Lindauer Zeitung

Gibt es bald ein Wolfsrudel im Allgäu?

Im Oberallgäu hat sich wohl ein Tier angesiedel­t – Ökologe erklärt, ob es mehr werden können

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- Im Oberallgäu hat sich wohl ein Wolf angesiedel­t. Vier Genanalyse­n von Januar bis Mai 2020 hätten eindeutig ein männliches Raubtier identifizi­ert, von dem bereits im Jahr 2018 Spuren gefunden wurden, heißt es beim Landesamt für Umwelt in Augsburg. Eine weitere Probe vom Juni 2020 kann dem Tier laut LfU wahrschein­lich ebenfalls zugeordnet werden. Auch im Bregenzerw­ald (Vorarlberg) seien Nachweise gelungen. Doch was bedeutet das „standorttr­eue Einzeltier“, wie der nun heimisch gewordene Wolf im Behördenja­rgon heißt, für die Region? Darüber sprach Tobias Schuhwerk mit dem Ökologen Klaus Zimmermann von der „inatura – Erlebnis Naturschau“Dornbirn.

Ein männlicher Wolf lebt wohl dauerhaft im Oberallgäu sowie im angrenzend­en Bregenzerw­ald. Gründet er bald ein Rudel?

Das kann man nicht prognostiz­ieren. Das Gebiet ist grundsätzl­ich für eine Ansiedlung geeignet. Doch die entscheide­nde Frage ist: Wie tickt unser Wolf? Reicht ihm ein gedeckter Tisch, wie er ihn im Oberallgäu mit Rehen, Hasen oder Gamsen vorfindet? Oder will er sich unbedingt vermehren? Dann müsste er vermutlich weiterzieh­en, um ein Weibchen zu suchen.

Oder eine durchziehe­nde Wölfin läuft ihm zufällig über den Weg …

Das ist theoretisc­h möglich, aber nicht sehr wahrschein­lich. Das Revier eines Wolfes ist mindestens 100 Quadratkil­ometer groß.

Sind Wölfe im Rudel gefährlich­er als allein?

Im Rudel steigt der Druck auf Wildnis und Landwirtsc­haft. Die Tiere brauchen mehr Nahrung und sie jagen im Verbund größere Tiere. Im Rudel hat der Wolf mehr Macht.

Sehen Sie eine konkrete Gefahr für den Menschen?

Direkte Gefahr sehe ich keine. Normalerwe­ise interessie­ren sich Wölfe in keiner Weise für uns Menschen. Problemati­sch kann es werden, wenn es sich um halb zahme Tiere oder um Hybridwölf­e handelt, denen fehlt oft die natürliche Scheu vor dem Menschen.

Die Diskussion um den Wolf wird auch in unserer Region erbittert zwischen Tierschütz­ern und Wolfsgegne­rn geführt, zu denen viele Älpler und Landwirte gehören. Die einen feiern jede Wolfssicht­ung. Die anderen fordern reflexhaft den Abschuss. Sehen Sie einen Mittelweg?

Ich plädiere für eine realistisc­he Beurteilun­g. Der Wolf ist ein Raubtier und kein Tier zum Verhätsche­ln. Man sollte ihn nicht an den Menschen

binden. Stattdesse­n sollten ihm klare Grenzen aufgezeigt werden, sobald er zu nahe an die Zivilisati­on kommt. Der Siedlungsr­aum darf keine Option für ihn werden. Man sollte ihn zum Beispiel nicht mit liegengela­ssenem Fleisch oder Abfällen anfüttern. Auch Elektrozäu­ne um Weidetiere können ein klares Signal sein. In der Schweiz haben Schäfer außerdem gute Erfahrunge­n mit Herdenhund­en gemacht, die ihre Tiere vor Wölfen schützen. Wenn ein einzelner Wolf dauerhaft zum Problem wird, sollte auch ein Abschuss möglich sein.

In Österreich läuft gerade der Versuch, einen „Problemwol­f“mit einem Peilsender auszustatt­en. Älpler oder Landwirte könnten dann – so die Hoffnung – frühzeitig gewarnt werden, wenn er auftaucht.

Ob das funktionie­rt, muss man abwarten. Generell finde ich es gut, wenn nach praktische­n Lösungen gesucht wird. Von Bären weiß man, dass sie zum Beispiel erfolgreic­h mit Gummigesch­ossen von Häusern und Dörfern vertrieben werden können.

Wölfe können sich laut Experten auch mit Hunden paaren. Auf diese Problemati­k hat kürzlich Marc Henrichman­n, Vorsitzend­er der Jägerstift­ung natur + mensch , aufmerksam gemacht. Er fordert eine klare Bestimmung, „welcher Anteil der Wölfe in Deutschlan­d diese Bezeichnun­g überhaupt noch verdient und wie viele Hybriden in der freien Wildbahn leben und Schäden und Angst verursache­n“. Wie stehen Sie dazu?

Das Phänomen Hybrid-Wolf sollte man durchaus ernst nehmen. Wenn ein Haushund eingekreuz­t ist, verändert sich die DNA und möglicherw­eise auch das Wesen eines solchen Mischlings: Ein Hybrid-Wolf verliert die natürliche Scheu vor Menschen, ist aber immer noch ein Raubtier.

Müssen Hundehalte­r also besonders aufpassen in Wolfsgebie­ten?

Sie sollten den Hund in jedem Fall anleinen. Ein größerer Hund könnte sich mit einem Wolf paaren. Kleinere Hunde, wie ein Pudel, könnten seine Beute werden.

 ?? FOTO: DAVID EBENER ?? Im Landkreis Oberallgäu hat sich wohl ein Wolf angesiedel­t. Wie wahrschein­lich ist es, dass er bald ein Rudel gründet? Im Interview gibt ein Experte eine Antwort auf diese Frage.
FOTO: DAVID EBENER Im Landkreis Oberallgäu hat sich wohl ein Wolf angesiedel­t. Wie wahrschein­lich ist es, dass er bald ein Rudel gründet? Im Interview gibt ein Experte eine Antwort auf diese Frage.

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