Mit Farid kehrt das Lachen in die Familie zurück
Der vor zwei Jahren abgeschobene Afghane startet jetzt seine Gastronomie-Ausbildung
- Selbstbewusst und lachend stellt sich der junge Mann vor: Farid Azizi ist zurück bei seiner Familie in Lindau. Das ist nicht selbstverständlich für den Afghanen. Denn im Juli 2018 gehörte er zu jenen 69 Flüchtlingen, die aus Deutschland abgeschoben wurden. Doch die Menschen, die seine Familie unterstützen, haben ihn nicht aufgegeben, für seine Rückkehr gekämpft. Es hat sich gelohnt: Der Jüngste der Familie Azizi beginnt jetzt seine Ausbildung als Restaurantfachmann in Lindau, und da findet selbst Mutter Sharifa ihr Lachen wieder.
Wenn Tochter Fariha an jenen frühen Sommermorgen denkt, schießen ihr immer noch die Tränen in die Augen. Auch Farid Azizi selbst wird leise, wenn er über jenen Morgen spricht: „Es waren zehn Leute und Polizisten, die haben geklopft und uns geweckt. Und sie haben gesagt, ich muss mitkommen.“Sein Asylantrag war damals abgelehnt, der Widerspruch dagegen auch. Doch mit einer Abschiebung haben sie nicht wirklich gerechnet. Mutter und Bruder riefen in ihrer Verzweiflung alle Lindauer Helfer an, die sie kennen. Doch auch die können nichts mehr ausrichten an jenem Sommertag 2018: Der junge Afghane muss abends in München in ein Flugzeug nach Kabul steigen. Er wird abgeschoben.
Nach sechs, sieben Stunden sei er in Kabul angekommen. „Da haben sie mir meinen Pass gegeben – ich sollte gehen.“Farid Azizi hat zwar die afghanische Staatsbürgerschaft. Seine Mutter hat jedoch das Land mit ihm und seinen beiden Geschwistern verlassen, als Farid noch ein Kleinkind war. „Ich kenne Kabul nicht, ich kenne niemanden dort.“In den ersten Telefongesprächen mit seiner Familie in Lindau habe er nur geweint, erinnert sich seine Schwester.
Die Lindauer Unterstützer schicken ihm Geld, damit er sich ein Flugticket in den Iran kaufen kann.
Dort hat Farid Azizi einen Teil seiner Kindheit verbracht. „Aber das ist heute gefährlich dort für Afghanen“, berichtet der junge Mann. Er habe große Angst gehabt, dort zwischen die Fronten zu geraten. Deshalb sei für ihn nach kurzer Zeit klar gewesen: „Ich musste versuchen, in die Türkei zu kommen.“
Vielfach zu Fuß habe er sich dann auf den Weg gemacht, schließlich die türkische Grenze passiert. Einmal mehr in seinem Leben ist Farid Azizi als Flüchtling unterwegs gewesen. In Afyonkarahisar, etwa 250 Kilometer südwestlich von Ankara, habe er sich eine kleine Wohnung mieten können. Einzelne Zimmer gebe es dort nicht, sagt Azizi. Aber seine Unterkunft sei mit rund 100 Euro im Monat günstig gewesen. Das ist wichtig, denn der junge Afghane muss mit dem Geld auskommen, das ihm Unterstützer und Familie senden können. „Arbeiten durfte ich in der Türkei nicht.“Viele Flüchtlinge versuchen nach seinen Erfahrungen ihr Glück in der Schwarzarbeit. Doch davon hätten ihm seine Lindauer Unterstützer dringend abgeraten.
Mutter Sharifa kann zwar etwas aufatmen, als ihr Jüngster berichtet, dass er nun vorerst in der Türkei wohnt. Doch der Mittfünfzigerin zerreißt es fast das Herz, dass ihr Kind, mit dem sie über Tausende von Kilometern nach Deutschland geflüchtet ist, nun so weit von ihr entfernt ist. Eigentlich wollte sich die afghanische Lehrerin in der KolpingAkademie möglichst schnell die Sprache ihrer neuen Heimat aneignen: Sie träumt davon, hier in Lindau wieder mit Kindern arbeiten zu können, am liebsten in einem Kindergarten. Doch die Sorge um ihren Sohn Farid raubt ihr die Kraft zum Lernen.
Tochter Fariha geht es während dieser gut zwei Jahre ähnlich. „Es ist doch mein kleiner Bruder, ich hab so Angst um ihn“, sagt sie, die gut ein Jahr ältere Schwester. Der Alptraum jenes frühen Sommermorgens, an dem ihr Bruder zur Abschiebung abgeholt wurde, lässt sie monatelang nachts kaum ein Auge zumachen: Bei jedem Geräusch sei sie aufgeschreckt, schildert der älteste Sohn Fereidon im Gespräch mit der LZ. Da sei es Fariha schwergefallen, im Unterricht aufmerksam zu sein.
Dabei hat auch Fariha Azizi einen Zukunftswunsch: Sie möchte eine Ausbildung in einer Arztpraxis machen oder bei einem Optiker. Diese beiden Berufsbereiche haben ihr während ihrer Praktika am besten gefallen. Ein Angebot habe sie auch gehabt – die Ausbildung wäre dann aber im Westallgäu. „Ich bin doch hier in Lindau, ich komme doch gar nicht dorthin.“
Glücklich sind heute die beiden Söhne. Fereidon, dem älteren Bruder, hatte vor einem Jahr auch die Abschiebung gedroht. Kurz vor Jahresende hatte dann die von den Unterstützern eingereichte Petition in München Erfolg – zumindest für die Dauer seiner Lehre darf er in Lindau bleiben. Er hat gerade Halbzeit in seiner Ausbildung zum Fachlageristen und freut sich über gute Noten in der Berufsschule. „Mein Chef übt auch jede Woche mit mir“, sagt er und wartet nun auf das Ergebnis seiner jüngsten praktischen Prüfung.
Farid, der einst Abgeschobene, strahlt jetzt übers ganze Gesicht: Er ist nicht nur zurück in Deutschland, in Lindau, bei seiner Familie. Er freut sich auch über seine Ausbildung zum Restaurantfachmann, die er auf der Insel bereits begonnen hat. Dass er sich um sein Sprachverständnis wenig Sorgen machen muss, verdankt er vor allem seinem ehemaligen Lehrer Wolfgang Sutter: Mit ihm hat Farid über all die Entfernung hinweg jede Woche per Whatsapp eine Stunde Deutsch gelernt. Das soll ihm beim Start seiner Ausbildung helfen.
Mit Farid kehrt der Sohn, Bruder und auch das Lachen zurück in die Familie Azizi: Sie hoffen, dass sie nun eine ruhige und sichere Zukunft in ihrer neuen Heimat Lindau haben.