Tiefgehende Interpretation von Schuberts Meisterzyklus
Benjamin Appl und Magnus Svensson mit Schuberts „Winterreise“im Rittersaal von Schloss Achberg
- Vierzig hoch konzentrierte Zuhörerinnen und Zuhörer durften den deutschen Bariton Benjamin Appl und seinen schwedischen Klavierpartner Magnus Svensson auf ihrem Weg durch Enttäuschungen, verlorene Liebe, trügerische Hoffnungen und eisige Winterlandschaften, die sich auf die Seele legen, begleiten: Zum Abschluss der kleinen Konzertreihe „Klassischer Herbst“erklang im 25. Jahr der Wiedereröffnung von Schloss Achberg wieder einmal Schuberts Liederzyklus „Winterreise“.
Altlandrat Guntram Blaser, der sich so für das Deutschordensschloss eingesetzt hatte, hatte diese Tradition begründet. Am wolkenverhangenen Samstagabend spielte die Natur rund um den so außergewöhnlichen Rittersaal wunderbar mit: Mit ihrer sehr geschlossenen Interpretation, den Farben und Stimmungen zogen die Künstler das Publikum hinein in den Reigen „schauerlicher Lieder“, wie der Komponist seinen Zyklus selbst charakterisiert hatte.
Die Gattung Lied ist dem 38-jährigen Sänger, der seine erste Stimmschulung bei den Regensburger Domspatzen bekam, in München bei Edith Wiens studierte und schließlich der letzte Schüler von Dietrich Fischer-Dieskau war, urvertraut: Mit seinem warmen Bariton, der hervorragenden Textverständlichkeit, der leichten Höhe mit feiner Kopfstimme und seinen reichen gestalterischen Möglichkeiten zwischen verhaltenem Piano und großen Ausbrüchen
zeichnet er die Stationen und Befindlichkeiten des Winterreisenden nach.
Am nur halb geöffneten Flügel schlägt der Pianist Magnus Svensson ein zunächst gemäßigtes Tempo an, Melancholie und Trauer um eine unglückliche Liebe treiben Schuberts Wanderer aus der Stadt. Manchmal stemmt er sich gegen sein Schicksal, kämpft mit Wind und Wetter auf dem Weg durch eine verschneite Flusslandschaft, Schnee und Eis werden zum Spiegel für die seelischen Zustände.
Mit ihren wechselnden Stimmungen und Naturbildern begeistert Schuberts Vertonung von Wilhelm Müllers Gedichten der „Winterreise“immer wieder neu, auch die Interpreten müssen sich ihr aussetzen, einen Weg finden zwischen Beobachtung,
Ergriffenheit und Distanz. Benjamin Appl schöpft aus dem Vollen, formt große Legatobögen (herausgehoben sei „Die Krähe“mit ihren weiten Linien und den fahlen Klangfarben), spielt mit Vokalfarben, die manchmal ein wenig zu abgedunkelt sind, baut Spannung auf und setzt Lichtpunkte in der Düsternis. Im auswendig gesungenen Zyklus verwirren sich ab und zu die Textzeilen in den Strophenliedern, doch lässt er sich davon nicht aus dem Konzept bringen.
Magnus Svensson ist seinem Sänger sehr nah, zeichnet Sturm und Erstarrung, fröhliches Posthorn und knurrende Hunde, manchmal etwas hölzern in den Figuren und schwankend im Tempomaß. Zuletzt erzeugen die ungeheure Dichte von „Der Wegweiser“, der verschneite Friedhof,
der zum „Wirtshaus“für den erschöpften Wanderer wird, die visionäre Kraft von „Mut“und die in sich kreisenden letzten Lieder „Nebensonnen“
und „Leiermann“eine Sogkraft, die das Publikum mit einer langen Stille und herzlichem Beifall belohnt.