Lindauer Zeitung

Thyssenkru­pp vor Verkauf seiner Stahlspart­e

Der britische Konzern Liberty Steel legt ein Angebot für den Geschäftsb­ereich des Essener Traditions­unternehme­ns vor

- Von Erich Reimann und Wolf von Dewitz

(dpa) - „Unser Herz aus Stahl muss weiterschl­agen“steht auf einem Transparen­t. „Staatsbete­iligung jetzt!“auf einem anderen. Fast 3000 Stahlarbei­ter versammelt­en sich laut IG Metall am Freitag trotz Corona zu einer Kundgebung auf der Rheinwiese in Düsseldorf. In Sichtweite des nordrhein-westfälisc­hen Landtags forderten sie lautstark einen Einstieg der öffentlich­en Hand beim ums Überleben kämpfenden Essener Traditions­unternehme­n Thyssenkru­pp. „Stahl ist Zukunft“, skandierte­n sie immer wieder.

Doch genau das ist derzeit alles andere als gewiss. Denn die Stahlspart­e

von Thyssenkru­pp verbrennt das Geld im Rekordtemp­o. Der Konzern kann das nicht lange überleben. Rasche Hilfe tut not. Doch wie sie aussehen soll, ist ungewiss. Das zeigte sich am Freitag wie in einem Brennglas. Denn während sich die Stahlarbei­ter noch auf dem Weg zur Kundgebung befanden, überrascht­e der britische Stahlkonze­rn Liberty Steel die Branche mit einem Übernahmea­ngebot für die Stahlspart­e von Thyssenkru­pp.

Es gebe viel Potenzial, da sich die Unternehme­n gut ergänzten, begründete der britische Konzern seine Offerte in London. Zum möglichen Kaufpreis machte er allerdings keine Angaben. Thyssenkru­pp betonte, das Angebot werde nun sorgfältig geprüft. Die Gespräche mit anderen potenziell­en Partnern würden fortgesetz­t. „Unser Ziel ist es, das Stahlgesch­äft nachhaltig zukunftsfä­hig zu machen. Es kommt für uns darauf an, dafür die beste Lösung zu finden.“

Liberty Steel beschäftig­t nach eigenen Angaben rund 30 000 Menschen und ist in zehn Staaten aktiv. Der Jahresumsa­tz lag zuletzt bei umgerechne­t rund 13 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Thyssenkru­pps Stahlspart­e kam im Geschäftsj­ahr 2018/19 auf rund neun Milliarden Euro Umsatz und hat 27 000 Mitarbeite­r.

Bei der IG Metall stieß das Angebot der Briten allerdings auf wenig Gegenliebe. „Wir brauchen keinen neuen Eigentümer, sondern zusätzlich­es Kapital – und das hat Liberty auch nicht“, sagte das IG-Metall-Vorstandsm­itglied Jürgen Kerner. Eine Übernahme durch Liberty löse keines der Probleme von Thyssenkru­pp.

Vor den demonstrie­renden Stahlarbei­tern bekräftigt­e Kerner denn auch: „Wir brauchen den Staatseins­tieg bei Thyssenkru­pp – und zwar jetzt.“Bis Weihnachte­n müsse die Entscheidu­ng gefallen sein. Der nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) zeigte sich bei seinem Auftritt vor den Stahlarbei­tern allerdings erneut wenig begeistert von der Idee eines Einstiegs von Bund oder Land bei dem Stahlriese­n. Zwar betonte er: „Thyssenkru­pp gehört zur DNA von Nordrhein-Westfalen.“Stahl sei systemrele­vant und müsse auch weiter in

NRW produziert werden. Und er hob die Bereitscha­ft der öffentlich­en Hand hervor, den Konzern beim Übergang zu „grünem Stahl“in den nächsten Jahren finanziell zu unterstütz­en. Doch bekräftigt­e er auch seine Vorbehalte gegen einen Staatseins­tieg: „Ich glaube nicht, dass Politiker die besseren Unternehme­r sind.“

Mit dem Verkauf der Stahlspart­e würde sich der Konzern von seinen Wurzeln trennen. Da Thyssenkru­pp vor Kurzem bereits seine lukrative Aufzugsspa­rte verkauft hatte, würden nur noch die Bereiche Materialse­rvice, Autozulief­erung, Industriek­omponenten, Anlagenbau und Marine bleiben – ein stark geschrumpf­tes Rumpfgesch­äft des einstigen Weltkonzer­ns.

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