„Aktuell kein Grippe-Impfstoff lieferbar“
Nachfrage ist riesig – Nachschub für Apotheker und Ärzte frühestens in zwei Wochen
- Ministerpräsident Markus Söder lässt sich medienwirksam vor laufender Kamera impfen: So will die bayerische Staatsregierung angesichts der Corona-Pandemie die Menschen im Freistaat zur GrippeSchutzimpfung auffordern. Doch wer in diesen Tagen in Lindau seinen Hausarzt danach fragt, der bekommt nur noch ein Kopfschütteln zu sehen: Der Impfstoff gegen die echte Grippe ist im Landkreis Lindau zur Rarität geworden. „Und aktuell ist kein weiterer Grippe-Impfstoff nachlieferbar“, stellt nicht nur Dr. Klaus Adams, der Vorsitzende des Ärztlichen Kreisverbands, im Gespräch mit der LZ fest.
Adams ist Kinderarzt. Und auch er hat Risikopatienten, wie Kinder mit Asthma oder Herzproblemen. An die 60 Grippe-Impfungen nimmt der Mediziner normalerweise im Herbst vor. Im Februar hat er vorausschauend vorsichtshalber 80 Impfdosen bestellt und bereits geliefert bekommen. Doch während er in der Vergangenheit die Eltern eher von dieser Impfung überzeugen musste, rennen sie ihm seit drei Wochen die Praxis ein: „Die 80 Impfdosen sind jetzt, Mitte Oktober, schon gespritzt oder zumindest fest reserviert“, schildert Adams im Gespräch mit der LZ. Wer jetzt noch sein Kind vorsichtshalber gegen Influenza impfen lassen wolle, komme auf eine Warteliste. Denn „aktuell ist kein Impfstoff mehr lieferbar“, hat Adams zu hören bekommen.
Deutschlandweit stehen in diesem Herbst 26 Millionen Impfdosen gegen Influenza zur Verfügung. Das sind ohnehin schon 20 Prozent mehr als im vergangenen Winter. Da der Impfstoff eine längere Produktionszeit hat, ist er schon hergestellt worden, bevor die Corona-Pandemie im März ihren ersten Höhepunkt erreicht hat. Bisher haben Ärzte wie vielen ihrer sogenannten Risikopatienten die Grippe-Impfung „wie warme Semmeln“anbieten müssen. Jetzt, da die Zahl der CoronaInfektionen massiv steigt, rennen die Patienten ihren Ärzten die Praxen ein.
Auch Dr. Matthias Pfeifer erlebt das. Auf seiner Internetseite hat der Sprecher der Agil-Mediziner noch Ende September geschrieben, dass jetzt der Impfstoff für die neue Influenza-Saison 2020/21 zur Verfügung stehe: „Bei Interesse an einer Impfung können Sie gerne auf sofort in die Praxis kommen. Einen Termin hierfür benötigen Sie nicht“, heißt es dort. Insbesondere für über 60-Jährige und chronisch Kranke sei die Grippe-Schutzimpfung wichtig.
Doch nun hat er am Mittwoch die letzten Vorräte aus seiner diesjährigen Bestellung gespritzt. 400 Impfdosen
hatte Pfeifer im Spätwinter geordert, ein Viertel mehr als sonst in seiner Praxis verabreicht werden. Doch der Andrang in den vergangenen drei Wochen war größer als je erwartet: „In den vergangenen zehn Jahren hatten wir noch nie eine solche Nachfrage“, schildert der Wasserburger Arzt. Er beobachtet, dass „die Leute hoffen, mit einer GrippeSchutzimpfung das Risiko einer doppelten Virusinfektion verhindern zu können.“Dass sich bekannte Politiker in den vergangenen Tagen medienwirksam gegen Influenza haben impfen lassen, macht den Mediziner nachdenklich. Für ihn ist das nicht das richtige Signal. „Oder gehört Gesundheitsminister Spahn zur Risikogruppe?“Denn wenn sich in diesem Winter alle älteren Patienten und Risikopatienten in Deutschland impfen lassen, dann bräuchten Ärzte und Apotheker deutschlandweit an die 40 Millionen Impfdosen – offiziell gebe es aber nur die erwähnten 26 Millionen.
„Frühestens Ende des Monats, vielleicht auch erst Anfang November“gibt es erst wieder Nachschub, hat sich Barbara Massag, die Sprecherin der Lindauer Apotheker, von ihren Großhändlern sagen lassen. Sie hat schon vor Tagen ein weiteres Mal bestellt, weil in diesem Jahr erstmals seit Langem die Ende Februar georderte Menge an Grippe-Impfstoff rasant schnell verkauft gewesen ist. 150 Impfdosen waren das in ihrer Apotheke in diesem Jahr, „das reicht normalerweise lässig für die ganze Grippe-Saison“, berichtet Massag. Im Gegenteil: Am Ende der vergangenen Winter habe sie meist noch Impfstoff übrig gehabt – den sie dann entsorgen musste, weil sich die Wirkstoffkombination jedes Jahr ändere. Was für ihre Apotheke ein „bitteres Los“bedeute, weil sie dann auf den Kosten für den restlichen verschreibungspflichtigen Impfstoff sitzen bleibe.
Jetzt aber, mit Blick auf Corona und nach den Impfaufrufen verschiedenster Politiker quer durch die Republik, habe es einen regelrechten Ansturm auf die Grippe-Impfung gegeben, bestätigt Massag die Aussage der Mediziner. Ob sie ihr neues Kontingent von weiteren Hundert Impfdosen in zwei, drei Wochen erhält, ist noch offen. „Vielleicht auch nur in Teiletappen.“
Werde der zusätzliche Impfstoff aber zu spät geliefert, sieht die Apothekerin das bekannte Problem: Dann gibt es eventuell nicht mehr genügend Abnehmer. „Das ist schon ein bisschen ein Drama“, stellt Massag fest. Nach ihrer Ansicht sollten nicht die Apotheken die Kosten für mögliche Vorräte an Impfstoffen tragen müssen, sondern Berlin: „Da sind das Gesundheitsministerium und die Bundespolitik gefragt.“