„Überleben Pandemie nur mit sinnvollen Restriktionen“
Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Winfried Wolf referiert im Club Vaudeville zu Corona
- Der Politikwissenschaftler, ehemalige Bundestagsabgeordnete und Professor Winfried Wolf ist gewissermaßen ein Stammgast in Lindau. Nach eigener Einschätzung war er bereits um die 18 Mal hier, um zu verschiedenen Themen zu sprechen. Sein jüngster Besuch galt dem Thema „Corona – Ursachen und Folgen“.
Was treibt einen Politikwissenschaftler und Chefredakteur der wohl einzigen kommunistischen deutschsprachigen Quartalszeitschrift Lunapark dazu, zu diesem Thema zu sprechen und dabei nicht ständig den Umgang der deutschen Politik mit der Pandemie anzugreifen? Eigentlich ganz einfach: Wolf ist ein heller Kopf, der das Geschehen hierzulande, aber auch global neugierig, aber mit kritischem Auge verfolgt und sich Gedanken macht. Dies nicht mit der ideologischen Brille, wobei sein bekannt linker Standpunkt durchaus eine Rolle spielt, aber dies nicht als Selbstzweck.
Auch Wolf war am Anfang unsicher, wie das werden würde, was denn mit Corona auf uns zurolle. Also hat er sich ins Thema eingearbeitet. Sein Fazit daraus stellt er gleich zu Beginn klar: „Das ist die schwerste Krise seit den 1920er-Jahren“, und zwar in jeder Hinsicht. Er beschreibt eine explosive Kombination aus Wirtschaftskrise, Pandemie und Klimakrise, „die neue Kriege auslösen kann“und verweist da vor allem auf China.
Wolf argumentiert unter anderem auch mit Verweis auf die Geschichte und beschreibt mehrere Krisen in der Zeit des Kapitalismus’, begonnen mit der von 1873, die letztendlich in den Ersten Weltkrieg führte, die nächste Wirtschaftskrise nach der Spanischen Grippe 1929, die im Zweiten Weltkrieg mündete, aber auch die Ölkrise von 1973, im Zusammenhang mit dem Jom-Kippur-Krieg, als die arabischen Erdölstaaten die Förderung drosselten, um den Westen unter Druck zu setzen wegen dessen Unterstützung Israels. Das bedeutete das Ende des deutschen Wirtschaftswunders und machte 1,2 Millionen Menschen arbeitslos, was Deutschland schwer erschütterte, so
Wolf. Die aktuelle Krise sieht er ähnlich tief wie die von 1973.
Dabei sei das lange vorher angekündigt gewesen, Virologen hätten da immer wieder darauf hingewiesen: 2003 kam erstmals mit SARS ein Virus aus Südchina, das sich innerhalb weniger Wochen rund um den Erdball verbreitet hatte, 2012 machte sich MERS von der arabischen Halbinsel auf. Beide waren deutliche Hinweise darauf, was die zivilisierte Welt noch erwarten könne, passiert sei aber eher nichts. Wolf verweist auf die Bundesdrucksache 17/ 12051, in der genau beschrieben sei, was aktuell auf der Welt passiere in Sachen Pandemie, ein Lockdown war da aber nicht eingearbeitet. „Der Bundestag sah von einer Berichterstattung ausdrücklich ab“, so Wolf.
„Es braucht eine autoritäre Institution, die der Weltgemeinschaft sagt, was zu tun ist“, fordert Wolf, „in den letzten 20 Jahren ist die WHO total geschwächt worden.“Es kämen
Winfried Wolf lediglich zehn bis 20 Prozent der Beiträge von Staaten, der Rest werde von Pharmakonzernen beigesteuert.
Wolf dröselt im Weiteren die Standardargumente der CoronaVerharmloser und -Leugner auf. Das macht er detailliert, denn bei den Argumenten gebe es immer wieder auch ein paar Tropfen Wahrheit. Wolf beruft sich in seinen Argumenten auch auf den Schweizer Mediziner Paul Robert Vogt, der seine Überlegungen in einer Schweizer Onlinezeitung veröffentlich hatte, was weltweit für höchste Zustimmung nicht nur in der Fachwelt gesorgt hatte.
Das Beispiel Schweden, das von den Kritikern des deutschen Umgangs mit Corona gerne genannt wird, nannte Wolf grotesk, das würde für Deutschland aktuell 50 000 Tote bedeuten. Das Argument, in Schweden seien vor allem Altenheimbewohner gestorben, träfe auch auf Deutschland zu. Wie ging nun die Politik in Deutschland mit der Pandemie um? Laut Wolfs Worten hat auch Deutschland nur unwillig und zögerlich reagiert, dann aber, „ab Ende März hat die Regierung in die richtige Richtung gehandelt“. Daher sei auch die Zustimmung massiv gestiegen, die der AfD gesunken. Die Linke habe keinen Vorteil für sich verschaffen können. „Die haben verschlafen. Autosalons durften durchgeführt werden, Kulturveranstaltungen aber untersagt werden, Kirchen geöffnet, Veranstaltungen aber geschlossen, da hätte die Linke reagieren müssen.“
So aber sei sie überrollt worden, unfähig, die beschlossenen Maßnahmen zu überprüfen. Und das, obwohl „die Regierung zehn Wochen lang gepennt hat“, so der ehemalige Bundestagsabgeordnete.
Das Ganze sei entgegen mancher Vermutungen kein Coup des Finanzkapitals, aber es erschüttere ihn, wenn die eigentlich als pleite einzustufende Lufthansa mit Milliarden
Winfried Wolf gestützt werde. Es sei schon richtig, dass genug Geld da sei, aber es werde an den verkehrten Stellen eingesetzt. „Die hatten in der Finanzkrise 2008 regelrecht Geld geschissen, 700 Milliarden Euro“, und jetzt gehe das Geld als Unterstützung in die Industrien, die die Klimaproblematik auslösten, also Autokonzerne, Fluglinien, Airbus. Da gehe die Schweiz mit einem anderen Beispiel voran, wo Swiss-Piloten zu Lokführern umgeschult würden.
So aber sieht Wolf eine neue Eurokrise kommen, stärker als die vergangene, die auch auf den Finanzmarkt übergreifen werde und somit zu einer Hegemoniekrise wachsen könne, die aktuell schon gegeben sei, denn die USA fühlten sich – zu Recht – von China abgehängt. Das könne, so fürchtet Wolf, auch in einen nuklearen Krieg münden.
Doch zurück zu Corona: „Man kann die Pandemie nur mit sinnvollen Restriktionen bekämpfen, bis eine Impfung da ist“, das Gesundheitssystem dürfe nicht Privaten überlassen werden, dafür müssten die Reichen in dieser Krise ihren Obolus beitragen.
„Das ist die schwerste Krise seit den 1920er-Jahren.“
„Die Regierung [hat] zehn Wochen lang gepennt.“