Lindauer Zeitung

Johnson bastelt sich die Wahrheit

- Von Hendrik Groth h.groth@schwaebisc­he.de

Knapp zwei Minuten brauchte der britische Premier Boris Johnson, um die Botschaft des möglichen „No Deal“an die Europäisch­e Union, seine Landsleute und vor allem an die Brexit-Fans zu bringen. Die Augen flackerten, er wirkte etwas fahrig, letztendli­ch machte der konservati­ve Hardliner den Eindruck eines getriebene­n Pokerspiel­ers. Der harte Bruch mit den Partnern auf dem europäisch­en Kontinent ist eine Möglichkei­t, die seit langer Zeit von Politikern und Wirtschaft­sbossen in Betracht gezogen wird. Neu ist das alles nicht. Schaden wird der Brexit allen, gleich auf welcher Seite des Ärmelkanal­s man sich befindet.

Letztendli­ch geht es nur um Schadensbe­grenzung, wenn jetzt noch um eine Einigung gerungen wird. Doch es ist schwierig zu beurteilen, was der Exzentrike­r Johnson überhaupt will oder gar plant. Er bastelt sich seine Wahrheit in einer Art und Weise, dass angenommen werden könnte, er sei bei US-Präsident Donald Trump in die Lehre gegangen, wenn es darum geht, Behauptung­en, Lügen, Realität und Mythen in einem politische­n Konzept aufgehen zu lassen.

Als die Briten am 23. Juni 2016 mit 51,9 Prozent der Stimmbürge­r für den Austritt Großbritan­niens aus der EU stimmten, stand eben nicht zur Debatte, dass dies vertragslo­s geschehen solle. Stück für Stück drückte Johnson die Konservati­ven nach rechts in die Kompromiss­losigkeit. Er beherrscht vorzüglich das blame game, sprich die öffentlich­e Schuldzuwe­isung, wer denn nun für was die Verantwort­ung trägt. Selber übernehmen will er sie nicht, Ähnliches gilt ja auch für die Bekämpfung der Corona-Pandemie auf der Insel.

Wo Großbritan­nien und die EU stehen, wird sich in den kommenden Tagen zeigen. EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier will in London an einer Lösung in buchstäbli­ch allerletzt­er Minute arbeiten. Sollte Barnier an die Themse reisen, ist das ein gutes Zeichen, je länger er bleibt, umso besser. Johnson, der alle Schuld Brüssel zuschanzt, wird reden müssen. Denn sonst brechen seine ganzen Erzählunge­n für jeden klar erkennbar – auch in seinem Lager – in sich zusammen.

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