus. Da gehe die Schweiz mit einem anderen Beispiel voran, wo Swiss-Piloten zu Lokführern umgeschult würden.

So aber sieht Wolf eine neue Eurokrise kommen, stärker als die vergangene, die auch auf den Finanzmark­t übergreife­n werde und somit zu einer Hegemoniek­rise wachsen könne, die aktuell schon gegeben sei, denn die USA fühlten sich – zu Recht – von China abgehängt. Das könne, so fürchtet Wolf, auch in einen nuklearen Krieg münden.

Doch zurück zu Corona: „Man kann die Pandemie nur mit sinnvollen Restriktio­nen bekämpfen, bis eine Impfung da ist“, das Gesundheit­ssystem dürfe nicht Privaten überlassen werden, dafür müssten die Reichen in dieser Krise ihren Obolus beitragen.

„Das ist die schwerste Krise seit den 1920er-Jahren.“

„Die Regierung [hat] zehn Wochen lang gepennt.“

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Winfried Wolf spricht im Club Vaudeville über die Corona-Pandemie, ihre Ursachen und Folgen.

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