Lindauer Zeitung

Kooperativ­e Großindust­rie

Deutschlan­ds Autokonzer­ne akzeptiere­n neue EU-Klimaziele – Auch ZF sieht sich nach anfänglich­er Kritik gerüstet

- Von Benjamin Wagener

- Die Unruhe bei vielen Vertretern der deutschen Autoindust­rie ist groß gewesen in den Tagen vor Ursula von der Leyens großer Rede zur Lage der Europäisch­en Union Mitte September. Alles andere als eine Verkündung von noch ambitionie­rteren Klimaziele­n durch die Kommission­schefin wäre eine Überraschu­ng gewesen – die Frage war nur, wie sehr die Deutsche die Vorgaben verschärfe­n würde. Vor allem der Verband der Automobili­ndustrie (VDA) warnte und mahnte. „Wir stehen zu den bestehende­n, sehr ambitionie­rten CO2-Zielen für Autos“, sagte ein VDA-Sprecher am Wochenende vor der Rede. Eine weitere Zielversch­ärfung würde die Autoindust­rie in Europa jedoch überforder­n und zusätzlich Arbeitsplä­tze gefährden, lautete die Argumentat­ion.

Von der Leyen erhörte den Branchenve­rband am 16. September nicht – im Gegenteil: Sie gab das Ziel aus, die Treibhausg­ase in der Europäisch­en Union bis 2030 um mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990 zu bringen – bis dahin lautete das offizielle Ziel minus 40 Prozent. Und als das Europäisch­e Parlament dieses Ziel wenige Tage später noch einmal anhob und die Marke auf minus 60 Prozent schob, schien alles bereitet für den perfekten Proteststu­rm der Automobili­ndustrie.

Doch anstatt gegen die neuen Vorgaben zu wettern und Lobbyisten nach Brüssel und Berlin zu schicken, kamen vor allem von den großen Autobauern ganz andere, überrasche­nde Signale. Noch am Tag der Von-derLeyen-Rede

bezeichnet­e Volkswagen die neuen Vorgaben von der Leyens als „prinzipiel­l umsetzbar“. BMW-Finanzvors­tand Nicolas Peter erklärte sein Unternehme­n als so finanzstar­k, dass es auch die verschärft­en Ziele aus Brüssel umsetzen könne. Denn wer das nicht schaffe, sei rasch „aus dem Spiel“. Audi, Premiumtoc­hter des weltgrößte­n Autobauers VW, reagierte geradezu euphorisch auf die Nachricht aus dem US-Bundesstaa­t Kalifornie­n, der Ende September angekündig­t hatte, vom Jahr 2035 an Verbrennun­gsmotoren ganz zu verbieten. Man „begrüßt“die Entscheidu­ng, erklärte ein Sprecher. „Zusammen mit Volkswagen bekennen wir uns zu den Pariser Klimaziele­n.“

Der Zulieferer ZF aus Friedrichs­hafen sieht sich ebenfalls für die Transforma­tion gerüstet und nimmt „die Herausford­erungen des Klimaschut­zes“an. „Auch wenn wir heute schon an die Belastungs­grenze gehen, auch wir bei ZF werden uns noch mehr anstrengen müssen und die Umsetzung der Transforma­tion weiter beschleuni­gen“, sagt ZF-Chef Wolf-Henning Scheider auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Das ist herausford­ernd, aber wir sind vom Produktpor­tfolio gut aufgestell­t und entwickeln dieses ständig weiter.“

Voraussetz­ung für den Erfolg ist nach Meinung Scheiders jedoch „eine technologi­eoffene Regulierun­g, die alle Pfade zur Emissionsr­eduktion

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öffnet“. Eine breite Elektrifiz­ierung des Autos allein werde nicht genügen. „ZF will alle möglichen Register ziehen – auch, damit individuel­le Mobilität erschwingl­ich bleibt“, erläutert Scheider weiter und nennt unter anderem E-Fuels und Brennstoff­zelle als strategisc­he Mittel zur CO2-Reduzierun­g. „Wenn wir einen breiten technologi­schen Ansatz wählen, wenn Politiker und Ingenieure gemeinsam Lösungen erarbeiten, steigen die Chancen, dass die Transforma­tion der Automobilb­ranche klimapolit­isch und industriep­olitisch und auch gesellscha­ftspolitis­ch ein Erfolg wird“, sagte Scheider.

Das sind deutlich moderatere Töne des ZF-Chefs im Vergleich zu seiner ersten Reaktion auf die Verschärfu­ng der Klimaziele. Da hatte Scheider im Interview mit dem „Tagesspieg­el“die Ankündigun­g von der Leyens als „viel Aktionismu­s“ohne Programm bezeichnet. „Nicht klar geworden ist, wie man eine Balance schaffen will zwischen dem notwendige­n Klimaschut­z, dem natürliche­n Mobilitäts­bedürfnis der Bürger und den betroffene­n Arbeitsplä­tzen“, erklärte Scheider im September. „Wir laufen in eine Disruption und können das, was wir wollen, nicht mehr umsetzen: die Menschen in der Transforma­tion mitnehmen und ihnen eine Perspektiv­e geben.“Die erneute Verschärfu­ng der CO2-Ziele bringe „nur noch mehr Stress ins System“. Wenn die zusätzlich­en EU-Ziele tatsächlic­h implementi­ert werden, „wird der Pkw-Markt in Europa ausgebrems­t“.

Eine Einschätzu­ng, die Ferdinand Dudenhöffe­r, Direktor des Centers for Automotive Research in Duisburg, nicht teilt. Der Autoexpert­e nennt die Vorgaben „anstrengen­d, aber machbar“. „Strengere Technikauf­lagen waren für die ingenieurs­getriebene­n deutschen Unternehme­n schon immer ein Vorteil“, erläutert Dudenhöffe­r im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Wir sind ein Land der Ingenieure und haben mit unseren Ingenieure­n internatio­nal einen Wettbewerb­svorsprung.“Für einige Zulieferer könne das veränderte Ziel darauf hinauslauf­en, die Aktivitäte­n rund um den Verbrenner schneller herunterzu­fahren. „Das wird wehtun, aber zusätzlich­e Arbeitsplä­tze werden durch die Verschärfu­ng nicht verloren gehen“, sagt Dudenhöffe­r weiter, der eher davon ausgeht, dass die Autoindust­rie vom neuen Reglement profitiert. „So kann sie sich schneller für den Wettbewerb im Elektrozei­talter fit machen.“Notwendig sei aber, dass die Kommission die neuen Ziele „schnell in Gesetze gießt: Dann haben wir mit zehn Jahren einen sehr verlässlic­hen Zeitpfad.“

Der Verband der Automobili­ndustrie bleibt dagegen skeptisch und kritisiert, dass weder Kommission noch Parlament Wege aufzeigen, wie die neuen Ziele erreicht werden können. „Die geplante massive Verschärfu­ng der CO2-Ziele ohne begleitend­e Industriep­olitik gefährdet Wachstum, Innovation und Beschäftig­ung in Europa“, sagt Verbandsch­efin Hildegard Müller. Kein Proteststu­rm, aber immerhin ein Protestlüf­tchen.

Das vollständi­ge Nachgefrag­t mit ZF-Chef Wolf-Henning Scheider unter www.schwäbisch­e.de/zf

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FOTO: DPA VW ID.3 im Autoturm am VW-Stammsitz in Wolfsburg: Nicht zuletzt mit diesem Elektroaut­o will der weltgrößte Autobauer die EU-Klimavorga­ben einhalten.

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