„Ich möchte nicht nochmals ein Verbot“
Staatssekretär und Geschäftsführer des Klinikverbunds Allgäu über die Folgen von Corona
- Viele Menschen treibt die Sorge um, dass es wegen der steigenden Corona-Infektionszahlen wieder generelle Besuchsverbote in Kliniken und Seniorenheimen geben könnte. Doch so weit soll es nicht kommen, sagt der bayerische Gesundheitsstaatssekretär Klaus Holetschek (CSU, Memmingen). Er kann sich ein solches Verbot nur noch regional bei hohen Infektionszahlen vorstellen. Holetschek diskutiert mit Andreas Ruland, Geschäftsführer des Klinikverbunds Allgäu. Helmut Klustermann befragte die beiden zum Umgang mit der Pandemie, den Schwächen des Gesundheitssystems und über eine Pflegereserve.
Herr Ruland, zu Beginn der Pandemie hatten Sie gesagt, dass die Stimmung im Klinikverbund angespannt sei. Wie sind die Krankenhäuser bisher mit Corona zurechtgekommen?
Ruland: In der ersten Zeit hat man sich gefragt, in welchem Film man jetzt eigentlich ist. Das kam einem surreal vor, wir standen vor einem ganz neuen Thema. Gott sei Dank gab es im Frühjahr keine echte Corona-Welle. Inzwischen haben wir eine gewisse Routine im Umgang mit der Pandemie. Wir wissen nun, was wir tun müssen.
Welche Lehren haben Sie aus der ersten Corona-Phase gezogen?
Ruland: Wir haben gesehen, dass wir die Kapazitäten für Intensiv-Patienten innerhalb von 14 Tagen stark hochfahren können. Im Gegenzug wurden Menschen später operiert, bei denen verschiebbare Eingriffe anstanden. Ein Mehraufwand besteht beispielsweise wegen zusätzlicher hygienischer Anforderungen, etwa bei der Neuaufnahme von Patienten. Und das Virus hat auch Auswirkungen auf unsere Personalplanung.
So mussten wir wegen eines Corona-Falls kürzlich in Immenstadt eine ganze Schicht rausnehmen und Patienten innerhalb des Allgäuer Klinik- verbundes verlegen.
Herr Holetschek, in einer Notlage wie der Corona-Krise müssen wir Schutzausrüstung oder Medikamente wie Antibiotika aus Asien importieren. Was sagt das über die deutsche Gesundheitspolitik aus?
Holetschek: Ein komplexes Thema. Wir müssen als Staat so attraktive Rahmenbedingungen schaffen, dass
Unternehmen wieder hier produzieren wollen. Eine Lehre aus der ersten Corona-Phase war der Aufbau eines Pandemie-Lagers im oberbayerischen Garching. Dort lagern beispielsweise Beatmungsgeräte, Atemschutzmasken, Handschuhe, Schutzbrillen und Schutzanzüge.
Zu Beginn der Corona-Krise gab es demonstrativen Beifall für Pflegekräfte, doch der Applaus ist längst abgeebbt. Hat auch die Politik die Pflegenden schon wieder vergessen?
Holetschek: Meiner Meinung nach wird die Pflege zur Schicksalsfrage für die nächsten Generationen. Im Kern geht es um eine Entlastung für die Pflegekräfte: Wir brauchen mehr Köpfe im System, intelligente Arbeitszeitmodelle und auch eine bessere Bezahlung. Gerade in der Altenpflege muss sich jetzt etwas tun. Zudem bin ich für den Aufbau einer Pflegereserve, um auch für den Katastrophenfall gewappnet zu sein. Ihr können Fachkräfte mit einer entsprechenden Ausbildung ebenso angehören wie beispielsweise Menschen, die Erfahrungen als pflegende Angehörige gesammelt haben. Wir brauchen dafür eine Struktur unter Einbindung der Vereinigung der Pflegenden in Bayern.
Neben der Situation in der Pflege sehen Sie offensichtlich noch andere Baustellen. Sie kritisierten kürzlich, dass die Corona-Krise zeige, wie anfällig unser Gesundheitssystem sei.
Holetschek: Es ist überholt, den ambulanten so stark vom stationären Bereich zu trennen. Darum gilt es, Fehlanreize abzubauen, die durch die unterschiedliche Finanzierung in der Krankenund der Pflegeversicherung entstehen. Die Bedürfnisse des Pflegebedürftigen und nicht die Wohnform müssen im Vordergrund stehen. Wir müssen in der Gesundheitspolitik auch stärker auf die jeweiligen regionalen Bedürfnisse achten.
Ruland: Die Krankenhäuser sind ein Beispiel dafür, dass es teilweise anders läuft. Die Politik für die Kliniken wird in Berlin gemacht – auch wenn der Freistaat formuliert, dass alle Häuser erhalten bleiben sollen. Und die Qualitätsvorgaben aus Berlin gehen in die Richtung, dass sie kleine Krankenhäuser nicht mehr erfüllen können. Ziel ist offensichtlich eine Zentralisierung von Standorten.
Holetschek: Mir geht es noch um einen anderen Punkt: die Bürokratie. In der jetzigen Krisensituation geht manches schneller als vor Corona. Übertragen wir das doch in die künftige Zeit. Wenn wir jetzt nichts ändern, wann dann? Man muss Dinge auch mal ausprobieren und umsetzen können.
Zurück zu aktuellen Corona-Fragen: Die Infektionszahlen steigen stark, droht deshalb wieder ein Besuchsverbot in Kliniken und Seniorenheimen?
Holetschek: Ich möchte nicht, dass nochmals ein komplettes Verbot erlassen wird. Eventuell müssen wir zu dieser Maßnahme in einer bestimmten Region greifen, wenn es dort hohe Infektionszahlen gibt. Ansonsten sollte es aber das Ziel sein, andere Wege zu finden. Als Träger hat man ja die Möglichkeit, Reihentests durchzuführen. Das kann vor Ort entschieden werden.
Ruland: Bei uns läuft das gerade an. Wir planen Reihentests für Mitarbeiter in besonders sensiblen Bereichen, etwa auf Intensivstationen. Dabei arbeiten wir mit einem Kemptener Labor zusammen und haben die Ergebnisse mindestens innerhalb eines halben Tages. Ein allgemeines Besuchsverbot sollte es nur geben, wenn in den Kliniken wegen Corona Land unter herrscht. Davon sind wir Lichtjahre entfernt.
Sollte neben der Zahl der Neuinfektionen in den vergangenen sieben Tagen nicht auch ein Kriterium sein, wie viele Patienten aktuell in den Krankenhäusern behandelt werden?
Ruland: Ich finde schon, dass über die Grundlagen für politische Entscheidungen mehr diskutiert werden sollte.
Holetschek: Wir haben ein System, das reagiert, bevor eine Welle losbricht. Wir beobachten ja auch, wie sich die Belegung auf den Intensivstationen entwickelt. Und über die Verhältnismäßigkeit politischer Entscheidungen wird diskutiert, jetzt auch in einem Ethikrat.
Corona hat für die Krankenhäuser handfeste finanzielle Auswirkungen. Das Freihalten von Betten lässt die Einnahmen sinken. Werden Sie in dieser Situation von Bund und Ländern ausreichend unterstützt?
Ruland: Die Politik hat das bisher gut gemanagt. Es gibt eine Tagespauschale von 560 Euro pro Bett, das wegen der Corona-Krise leer steht. Wie es im Jahr 2021 weitergeht, müssen wir allerdings noch klären.