Lindauer Zeitung

Der Shakespear­e aus Umbrecht

Der Übersetzer Frank Günther ist im Alter von 73 Jahren gestorben

- Von Barbara Miller

Der ganze Shakespear­e sollte es sein: Frank Günther hat es gewagt und hat es – fast – geschafft. Bis auf einige Sonette übertrug der gebürtige Freiburger das komplette Werk des Elisabetha­ners ins Deutsche. 39 Bände sind erschienen, zweisprach­ig und in zweierlei Ausstattun­g (bei ars vivendi und dtv).

Entstanden sind die meisten Übersetzun­gen in einem alten Bauernhaus in Umbrecht, das zu Rot an der Rot gehört. Ein Freund hatte Frank Günther Mitte der 1970er-Jahre nach Oberschwab­en gebracht. Und Günther liebte die Abgeschied­enheit der Provinz, um sich zu versenken in die ferne Welt des Mannes aus Stratford.

Angefangen hatte er nach dem Studium der Anglistik am Theater, inszeniert­e selbst. Aber es schmerze ihn, wenn Stücke nur noch als Steinbrüch­e benutzt werden, erzählte der Wieland-Preisträge­r bei einem Besuch auf seinem Gehöft. „Der Übersetzer ist im besten Fall ein Nachschöpf­ender“, sagte er damals und fügte hinzu: „Ein Dolmetsche­r macht eine Inhaltspar­aphrase. Ein Übersetzer hingegen sollte nicht nur den Sinn, sondern auch die Form von einer Sprache in die andere adäquat übertragen können.“

Als ihm die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt den Johann-Heinrich-Voß-Preis verlieh, hieß es in der Begründung: „Günthers Übertragun­gen sind eine lustvolle Polyphonie der Stile, die sich immer als lebendige Neuentdeck­ung Shakespear­es für unsere Zeit verstehen.“

Leider – und auch das beklagte Günther damals bei dem Gespräch – bedienten sich zwar viele Theater seiner Übersetzun­g, jedoch ohne sie explizit als die seine auszuweise­n. Statt dessen würden die Dramaturge­n ein paar Änderungen machen und die Übersetzun­g dann als eigene „Fassung“verkaufen.

Für all die (Verschwöru­ngs)theorien, die es über William Shakespear­e gibt, hatte er nur Spott übrig. Als Roland Emmerichs Biopic „Anonymous“über das angebliche Leben des angebliche­n Shakespear­e in die Kinos kam, kommentier­te Günther: „Verblendun­g ist nicht nur auf kleine Normalmens­chen beschränkt, so was kann auch Prominente erwischen.“

Günther konnte gut erzählen, und seine Vorträge über Shakespear­e hatten durchaus Bühnenqual­itäten. Da brauchte man gar nicht mehr ins Theater zu gehen, wenn er erklärte, wie aus missversta­ndenen Deklinatio­nen der lateinisch­en Demonstrat­ivpronomen hic haec hoc im Deutschen satte Schweinere­ien werden. Wen’s interessie­rt: „Die lustigen Weiber von Windsor“, dtv-Band 12759, Seite 149 folgende.

Am Donnerstag ist Frank Günther in Ulm nach kurzer schwerer Krankheit gestorben. Er wurde 73 Jahre alt.

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FOTO: ROLAND RASEMANN Frank Günther (1947 - 2020). Das Foto ist 2011 bei einem Besuch in Umbrecht entstanden.

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